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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Universum an sich, in der urbildlichen Welt, wovon die Mythologie die
unmittelbare Darstellung, Vergangenheit und Zukunft als Eines sind,
so muß dasselbe auch in der Mythologie der Fall seyn. Sie muß
nicht nur das Gegenwärtige oder auch Vergangene darstellen, sondern
auch die Zukunft begreifen; sie muß wie durch prophetische Anticipation
auch künftigen Verhältnissen und den unendlichen Entwickelungen der
Zeit zum voraus angemessen oder adäquat, d. h. sie muß unend-
lich seyn.

Diese Unendlichkeit muß sich gegenüber von dem Verstand dadurch
ausdrücken, daß kein Verstand fähig ist sie ganz zu entwickeln, daß in
ihm selbst eine unendliche Möglichkeit liegt, immer neue Beziehungen
zu bilden.

§. 41. Die Dichtungen der Mythologie können weder
als absichtlich noch als unabsichtlich gedacht werden
. --
Nicht als absichtlich, denn sonst wären sie um einer Bedeutung willen
erfunden, welches nach §. 39 unmöglich ist. Nicht unabsichtlich, weil
nicht bedeutungslos. Es ist damit im Grunde dasselbe behauptet, was
schon in dem Vorhergehenden implicite behauptet wurde, nämlich die
Dichtungen der Mythologie sind zugleich bedeutend und bedeutungslos
-- bedeutend, weil ein Allgemeines im Besonderen, bedeutungslos, weil
beides wieder mit absoluter Indifferenz, so daß das, worin indifferen-
ziirt, wieder absolut, um seiner selbst willen ist.

§. 42. Die Mythologie kann weder das Werk des
einzelnen Menschen noch des Geschlechts oder der Gat-
tung seyn
(sofern diese nur eine Zusammensetzung der Individuen),
sondern allein des Geschlechts, sofern es selbst Indivi-
duum und einem einzelnen Menschen gleich ist
. Nicht des
Einzelnen, weil die Mythologie absolute Objektivität haben, eine zweite
Welt seyn soll, die nicht die des Einzelnen seyn kann. Nicht eines
Geschlechts oder der Gattung, sofern sie nur eine Zusammensetzung
der Individuen, denn alsdann wäre sie ohne harmonische Zusammen-
stimmung. Sie fordert also zu ihrer Möglichkeit nothwendig ein Ge-
schlecht, das Individuum wie Ein Mensch ist. Die Unbegreiflichkeit,

Univerſum an ſich, in der urbildlichen Welt, wovon die Mythologie die
unmittelbare Darſtellung, Vergangenheit und Zukunft als Eines ſind,
ſo muß daſſelbe auch in der Mythologie der Fall ſeyn. Sie muß
nicht nur das Gegenwärtige oder auch Vergangene darſtellen, ſondern
auch die Zukunft begreifen; ſie muß wie durch prophetiſche Anticipation
auch künftigen Verhältniſſen und den unendlichen Entwickelungen der
Zeit zum voraus angemeſſen oder adäquat, d. h. ſie muß unend-
lich ſeyn.

Dieſe Unendlichkeit muß ſich gegenüber von dem Verſtand dadurch
ausdrücken, daß kein Verſtand fähig iſt ſie ganz zu entwickeln, daß in
ihm ſelbſt eine unendliche Möglichkeit liegt, immer neue Beziehungen
zu bilden.

§. 41. Die Dichtungen der Mythologie können weder
als abſichtlich noch als unabſichtlich gedacht werden
. —
Nicht als abſichtlich, denn ſonſt wären ſie um einer Bedeutung willen
erfunden, welches nach §. 39 unmöglich iſt. Nicht unabſichtlich, weil
nicht bedeutungslos. Es iſt damit im Grunde daſſelbe behauptet, was
ſchon in dem Vorhergehenden implicite behauptet wurde, nämlich die
Dichtungen der Mythologie ſind zugleich bedeutend und bedeutungslos
— bedeutend, weil ein Allgemeines im Beſonderen, bedeutungslos, weil
beides wieder mit abſoluter Indifferenz, ſo daß das, worin indifferen-
ziirt, wieder abſolut, um ſeiner ſelbſt willen iſt.

