Wie die Franzosen in der Tragödie zuerst an die Stelle der idealischen Welt, zu der sie sich nicht erheben können, die umgekehrte idealische Welt -- die conventionelle -- gesetzt haben, so auch in der Komödie, und ihre Einwirkung hat eigentlich die wahre absolute Komödie, diejenige, welche sich auf etwas Oeffentliches gründet, völlig verdrungen. Nicht als ob die Spanier nicht auch neben den Charakter- auch die Intriguen- stücke gekannt hätten, von denen sie vielmehr die eigentlichen Erfinder sind, aber diese gründen sich auf ein romantisches Leben. Die der Franzosen auf das gemein-sociale oder häusliche, wie sie auch die Erfinder der weinerlichen Komödie sind. Deutschland hat außer den ersten noch wahren und derben Regungen einer gleichfalls aus der Religion her- vorgehenden Komödie, wovon mehrere Stücke des Hans Sachs die Belege sind, in welchen die Religion ohne Spott, doch paradoxirt und biblische Mythen komisch behandelt sind, -- nach diesen ersten Regungen, und nachdem hier der Protestantismus der Oeffentlichkeit des religiösen Lebens Eintrag gethan hat, fast nur von fremdem Raube gelebt, und die einzige eigenthümliche Erfindung der Deutschen in Masse bleibt es, in Familiengedichten den tiefsten Ton der Philisterei und Häuslichkeit angegeben, sowie in den gewöhnlichen Komödien die Infamie der herr- schenden sittlichen Begriffe und niederträchtiger Edelmüthigkeit mit großer Natürlichkeit niedergelegt zu haben, und es bleibt für diese Schmach des deutschen Theaters kein Trost, als etwa daß andere Nationen nach diesem deutschen Wegwurf mit Begier gehascht haben.
Nachdem im Drama nach seinen zwei Formen die höchste Totalität erreicht ist, so kann die redende Kunst nur wieder zur bildenden zurück- streben, aber selbst nicht weiter sich bilden.
Im Gesang geht die Poesie zur Musik zurück, zur Malerei im Tanz, theils sofern er Ballet, theils sofern er Pantomime ist, zur eigent- lichen Plastik in der Schauspielkunst, die eine lebendige Plastik ist.
Da diese Künste, wie gesagt, durch ein Zurückstreben aus der redenden zur bildenden Kunst entstehen, so bilden sie eine eigne Sphäre
Wie die Franzoſen in der Tragödie zuerſt an die Stelle der idealiſchen Welt, zu der ſie ſich nicht erheben können, die umgekehrte idealiſche Welt — die conventionelle — geſetzt haben, ſo auch in der Komödie, und ihre Einwirkung hat eigentlich die wahre abſolute Komödie, diejenige, welche ſich auf etwas Oeffentliches gründet, völlig verdrungen. Nicht als ob die Spanier nicht auch neben den Charakter- auch die Intriguen- ſtücke gekannt hätten, von denen ſie vielmehr die eigentlichen Erfinder ſind, aber dieſe gründen ſich auf ein romantiſches Leben. Die der Franzoſen auf das gemein-ſociale oder häusliche, wie ſie auch die Erfinder der weinerlichen Komödie ſind. Deutſchland hat außer den erſten noch wahren und derben Regungen einer gleichfalls aus der Religion her- vorgehenden Komödie, wovon mehrere Stücke des Hans Sachs die Belege ſind, in welchen die Religion ohne Spott, doch paradoxirt und bibliſche Mythen komiſch behandelt ſind, — nach dieſen erſten Regungen, und nachdem hier der Proteſtantismus der Oeffentlichkeit des religiöſen Lebens Eintrag gethan hat, faſt nur von fremdem Raube gelebt, und die einzige eigenthümliche Erfindung der Deutſchen in Maſſe bleibt es, in Familiengedichten den tiefſten Ton der Philiſterei und Häuslichkeit angegeben, ſowie in den gewöhnlichen Komödien die Infamie der herr- ſchenden ſittlichen Begriffe und niederträchtiger Edelmüthigkeit mit großer Natürlichkeit niedergelegt zu haben, und es bleibt für dieſe Schmach des deutſchen Theaters kein Troſt, als etwa daß andere Nationen nach dieſem deutſchen Wegwurf mit Begier gehaſcht haben.
Nachdem im Drama nach ſeinen zwei Formen die höchſte Totalität erreicht iſt, ſo kann die redende Kunſt nur wieder zur bildenden zurück- ſtreben, aber ſelbſt nicht weiter ſich bilden.
Im Geſang geht die Poeſie zur Muſik zurück, zur Malerei im Tanz, theils ſofern er Ballet, theils ſofern er Pantomime iſt, zur eigent- lichen Plaſtik in der Schauſpielkunſt, die eine lebendige Plaſtik iſt.
