bei ihm auf dem Bau seiner Stücke. Mit Leichtigkeit übrigens versetzt er sich in jede Nationalität und Zeit, wie wenn es die seinige wäre, d. h. er zeichnet sie im Ganzen, unbekümmert um die weniger bedeu- tenden Züge.
Was Menschen beginnen, wie und wo sie es thun können, dieß alles hat Shakespeare gewußt: er ist daher allenthalben zu Haus; nichts ist ihm fremd oder wunderbar. Er beobachtet ein weit höheres Kostum als das der Sitten und Zeiten. Der Styl seiner Stücke ist nach dem Gegen- stand gebildet und verschieden von einander (nur nicht etwa nach Chro- nologie) bis auf Härte, Weichheit, Regelmäßigkeit, Ungebundenheit der Verse, die Kürze und Abgebrochenheit oder die Länge der Perioden.
Denn, um nun das Uebrige, die äußere Conformation der mo- dernen Tragödie betreffend, zu erwähnen, und um uns nicht bei den nothwendigen Veränderungen derselben, die aus den vorher schon bemerk- ten Unterschieden nothwendig hervorgehen, wie die Verlassung der drei Einheiten, die Abtheilung des Ganzen in Aufzüge u. s. w. -- um uns dabei nicht aufzuhalten, so ist die Mischung der Prosa und der gebun- denen Rede im modernen Drama nur wieder äußerer Ausdruck ihrer innerlich episch- und dramatisch-gemischten Natur, und um von den sogenannten bürgerlichen oder anderen inferieuren Trauerspielen nicht zu reden, wo die Personen billigerweise sich in Prosa ausdrücken, war der abwechselnde Gebrauch der letzteren selbst, eben wegen des Aus- tretens der dramatischen Fülle in secundäre Personen nothwendig. Uebrigens hat auch in dieser Mischung und in Beobachtung des Rechten in Ansehung der Sprache nicht nur im Einzelnen, sondern auch in Ansehung des Ganzen eines Werks Shakespeare sich als überlegenden Künstler gezeigt. So ist im Hamlet der Periodenbau verwirrt, abge- brochen, trüb wie der Held. In den historischen Stücken aus der älteren und neueren englischen und aus der römischen Geschichte herrscht ein in Bildung und Reinheit sehr abweichender Ton. In den römischen Stücken findet sich fast kein Reim, in den englischen dagegen zumal aus der älteren Geschichte finden sich sehr viele und äußerst pittoreske.
Was man übrigens dem Shakespeare für Fehler, Verkehrtheiten
bei ihm auf dem Bau ſeiner Stücke. Mit Leichtigkeit übrigens verſetzt er ſich in jede Nationalität und Zeit, wie wenn es die ſeinige wäre, d. h. er zeichnet ſie im Ganzen, unbekümmert um die weniger bedeu- tenden Züge.
Was Menſchen beginnen, wie und wo ſie es thun können, dieß alles hat Shakeſpeare gewußt: er iſt daher allenthalben zu Haus; nichts iſt ihm fremd oder wunderbar. Er beobachtet ein weit höheres Koſtum als das der Sitten und Zeiten. Der Styl ſeiner Stücke iſt nach dem Gegen- ſtand gebildet und verſchieden von einander (nur nicht etwa nach Chro- nologie) bis auf Härte, Weichheit, Regelmäßigkeit, Ungebundenheit der Verſe, die Kürze und Abgebrochenheit oder die Länge der Perioden.