§. 42. Die Mythologie kann weder das Werk des
einzelnen Menſchen noch des Geſchlechts oder der Gat-
tung ſeyn
(ſofern dieſe nur eine Zuſammenſetzung der Individuen),
ſondern allein des Geſchlechts, ſofern es ſelbſt Indivi-
duum und einem einzelnen Menſchen gleich iſt
. Nicht des
Einzelnen, weil die Mythologie abſolute Objektivität haben, eine zweite
Welt ſeyn ſoll, die nicht die des Einzelnen ſeyn kann. Nicht eines
Geſchlechts oder der Gattung, ſofern ſie nur eine Zuſammenſetzung
der Individuen, denn alsdann wäre ſie ohne harmoniſche Zuſammen-
ſtimmung. Sie fordert alſo zu ihrer Möglichkeit nothwendig ein Ge-
ſchlecht, das Individuum wie Ein Menſch iſt. Die Unbegreiflichkeit,

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[414/0090] Univerſum an ſich, in der urbildlichen Welt, wovon die Mythologie die unmittelbare Darſtellung, Vergangenheit und Zukunft als Eines ſind, ſo muß daſſelbe auch in der Mythologie der Fall ſeyn. Sie muß nicht nur das Gegenwärtige oder auch Vergangene darſtellen, ſondern auch die Zukunft begreifen; ſie muß wie durch prophetiſche Anticipation auch künftigen Verhältniſſen und den unendlichen Entwickelungen der Zeit zum voraus angemeſſen oder adäquat, d. h. ſie muß unend- lich ſeyn. Dieſe Unendlichkeit muß ſich gegenüber von dem Verſtand dadurch ausdrücken, daß kein Verſtand fähig iſt ſie ganz zu entwickeln, daß in ihm ſelbſt eine unendliche Möglichkeit liegt, immer neue Beziehungen zu bilden. §. 41. Die Dichtungen der Mythologie können weder als abſichtlich noch als unabſichtlich gedacht werden. — Nicht als abſichtlich, denn ſonſt wären ſie um einer Bedeutung willen erfunden, welches nach §. 39 unmöglich iſt. Nicht unabſichtlich, weil nicht bedeutungslos. Es iſt damit im Grunde daſſelbe behauptet, was ſchon in dem Vorhergehenden implicite behauptet wurde, nämlich die Dichtungen der Mythologie ſind zugleich bedeutend und bedeutungslos — bedeutend, weil ein Allgemeines im Beſonderen, bedeutungslos, weil beides wieder mit abſoluter Indifferenz, ſo daß das, worin indifferen- ziirt, wieder abſolut, um ſeiner ſelbſt willen iſt. §. 42. Die Mythologie kann weder das Werk des einzelnen Menſchen noch des Geſchlechts oder der Gat- tung ſeyn (ſofern dieſe nur eine Zuſammenſetzung der Individuen), ſondern allein des Geſchlechts, ſofern es ſelbſt Indivi- duum und einem einzelnen Menſchen gleich iſt. Nicht des Einzelnen, weil die Mythologie abſolute Objektivität haben, eine zweite Welt ſeyn ſoll, die nicht die des Einzelnen ſeyn kann. Nicht eines Geſchlechts oder der Gattung, ſofern ſie nur eine Zuſammenſetzung der Individuen, denn alsdann wäre ſie ohne harmoniſche Zuſammen- ſtimmung. Sie fordert alſo zu ihrer Möglichkeit nothwendig ein Ge- ſchlecht, das Individuum wie Ein Menſch iſt. Die Unbegreiflichkeit,

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/90>, abgerufen am 21.11.2024.