Da dieſe Künſte, wie geſagt, durch ein Zurückſtreben aus der redenden zur bildenden Kunſt entſtehen, ſo bilden ſie eine eigne Sphäre
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0411"n="735"/><p>Wie die Franzoſen in der Tragödie zuerſt an die Stelle der idealiſchen<lb/>
Welt, zu der ſie ſich nicht erheben können, die umgekehrte idealiſche Welt<lb/>— die conventionelle — geſetzt haben, ſo auch in der Komödie, und<lb/>
ihre Einwirkung hat eigentlich die wahre abſolute Komödie, diejenige,<lb/>
welche ſich auf etwas Oeffentliches gründet, völlig verdrungen. Nicht<lb/>
als ob die Spanier nicht auch neben den Charakter- auch die Intriguen-<lb/>ſtücke gekannt hätten, von denen ſie vielmehr die eigentlichen Erfinder ſind,<lb/>
aber dieſe gründen ſich auf ein romantiſches Leben. Die der Franzoſen<lb/>
auf das gemein-ſociale oder häusliche, wie ſie auch die Erfinder der<lb/>
weinerlichen Komödie ſind. Deutſchland hat außer den erſten noch<lb/>
wahren und derben Regungen einer gleichfalls aus der Religion her-<lb/>
vorgehenden Komödie, wovon mehrere Stücke des Hans Sachs die<lb/>
Belege ſind, in welchen die Religion ohne Spott, doch paradoxirt und<lb/>
bibliſche Mythen komiſch behandelt ſind, — nach dieſen erſten Regungen,<lb/>
und nachdem hier der Proteſtantismus der Oeffentlichkeit des religiöſen<lb/>
Lebens Eintrag gethan hat, faſt nur von fremdem Raube gelebt, und<lb/>
die einzige eigenthümliche Erfindung der Deutſchen in Maſſe bleibt es,<lb/>
in Familiengedichten den tiefſten Ton der Philiſterei und Häuslichkeit<lb/>
angegeben, ſowie in den gewöhnlichen Komödien die Infamie der herr-<lb/>ſchenden ſittlichen Begriffe und niederträchtiger Edelmüthigkeit mit großer<lb/>
Natürlichkeit niedergelegt zu haben, und es bleibt für dieſe Schmach<lb/>
des deutſchen Theaters kein Troſt, als etwa daß andere Nationen nach<lb/>
dieſem deutſchen Wegwurf mit Begier gehaſcht haben.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Nachdem im Drama nach ſeinen zwei Formen die höchſte Totalität<lb/>
erreicht iſt, ſo kann die redende Kunſt nur wieder zur bildenden zurück-<lb/>ſtreben, aber ſelbſt nicht weiter ſich bilden.</p><lb/><p>Im Geſang geht die Poeſie zur Muſik zurück, zur Malerei im<lb/>
Tanz, theils ſofern er Ballet, theils ſofern er Pantomime iſt, zur eigent-<lb/>
lichen Plaſtik in der Schauſpielkunſt, die eine lebendige Plaſtik iſt.</p><lb/><p>Da dieſe Künſte, wie geſagt, durch ein Zurückſtreben aus der<lb/>
redenden zur bildenden Kunſt entſtehen, ſo bilden ſie eine eigne Sphäre<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[735/0411]
Wie die Franzoſen in der Tragödie zuerſt an die Stelle der idealiſchen
Welt, zu der ſie ſich nicht erheben können, die umgekehrte idealiſche Welt
— die conventionelle — geſetzt haben, ſo auch in der Komödie, und
ihre Einwirkung hat eigentlich die wahre abſolute Komödie, diejenige,
welche ſich auf etwas Oeffentliches gründet, völlig verdrungen. Nicht
als ob die Spanier nicht auch neben den Charakter- auch die Intriguen-
ſtücke gekannt hätten, von denen ſie vielmehr die eigentlichen Erfinder ſind,
aber dieſe gründen ſich auf ein romantiſches Leben. Die der Franzoſen
auf das gemein-ſociale oder häusliche, wie ſie auch die Erfinder der
weinerlichen Komödie ſind. Deutſchland hat außer den erſten noch
wahren und derben Regungen einer gleichfalls aus der Religion her-
vorgehenden Komödie, wovon mehrere Stücke des Hans Sachs die
Belege ſind, in welchen die Religion ohne Spott, doch paradoxirt und
bibliſche Mythen komiſch behandelt ſind, — nach dieſen erſten Regungen,
und nachdem hier der Proteſtantismus der Oeffentlichkeit des religiöſen
Lebens Eintrag gethan hat, faſt nur von fremdem Raube gelebt, und
die einzige eigenthümliche Erfindung der Deutſchen in Maſſe bleibt es,
in Familiengedichten den tiefſten Ton der Philiſterei und Häuslichkeit
angegeben, ſowie in den gewöhnlichen Komödien die Infamie der herr-
ſchenden ſittlichen Begriffe und niederträchtiger Edelmüthigkeit mit großer
Natürlichkeit niedergelegt zu haben, und es bleibt für dieſe Schmach
des deutſchen Theaters kein Troſt, als etwa daß andere Nationen nach
dieſem deutſchen Wegwurf mit Begier gehaſcht haben.
Nachdem im Drama nach ſeinen zwei Formen die höchſte Totalität
erreicht iſt, ſo kann die redende Kunſt nur wieder zur bildenden zurück-
ſtreben, aber ſelbſt nicht weiter ſich bilden.
Im Geſang geht die Poeſie zur Muſik zurück, zur Malerei im
Tanz, theils ſofern er Ballet, theils ſofern er Pantomime iſt, zur eigent-
lichen Plaſtik in der Schauſpielkunſt, die eine lebendige Plaſtik iſt.
Da dieſe Künſte, wie geſagt, durch ein Zurückſtreben aus der
redenden zur bildenden Kunſt entſtehen, ſo bilden ſie eine eigne Sphäre
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 735. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/411>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.