gezeichnet sind. Eusebio kennt die Wirkung dieses Mals und der An- dacht zu dem Kreuz, das ihn aus den wildesten Gefahren schon errettet hat. Auch jetzt wird jenes Zeichen schicksalbestimmend für beide. Eusebio dringt bei Nacht in Julias Kloster durch die Kreuzgänge bis in ihre Zelle: aber wir sehen ihn, wieder von ihr geschreckt, durch eine Furcht, die Julia nicht begreift, über die Klostermauer zurückeilen, wo ihn seine Kameraden erwarten. Es ist das Mal des Kreuzes, welches er auf ihrer Brust, wie es auf der seinigen ist, entdeckt, welches beide trennt, und Julia von der letzten Schuld der Blutschande und des Brechens der Gelübde errettet. Aber dasselbe Zeichen treibt Julia in ein weiteres Schicksal. Da in dem Schrecken, mit dem Eusebio forteilt, die Leiter stehen bleibt, folgt ihm Julia in der Verwirrung empörter Leidenschaft und steigt herab. In einiger Entfernung erwacht ihre Besinnung, sie will zurück, aber indeß haben Eusebios Gefährten die Leiter hinweggenommen; sie ist nun in der Nonnenkleidung in die weite Welt gestoßen, und auch die zarte Julia geht nun Eusebios Weg, indem sie ihr Leiden und ihre Verzweiflung durch gehäuften Mord und Unthaten rächt, bis sie nach einer Reihe solcher Thaten endlich zu Eusebio durchdringt. Curtio zieht indeß gegen die Räuber aus; in einem allge- meinen, hin und her schwankenden Kampf, bei welchem Julia in Män- nertracht ihren Geliebten vertheidigt, wird dieser endlich tödtlich ver- wundet. Schon wie todt ruft er nach dem Bischof Alberto, der wie durch göttliche Schickung des Weges kommt und ihn Beichte hört, wor- auf er ruhig stirbt. Auch dieß geht auf dem einsamen Fleck im Walde vor bei dem Krucifix, welches seine Geburt beschirmte, sein Schicksal entschied und jetzt auch sein Ende selig macht. Curtio, Zeuge des Vor- gehenden, erkennt die Stelle, erkennt Eusebio als seinen Sohn und Julia in der Verkleidung; welche ihm bekennt, daß ihre kurze Laufbahn seit der Entweichung aus dem Kloster mit Mord und Gräuelthaten bezeichnet war. Den Sohn preist der Vater selig, sie aber verdammt er und will sie vertilgen, als sie das Kreuz umschlingt, und ihre Schuld im Kloster zu büßen versprechend, es um Hülfe fleht, worauf das Kreuz sich erhebt und sie mit sich in die Höhe nimmt.
gezeichnet ſind. Euſebio kennt die Wirkung dieſes Mals und der An- dacht zu dem Kreuz, das ihn aus den wildeſten Gefahren ſchon errettet hat. Auch jetzt wird jenes Zeichen ſchickſalbeſtimmend für beide. Euſebio dringt bei Nacht in Julias Kloſter durch die Kreuzgänge bis in ihre Zelle: aber wir ſehen ihn, wieder von ihr geſchreckt, durch eine Furcht, die Julia nicht begreift, über die Kloſtermauer zurückeilen, wo ihn ſeine Kameraden erwarten. Es iſt das Mal des Kreuzes, welches er auf ihrer Bruſt, wie es auf der ſeinigen iſt, entdeckt, welches beide trennt, und Julia von der letzten Schuld der Blutſchande und des Brechens der Gelübde errettet. Aber daſſelbe Zeichen treibt Julia in ein weiteres Schickſal. Da in dem Schrecken, mit dem Euſebio forteilt, die Leiter ſtehen bleibt, folgt ihm Julia in der Verwirrung empörter Leidenſchaft und ſteigt herab. In einiger Entfernung erwacht ihre Beſinnung, ſie will zurück, aber indeß haben Euſebios Gefährten die Leiter hinweggenommen; ſie iſt nun in der Nonnenkleidung in die weite Welt geſtoßen, und auch die zarte Julia geht nun Euſebios Weg, indem ſie ihr Leiden und ihre Verzweiflung durch gehäuften Mord und Unthaten rächt, bis ſie nach einer Reihe ſolcher Thaten endlich zu Euſebio