abzusondern. Auf die Auslegung derselben können die höheren Ideen keinen Einfluß ha¬ ben, diese muß ganz unabhängig wie bey jedem andern Schriftsteller geschehen, wo nicht gefragt wird, ob das, was er sagt, ver¬ nunftgemäß, historisch wahr oder religiös ist, sondern ob er es wirklich gesagt hat. Hin¬ wiederum ob diese Bücher ächt oder unächt, die darinn enthaltenen Erzählungen wirkliche unentstellte Facta sind, ob ihr Inhalt selbst der Idee des Christenthums angemessen ist oder nicht, kann an der Realität derselben nichts ändern, da sie nicht von dieser Ein¬ zelheit abhängig, sondern allgemein und ab¬ solut ist. Und schon längst, wenn man nicht das Christenthum selbst als bloß zeitliche Er¬ scheinung begriffen hätte, wäre die Auslegung frey gegeben, so daß wir in der historischen Würdigung dieser für die erste Geschichte des¬ selben so wichtigen Urkunden schon viel wei¬ ter gelangt seyn, und in einer so einfachen Sache nicht bis jetzt noch so viele Umwege und Verwickelungen gesucht würden.
abzuſondern. Auf die Auslegung derſelben koͤnnen die hoͤheren Ideen keinen Einfluß ha¬ ben, dieſe muß ganz unabhaͤngig wie bey jedem andern Schriftſteller geſchehen, wo nicht gefragt wird, ob das, was er ſagt, ver¬ nunftgemaͤß, hiſtoriſch wahr oder religioͤs iſt, ſondern ob er es wirklich geſagt hat. Hin¬ wiederum ob dieſe Buͤcher aͤcht oder unaͤcht, die darinn enthaltenen Erzaͤhlungen wirkliche unentſtellte Facta ſind, ob ihr Inhalt ſelbſt der Idee des Chriſtenthums angemeſſen iſt oder nicht, kann an der Realitaͤt derſelben nichts aͤndern, da ſie nicht von dieſer Ein¬ zelheit abhaͤngig, ſondern allgemein und ab¬ ſolut iſt. Und ſchon laͤngſt, wenn man nicht das Chriſtenthum ſelbſt als bloß zeitliche Er¬ ſcheinung begriffen haͤtte, waͤre die Auslegung frey gegeben, ſo daß wir in der hiſtoriſchen Wuͤrdigung dieſer fuͤr die erſte Geſchichte deſ¬ ſelben ſo wichtigen Urkunden ſchon viel wei¬ ter gelangt ſeyn, und in einer ſo einfachen Sache nicht bis jetzt noch ſo viele Umwege und Verwickelungen geſucht wuͤrden.
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[206/0215]
abzuſondern. Auf die Auslegung derſelben
koͤnnen die hoͤheren Ideen keinen Einfluß ha¬
ben, dieſe muß ganz unabhaͤngig wie bey
jedem andern Schriftſteller geſchehen, wo nicht
gefragt wird, ob das, was er ſagt, ver¬
nunftgemaͤß, hiſtoriſch wahr oder religioͤs iſt,
ſondern ob er es wirklich geſagt hat. Hin¬
wiederum ob dieſe Buͤcher aͤcht oder unaͤcht,
die darinn enthaltenen Erzaͤhlungen wirkliche
unentſtellte Facta ſind, ob ihr Inhalt ſelbſt
der Idee des Chriſtenthums angemeſſen iſt
oder nicht, kann an der Realitaͤt derſelben
nichts aͤndern, da ſie nicht von dieſer Ein¬
zelheit abhaͤngig, ſondern allgemein und ab¬
ſolut iſt. Und ſchon laͤngſt, wenn man nicht
das Chriſtenthum ſelbſt als bloß zeitliche Er¬
ſcheinung begriffen haͤtte, waͤre die Auslegung
frey gegeben, ſo daß wir in der hiſtoriſchen
Wuͤrdigung dieſer fuͤr die erſte Geſchichte deſ¬
ſelben ſo wichtigen Urkunden ſchon viel wei¬
ter gelangt ſeyn, und in einer ſo einfachen
Sache nicht bis jetzt noch ſo viele Umwege
und Verwickelungen geſucht wuͤrden.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/215>, abgerufen am 24.11.2024.
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