Denn, um nun das Uebrige, die äußere Conformation der mo- dernen Tragödie betreffend, zu erwähnen, und um uns nicht bei den nothwendigen Veränderungen derſelben, die aus den vorher ſchon bemerk- ten Unterſchieden nothwendig hervorgehen, wie die Verlaſſung der drei Einheiten, die Abtheilung des Ganzen in Aufzüge u. ſ. w. — um uns dabei nicht aufzuhalten, ſo iſt die Miſchung der Proſa und der gebun- denen Rede im modernen Drama nur wieder äußerer Ausdruck ihrer innerlich epiſch- und dramatiſch-gemiſchten Natur, und um von den ſogenannten bürgerlichen oder anderen inferieuren Trauerſpielen nicht zu reden, wo die Perſonen billigerweiſe ſich in Proſa ausdrücken, war der abwechſelnde Gebrauch der letzteren ſelbſt, eben wegen des Aus- tretens der dramatiſchen Fülle in ſecundäre Perſonen nothwendig. Uebrigens hat auch in dieſer Miſchung und in Beobachtung des Rechten in Anſehung der Sprache nicht nur im Einzelnen, ſondern auch in Anſehung des Ganzen eines Werks Shakeſpeare ſich als überlegenden Künſtler gezeigt. So iſt im Hamlet der Periodenbau verwirrt, abge- brochen, trüb wie der Held. In den hiſtoriſchen Stücken aus der älteren und neueren engliſchen und aus der römiſchen Geſchichte herrſcht ein in Bildung und Reinheit ſehr abweichender Ton. In den römiſchen Stücken findet ſich faſt kein Reim, in den engliſchen dagegen zumal aus der älteren Geſchichte finden ſich ſehr viele und äußerſt pittoreske.
Was man übrigens dem Shakeſpeare für Fehler, Verkehrtheiten
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bei ihm auf dem Bau ſeiner Stücke. Mit Leichtigkeit übrigens verſetzt
er ſich in jede Nationalität und Zeit, wie wenn es die ſeinige wäre,
d. h. er zeichnet ſie im Ganzen, unbekümmert um die weniger bedeu-
tenden Züge.
Was Menſchen beginnen, wie und wo ſie es thun können, dieß alles
hat Shakeſpeare gewußt: er iſt daher allenthalben zu Haus; nichts iſt ihm
fremd oder wunderbar. Er beobachtet ein weit höheres Koſtum als das
der Sitten und Zeiten. Der Styl ſeiner Stücke iſt nach dem Gegen-
ſtand gebildet und verſchieden von einander (nur nicht etwa nach Chro-
nologie) bis auf Härte, Weichheit, Regelmäßigkeit, Ungebundenheit der
Verſe, die Kürze und Abgebrochenheit oder die Länge der Perioden.
Denn, um nun das Uebrige, die äußere Conformation der mo-
dernen Tragödie betreffend, zu erwähnen, und um uns nicht bei den
nothwendigen Veränderungen derſelben, die aus den vorher ſchon bemerk-
ten Unterſchieden nothwendig hervorgehen, wie die Verlaſſung der drei
Einheiten, die Abtheilung des Ganzen in Aufzüge u. ſ. w. — um uns
dabei nicht aufzuhalten, ſo iſt die Miſchung der Proſa und der gebun-
denen Rede im modernen Drama nur wieder äußerer Ausdruck ihrer
innerlich epiſch- und dramatiſch-gemiſchten Natur, und um von den
ſogenannten bürgerlichen oder anderen inferieuren Trauerſpielen nicht
zu reden, wo die Perſonen billigerweiſe ſich in Proſa ausdrücken, war
der abwechſelnde Gebrauch der letzteren ſelbſt, eben wegen des Aus-
tretens der dramatiſchen Fülle in ſecundäre Perſonen nothwendig.
Uebrigens hat auch in dieſer Miſchung und in Beobachtung des Rechten
in Anſehung der Sprache nicht nur im Einzelnen, ſondern auch in
Anſehung des Ganzen eines Werks Shakeſpeare ſich als überlegenden
Künſtler gezeigt. So iſt im Hamlet der Periodenbau verwirrt, abge-
brochen, trüb wie der Held. In den hiſtoriſchen Stücken aus der älteren
und neueren engliſchen und aus der römiſchen Geſchichte herrſcht ein in
Bildung und Reinheit ſehr abweichender Ton. In den römiſchen Stücken
findet ſich faſt kein Reim, in den engliſchen dagegen zumal aus der
älteren Geſchichte finden ſich ſehr viele und äußerſt pittoreske.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 724. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/400>, abgerufen am 22.11.2024.
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