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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Allein daß Philosophie der Kunst Darstellung des Universums in
der Form der Kunst ist, gibt uns doch noch keine vollständige Idee
dieser Wissenschaft, ehe wir die Art der Construktion, die einer Phi-
losophie der Kunst nothwendig ist, genauer bestimmt haben.

Objekt der Construktion und dadurch der Philosophie ist überhaupt
nur, was fähig ist, als Besonderes das Unendliche in sich aufzunehmen.
Die Kunst, um Objekt der Philosophie zu seyn, muß also überhaupt
das Unendliche in sich als Besonderem entweder wirklich darstellen oder
es wenigstens darstellen können. Aber nicht nur findet dieses in An-
sehung der Kunst statt, sondern sie steht auch als Darstellung des
Unendlichen auf der gleichen Höhe mit der Philosophie: -- wie diese
das Absolute im Urbild, so jene das Absolute im Gegenbild dar-
stellend.

Da die Kunst der Philosophie so genau entspricht, und selbst nur ihr
vollkommenster objektiver Reflex ist, so muß sie auch durchaus alle Po-
tenzen durchlaufen, welche die Philosophie im Idealen durchläuft, und
dieses Eine reicht hin, uns über die nothwendige Methode unserer
Wissenschaft außer Zweifel zu setzen.

Die Philosophie stellt nicht die wirklichen Dinge, sondern ihre Ur-
bilder dar, aber ebenso die Kunst, und dieselben Urbilder, von welchen
nach den Beweisen der Philosophie diese (die wirklichen Dinge) nur un-
vollkommene Abdrücke sind, sind es, die in der Kunst selbst -- als Ur-
bilder -- demnach in ihrer Vollkommenheit -- objektiv werden, und
in der reflektirten Welt selbst die Intellektualwelt darstellen. Um
einige Beispiele zu geben, so ist die Musik nichts anderes als der
urbildliche Rhythmus der Natur und des Universums selbst, der mit-
telst dieser Kunst in der abgebildeten Welt durchbricht. Die vollkom-
menen Formen, welche die Plastik hervorbringt, sind die objektiv dar-
gestellten Urbilder der organischen Natur selbst. Das Homerische Epos
ist die Identität selbst, wie sie der Geschichte im Absoluten zu Grunde
liegt. Jedes Gemälde öffnet die Intellektualwelt.

Dieß vorausgesetzt, werden wir in der Philosophie der Kunst in
Ansehung der letzteren alle diejenigen Probleme zu lösen haben, die wir

Schelling, sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 24

Allein daß Philoſophie der Kunſt Darſtellung des Univerſums in
der Form der Kunſt iſt, gibt uns doch noch keine vollſtändige Idee
dieſer Wiſſenſchaft, ehe wir die Art der Conſtruktion, die einer Phi-
loſophie der Kunſt nothwendig iſt, genauer beſtimmt haben.

Objekt der Conſtruktion und dadurch der Philoſophie iſt überhaupt
nur, was fähig iſt, als Beſonderes das Unendliche in ſich aufzunehmen.
Die Kunſt, um Objekt der Philoſophie zu ſeyn, muß alſo überhaupt
das Unendliche in ſich als Beſonderem entweder wirklich darſtellen oder
es wenigſtens darſtellen können. Aber nicht nur findet dieſes in An-
ſehung der Kunſt ſtatt, ſondern ſie ſteht auch als Darſtellung des
Unendlichen auf der gleichen Höhe mit der Philoſophie: — wie dieſe
das Abſolute im Urbild, ſo jene das Abſolute im Gegenbild dar-
ſtellend.

Da die Kunſt der Philoſophie ſo genau entſpricht, und ſelbſt nur ihr
vollkommenſter objektiver Reflex iſt, ſo muß ſie auch durchaus alle Po-
tenzen durchlaufen, welche die Philoſophie im Idealen durchläuft, und
dieſes Eine reicht hin, uns über die nothwendige Methode unſerer
Wiſſenſchaft außer Zweifel zu ſetzen.