durchdringt. Curtio zieht indeß gegen die Räuber aus; in einem allge- meinen, hin und her ſchwankenden Kampf, bei welchem Julia in Män- nertracht ihren Geliebten vertheidigt, wird dieſer endlich tödtlich ver- wundet. Schon wie todt ruft er nach dem Biſchof Alberto, der wie durch göttliche Schickung des Weges kommt und ihn Beichte hört, wor- auf er ruhig ſtirbt. Auch dieß geht auf dem einſamen Fleck im Walde vor bei dem Krucifix, welches ſeine Geburt beſchirmte, ſein Schickſal entſchied und jetzt auch ſein Ende ſelig macht. Curtio, Zeuge des Vor- gehenden, erkennt die Stelle, erkennt Euſebio als ſeinen Sohn und Julia in der Verkleidung; welche ihm bekennt, daß ihre kurze Laufbahn ſeit der Entweichung aus dem Kloſter mit Mord und Gräuelthaten bezeichnet war. Den Sohn preist der Vater ſelig, ſie aber verdammt er und will ſie vertilgen, als ſie das Kreuz umſchlingt, und ihre Schuld im Kloſter zu büßen verſprechend, es um Hülfe fleht, worauf das Kreuz ſich erhebt und ſie mit ſich in die Höhe nimmt.
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gezeichnet ſind. Euſebio kennt die Wirkung dieſes Mals und der An-
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hat. Auch jetzt wird jenes Zeichen ſchickſalbeſtimmend für beide. Euſebio
dringt bei Nacht in Julias Kloſter durch die Kreuzgänge bis in ihre
Zelle: aber wir ſehen ihn, wieder von ihr geſchreckt, durch eine Furcht,
die Julia nicht begreift, über die Kloſtermauer zurückeilen, wo ihn
ſeine Kameraden erwarten. Es iſt das Mal des Kreuzes, welches er
auf ihrer Bruſt, wie es auf der ſeinigen iſt, entdeckt, welches beide
trennt, und Julia von der letzten Schuld der Blutſchande und des
Brechens der Gelübde errettet. Aber daſſelbe Zeichen treibt Julia in
ein weiteres Schickſal. Da in dem Schrecken, mit dem Euſebio forteilt,
die Leiter ſtehen bleibt, folgt ihm Julia in der Verwirrung empörter
Leidenſchaft und ſteigt herab. In einiger Entfernung erwacht ihre
Beſinnung, ſie will zurück, aber indeß haben Euſebios Gefährten die
Leiter hinweggenommen; ſie iſt nun in der Nonnenkleidung in die weite
Welt geſtoßen, und auch die zarte Julia geht nun Euſebios Weg,
indem ſie ihr Leiden und ihre Verzweiflung durch gehäuften Mord und
Unthaten rächt, bis ſie nach einer Reihe ſolcher Thaten endlich zu Euſebio
durchdringt. Curtio zieht indeß gegen die Räuber aus; in einem allge-
meinen, hin und her ſchwankenden Kampf, bei welchem Julia in Män-
nertracht ihren Geliebten vertheidigt, wird dieſer endlich tödtlich ver-
wundet. Schon wie todt ruft er nach dem Biſchof Alberto, der wie
durch göttliche Schickung des Weges kommt und ihn Beichte hört, wor-
auf er ruhig ſtirbt. Auch dieß geht auf dem einſamen Fleck im Walde
vor bei dem Krucifix, welches ſeine Geburt beſchirmte, ſein Schickſal
entſchied und jetzt auch ſein Ende ſelig macht. Curtio, Zeuge des Vor-
gehenden, erkennt die Stelle, erkennt Euſebio als ſeinen Sohn und
Julia in der Verkleidung; welche ihm bekennt, daß ihre kurze Laufbahn
ſeit der Entweichung aus dem Kloſter mit Mord und Gräuelthaten
bezeichnet war. Den Sohn preist der Vater ſelig, ſie aber verdammt
er und will ſie vertilgen, als ſie das Kreuz umſchlingt, und ihre
Schuld im Kloſter zu büßen verſprechend, es um Hülfe fleht, worauf
das Kreuz ſich erhebt und ſie mit ſich in die Höhe nimmt.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 728. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/404>, abgerufen am 21.11.2024.
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