ist, so gilt er auch für die Staatsverfassung. Nun giebt es aber wohl überhaupt keine wan¬ delbarere Sicherheit, als jene; denn von dem, was heute nützlich ist, ist es morgen das Ge¬ gentheil. Aber noch überdieß muß dieser, es sey durch welche Wirkung, sich verbreitende Trieb alles Große und jede Energie unter einer Na¬ tion ersticken. Nach dem Maaßstabe desselben wäre die Erfindung des Spinnrads wichtiger, als die eines Weltsystems, und die Einführung der Spanischen Schafzucht in einem Lande für ein größeres Werk zu achten, als die Umgestal¬ tung einer Welt durch die fast göttlichen Kräfte eines Eroberers. Wenn Philosophie eine Na¬ tion groß machen könnte, so wäre es eine sol¬ che, die ganz in Ideen ist, die nicht über den Genuß grübelte oder die Liebe zum Leben als erste Triebfeder obenansetzte, sondern die Ver¬ achtung des Todes lehrte und nicht die Tugen¬ den großer Karaktere psychologisch zergliederte. In Deutschland könnte, da kein äußeres Band es vermag, nur ein inneres, eine herrschende Religion oder Philosophie, den alten National¬
iſt, ſo gilt er auch fuͤr die Staatsverfaſſung. Nun giebt es aber wohl uͤberhaupt keine wan¬ delbarere Sicherheit, als jene; denn von dem, was heute nuͤtzlich iſt, iſt es morgen das Ge¬ gentheil. Aber noch uͤberdieß muß dieſer, es ſey durch welche Wirkung, ſich verbreitende Trieb alles Große und jede Energie unter einer Na¬ tion erſticken. Nach dem Maaßſtabe deſſelben waͤre die Erfindung des Spinnrads wichtiger, als die eines Weltſyſtems, und die Einfuͤhrung der Spaniſchen Schafzucht in einem Lande fuͤr ein groͤßeres Werk zu achten, als die Umgeſtal¬ tung einer Welt durch die faſt goͤttlichen Kraͤfte eines Eroberers. Wenn Philoſophie eine Na¬ tion groß machen koͤnnte, ſo waͤre es eine ſol¬ che, die ganz in Ideen iſt, die nicht uͤber den Genuß gruͤbelte oder die Liebe zum Leben als erſte Triebfeder obenanſetzte, ſondern die Ver¬ achtung des Todes lehrte und nicht die Tugen¬ den großer Karaktere pſychologiſch zergliederte. In Deutſchland koͤnnte, da kein aͤußeres Band es vermag, nur ein inneres, eine herrſchende Religion oder Philoſophie, den alten National¬
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iſt, ſo gilt er auch fuͤr die Staatsverfaſſung.
Nun giebt es aber wohl uͤberhaupt keine wan¬
delbarere Sicherheit, als jene; denn von dem,
was heute nuͤtzlich iſt, iſt es morgen das Ge¬
gentheil. Aber noch uͤberdieß muß dieſer, es
ſey durch welche Wirkung, ſich verbreitende Trieb
alles Große und jede Energie unter einer Na¬
tion erſticken. Nach dem Maaßſtabe deſſelben
waͤre die Erfindung des Spinnrads wichtiger,
als die eines Weltſyſtems, und die Einfuͤhrung
der Spaniſchen Schafzucht in einem Lande fuͤr
ein groͤßeres Werk zu achten, als die Umgeſtal¬
tung einer Welt durch die faſt goͤttlichen Kraͤfte
eines Eroberers. Wenn Philoſophie eine Na¬
tion groß machen koͤnnte, ſo waͤre es eine ſol¬
che, die ganz in Ideen iſt, die nicht uͤber den
Genuß gruͤbelte oder die Liebe zum Leben als
erſte Triebfeder obenanſetzte, ſondern die Ver¬
achtung des Todes lehrte und nicht die Tugen¬
den großer Karaktere pſychologiſch zergliederte.
In Deutſchland koͤnnte, da kein aͤußeres Band
es vermag, nur ein inneres, eine herrſchende
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/117>, abgerufen am 21.11.2024.
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