Die Philoſophie ſtellt nicht die wirklichen Dinge, ſondern ihre Ur-
bilder dar, aber ebenſo die Kunſt, und dieſelben Urbilder, von welchen
nach den Beweiſen der Philoſophie dieſe (die wirklichen Dinge) nur un-
vollkommene Abdrücke ſind, ſind es, die in der Kunſt ſelbſt — als Ur-
bilder — demnach in ihrer Vollkommenheit — objektiv werden, und
in der reflektirten Welt ſelbſt die Intellektualwelt darſtellen. Um
einige Beiſpiele zu geben, ſo iſt die Muſik nichts anderes als der
urbildliche Rhythmus der Natur und des Univerſums ſelbſt, der mit-
telſt dieſer Kunſt in der abgebildeten Welt durchbricht. Die vollkom-
menen Formen, welche die Plaſtik hervorbringt, ſind die objektiv dar-
geſtellten Urbilder der organiſchen Natur ſelbſt. Das Homeriſche Epos
iſt die Identität ſelbſt, wie ſie der Geſchichte im Abſoluten zu Grunde
liegt. Jedes Gemälde öffnet die Intellektualwelt.

Dieß vorausgeſetzt, werden wir in der Philoſophie der Kunſt in
Anſehung der letzteren alle diejenigen Probleme zu löſen haben, die wir

Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 24
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[369/0045] Allein daß Philoſophie der Kunſt Darſtellung des Univerſums in der Form der Kunſt iſt, gibt uns doch noch keine vollſtändige Idee dieſer Wiſſenſchaft, ehe wir die Art der Conſtruktion, die einer Phi- loſophie der Kunſt nothwendig iſt, genauer beſtimmt haben. Objekt der Conſtruktion und dadurch der Philoſophie iſt überhaupt nur, was fähig iſt, als Beſonderes das Unendliche in ſich aufzunehmen. Die Kunſt, um Objekt der Philoſophie zu ſeyn, muß alſo überhaupt das Unendliche in ſich als Beſonderem entweder wirklich darſtellen oder es wenigſtens darſtellen können. Aber nicht nur findet dieſes in An- ſehung der Kunſt ſtatt, ſondern ſie ſteht auch als Darſtellung des Unendlichen auf der gleichen Höhe mit der Philoſophie: — wie dieſe das Abſolute im Urbild, ſo jene das Abſolute im Gegenbild dar- ſtellend. Da die Kunſt der Philoſophie ſo genau entſpricht, und ſelbſt nur ihr vollkommenſter objektiver Reflex iſt, ſo muß ſie auch durchaus alle Po- tenzen durchlaufen, welche die Philoſophie im Idealen durchläuft, und dieſes Eine reicht hin, uns über die nothwendige Methode unſerer Wiſſenſchaft außer Zweifel zu ſetzen. Die Philoſophie ſtellt nicht die wirklichen Dinge, ſondern ihre Ur- bilder dar, aber ebenſo die Kunſt, und dieſelben Urbilder, von welchen nach den Beweiſen der Philoſophie dieſe (die wirklichen Dinge) nur un- vollkommene Abdrücke ſind, ſind es, die in der Kunſt ſelbſt — als Ur- bilder — demnach in ihrer Vollkommenheit — objektiv werden, und in der reflektirten Welt ſelbſt die Intellektualwelt darſtellen. Um einige Beiſpiele zu geben, ſo iſt die Muſik nichts anderes als der urbildliche Rhythmus der Natur und des Univerſums ſelbſt, der mit- telſt dieſer Kunſt in der abgebildeten Welt durchbricht. Die vollkom- menen Formen, welche die Plaſtik hervorbringt, ſind die objektiv dar- geſtellten Urbilder der organiſchen Natur ſelbſt. Das Homeriſche Epos iſt die Identität ſelbſt, wie ſie der Geſchichte im Abſoluten zu Grunde liegt. Jedes Gemälde öffnet die Intellektualwelt. Dieß vorausgeſetzt, werden wir in der Philoſophie der Kunſt in Anſehung der letzteren alle diejenigen Probleme zu löſen haben, die wir Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 24

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/45>, abgerufen am 23.11.2024.