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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

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welt wie in einer Knospe verschlossen, verhüllt
im Gegenstand und unausgesprochen im Sub¬
ject. Das Christenthum dagegen ist das geof¬
fenbarte Mysterium und, wie das Heidenthum
seiner Natur nach exoterisch, eben so seiner Na¬
tur nach esoterisch.

Mit dem Christenthum mußte sich eben
deswegen auch das ganze Verhältniß der Natur
und der idealen Welt umkehren, und wie jene
im Heidenthum das Offenbare war, dagegen
diese als Mysterium zurücktrat, so mußte im
Christenthum vielmehr, in dem Verhältniß als
die ideelle Welt offenbar wurde, die Natur als
Geheimniß zurücktreten. Den Griechen war
die Natur unmittelbar und an sich selbst gött¬
lich, weil auch ihre Götter nicht außer- und
übernatürlich waren. Der neueren Welt war
sie verschlossen, weil diese sie nicht an sich selbst,
sondern als Gleichniß der unsichtbaren und gei¬
stigen Welt begriff. Die lebendigsten Erschei¬
nungen der Natur, wie die der Electricität und
der Körper, wenn sie sich chemisch verändern,
waren den Alten kaum bekannt, oder erweckten

welt wie in einer Knoſpe verſchloſſen, verhuͤllt
im Gegenſtand und unausgeſprochen im Sub¬
ject. Das Chriſtenthum dagegen iſt das geof¬
fenbarte Myſterium und, wie das Heidenthum
ſeiner Natur nach exoteriſch, eben ſo ſeiner Na¬
tur nach eſoteriſch.

Mit dem Chriſtenthum mußte ſich eben
deswegen auch das ganze Verhaͤltniß der Natur
und der idealen Welt umkehren, und wie jene
im Heidenthum das Offenbare war, dagegen
dieſe als Myſterium zuruͤcktrat, ſo mußte im
Chriſtenthum vielmehr, in dem Verhaͤltniß als
die ideelle Welt offenbar wurde, die Natur als
Geheimniß zuruͤcktreten. Den Griechen war
die Natur unmittelbar und an ſich ſelbſt goͤtt¬
lich, weil auch ihre Goͤtter nicht außer- und
uͤbernatuͤrlich waren. Der neueren Welt war
ſie verſchloſſen, weil dieſe ſie nicht an ſich ſelbſt,
ſondern als Gleichniß der unſichtbaren und gei¬
ſtigen Welt begriff. Die lebendigſten Erſchei¬
nungen der Natur, wie die der Electricitaͤt und
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[174/0183] welt wie in einer Knoſpe verſchloſſen, verhuͤllt im Gegenſtand und unausgeſprochen im Sub¬ ject. Das Chriſtenthum dagegen iſt das geof¬ fenbarte Myſterium und, wie das Heidenthum ſeiner Natur nach exoteriſch, eben ſo ſeiner Na¬ tur nach eſoteriſch. Mit dem Chriſtenthum mußte ſich eben deswegen auch das ganze Verhaͤltniß der Natur und der idealen Welt umkehren, und wie jene im Heidenthum das Offenbare war, dagegen dieſe als Myſterium zuruͤcktrat, ſo mußte im Chriſtenthum vielmehr, in dem Verhaͤltniß als die ideelle Welt offenbar wurde, die Natur als Geheimniß zuruͤcktreten. Den Griechen war die Natur unmittelbar und an ſich ſelbſt goͤtt¬ lich, weil auch ihre Goͤtter nicht außer- und uͤbernatuͤrlich waren. Der neueren Welt war ſie verſchloſſen, weil dieſe ſie nicht an ſich ſelbſt, ſondern als Gleichniß der unſichtbaren und gei¬ ſtigen Welt begriff. Die lebendigſten Erſchei¬ nungen der Natur, wie die der Electricitaͤt und der Koͤrper, wenn ſie ſich chemiſch veraͤndern, waren den Alten kaum bekannt, oder erweckten

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/183>, abgerufen am 24.11.2024.