Wissenschaft als organisches Glied begreifen, und ihre Bestimmung in der sich bildenden Welt zum Voraus erkennen. Hiezu muß er entweder durch sich selbst oder durch andere zu einer Zeit gelangen, wo er nicht selbst schon in obsoleten Formen verhärtet, noch nicht durch lange Einwirkung fremder oder Ausübung ei¬ gener Geistlosigkeit der höhere Funken in ihm erstickt ist, in der früheren Jugend also, und nach unsern Einrichtungen im Anfang des aka¬ demischen Studium.
Von wem soll er diese Erkenntniß erlangen und wem soll er sich in dieser Rücksicht ver¬ trauen? Am meisten sich selbst und dem bes¬ sern Genius, der sicher leitet; dann denenje¬ nigen, von denen sich am bestimmtesten einse¬ hen läßt, daß sie durch ihre besondere Wissen¬ schaft schon verbunden waren, sich die höchsten und allgemeinsten Ansichten von dem Ganzen der Wissenschaften zu erwerben. Derjenige, welcher selbst nicht die allgemeine Idee der Wissenschaft hat, ist ohne Zweifel am wenig¬ sten fähig, sie in andern zu erwecken; der ei¬
Wiſſenſchaft als organiſches Glied begreifen, und ihre Beſtimmung in der ſich bildenden Welt zum Voraus erkennen. Hiezu muß er entweder durch ſich ſelbſt oder durch andere zu einer Zeit gelangen, wo er nicht ſelbſt ſchon in obſoleten Formen verhaͤrtet, noch nicht durch lange Einwirkung fremder oder Ausuͤbung ei¬ gener Geiſtloſigkeit der hoͤhere Funken in ihm erſtickt iſt, in der fruͤheren Jugend alſo, und nach unſern Einrichtungen im Anfang des aka¬ demiſchen Studium.
Von wem ſoll er dieſe Erkenntniß erlangen und wem ſoll er ſich in dieſer Ruͤckſicht ver¬ trauen? Am meiſten ſich ſelbſt und dem beſ¬ ſern Genius, der ſicher leitet; dann denenje¬ nigen, von denen ſich am beſtimmteſten einſe¬ hen laͤßt, daß ſie durch ihre beſondere Wiſſen¬ ſchaft ſchon verbunden waren, ſich die hoͤchſten und allgemeinſten Anſichten von dem Ganzen der Wiſſenſchaften zu erwerben. Derjenige, welcher ſelbſt nicht die allgemeine Idee der Wiſſenſchaft hat, iſt ohne Zweifel am wenig¬ ſten faͤhig, ſie in andern zu erwecken; der ei¬
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[9/0018]
Wiſſenſchaft als organiſches Glied begreifen,
und ihre Beſtimmung in der ſich bildenden
Welt zum Voraus erkennen. Hiezu muß er
entweder durch ſich ſelbſt oder durch andere zu
einer Zeit gelangen, wo er nicht ſelbſt ſchon in
obſoleten Formen verhaͤrtet, noch nicht durch
lange Einwirkung fremder oder Ausuͤbung ei¬
gener Geiſtloſigkeit der hoͤhere Funken in ihm
erſtickt iſt, in der fruͤheren Jugend alſo, und
nach unſern Einrichtungen im Anfang des aka¬
demiſchen Studium.
Von wem ſoll er dieſe Erkenntniß erlangen
und wem ſoll er ſich in dieſer Ruͤckſicht ver¬
trauen? Am meiſten ſich ſelbſt und dem beſ¬
ſern Genius, der ſicher leitet; dann denenje¬
nigen, von denen ſich am beſtimmteſten einſe¬
hen laͤßt, daß ſie durch ihre beſondere Wiſſen¬
ſchaft ſchon verbunden waren, ſich die hoͤchſten
und allgemeinſten Anſichten von dem Ganzen
der Wiſſenſchaften zu erwerben. Derjenige,
welcher ſelbſt nicht die allgemeine Idee der
Wiſſenſchaft hat, iſt ohne Zweifel am wenig¬
ſten faͤhig, ſie in andern zu erwecken; der ei¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/18>, abgerufen am 21.11.2024.
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