Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

chenschaft abzulegen, nachdem man sich selbst
den Weg dazu versperrt hatte, führte die Tren¬
nung der Anatomie und Physiologie, die sich
beyde wie Aeußeres und Inneres entsprechen
müßten, und jene ganz mechanische Art des
Vortrags herbey, der in den meisten Lehrbü¬
chern und auf Academieen der herrschende ist.
Der Anatom, welcher seine Wissenschaft
zugleich als Naturforscher und im allgemeinen
Geiste behandeln wollte, müßte zuvörderst erken¬
nen, daß es einer Abstraction, einer Erhebung
über die gemeine Ansicht bedarf, um die wirkli¬
chen Formen auch nur historisch wahr auszuspre¬
chen. Er begreife das Symbolische aller Gestal¬
ten und daß auch in dem Besondern immer eine
allgemeine Form, wie in dem Aeußern ein in¬
nerer Typus ausgedrückt ist. Er frage nicht,
wozu dient dieses oder jenes Organ? sondern,
wie ist es entstanden? und zeige die reine Noth¬
wendigkeit seiner Formation. Je allgemeiner,
je weniger auf den besondern Fall eingerichtet
die Ansichten sind, aus denen er die Genesis
der Formen herleitet, desto eher wird er die

chenſchaft abzulegen, nachdem man ſich ſelbſt
den Weg dazu verſperrt hatte, fuͤhrte die Tren¬
nung der Anatomie und Phyſiologie, die ſich
beyde wie Aeußeres und Inneres entſprechen
muͤßten, und jene ganz mechaniſche Art des
Vortrags herbey, der in den meiſten Lehrbuͤ¬
chern und auf Academieen der herrſchende iſt.
Der Anatom, welcher ſeine Wiſſenſchaft
zugleich als Naturforſcher und im allgemeinen
Geiſte behandeln wollte, muͤßte zuvoͤrderſt erken¬
nen, daß es einer Abſtraction, einer Erhebung
uͤber die gemeine Anſicht bedarf, um die wirkli¬
chen Formen auch nur hiſtoriſch wahr auszuſpre¬
chen. Er begreife das Symboliſche aller Geſtal¬
ten und daß auch in dem Beſondern immer eine
allgemeine Form, wie in dem Aeußern ein in¬
nerer Typus ausgedruͤckt iſt. Er frage nicht,
wozu dient dieſes oder jenes Organ? ſondern,
wie iſt es entſtanden? und zeige die reine Noth¬
wendigkeit ſeiner Formation. Je allgemeiner,
je weniger auf den beſondern Fall eingerichtet
die Anſichten ſind, aus denen er die Geneſis
der Formen herleitet, deſto eher wird er die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0309" n="300"/>
chen&#x017F;chaft abzulegen, nachdem man &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
den Weg dazu ver&#x017F;perrt hatte, fu&#x0364;hrte die Tren¬<lb/>
nung der Anatomie und Phy&#x017F;iologie, die &#x017F;ich<lb/>
beyde wie Aeußeres und Inneres ent&#x017F;prechen<lb/>
mu&#x0364;ßten, und jene ganz mechani&#x017F;che Art des<lb/>
Vortrags herbey, der in den mei&#x017F;ten Lehrbu&#x0364;¬<lb/>
chern und auf Academieen der herr&#x017F;chende i&#x017F;t.<lb/>
Der Anatom, welcher &#x017F;eine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
zugleich als Naturfor&#x017F;cher und im allgemeinen<lb/>
Gei&#x017F;te behandeln wollte, mu&#x0364;ßte zuvo&#x0364;rder&#x017F;t erken¬<lb/>
nen, daß es einer Ab&#x017F;traction, einer Erhebung<lb/>
u&#x0364;ber die gemeine An&#x017F;icht bedarf, um die wirkli¬<lb/>
chen Formen auch nur hi&#x017F;tori&#x017F;ch wahr auszu&#x017F;pre¬<lb/>
chen. Er begreife das Symboli&#x017F;che aller Ge&#x017F;tal¬<lb/>
ten und daß auch in dem Be&#x017F;ondern immer eine<lb/>
allgemeine Form, wie in dem Aeußern ein in¬<lb/>
nerer Typus ausgedru&#x0364;ckt i&#x017F;t. Er frage nicht,<lb/>
wozu dient die&#x017F;es oder jenes Organ? &#x017F;ondern,<lb/>
wie i&#x017F;t es ent&#x017F;tanden? und zeige die reine Noth¬<lb/>
wendigkeit &#x017F;einer Formation. Je allgemeiner,<lb/>
je weniger auf den be&#x017F;ondern Fall eingerichtet<lb/>
die An&#x017F;ichten &#x017F;ind, aus denen er die Gene&#x017F;is<lb/>
der Formen herleitet, de&#x017F;to eher wird er die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0309] chenſchaft abzulegen, nachdem man ſich ſelbſt den Weg dazu verſperrt hatte, fuͤhrte die Tren¬ nung der Anatomie und Phyſiologie, die ſich beyde wie Aeußeres und Inneres entſprechen muͤßten, und jene ganz mechaniſche Art des Vortrags herbey, der in den meiſten Lehrbuͤ¬ chern und auf Academieen der herrſchende iſt. Der Anatom, welcher ſeine Wiſſenſchaft zugleich als Naturforſcher und im allgemeinen Geiſte behandeln wollte, muͤßte zuvoͤrderſt erken¬ nen, daß es einer Abſtraction, einer Erhebung uͤber die gemeine Anſicht bedarf, um die wirkli¬ chen Formen auch nur hiſtoriſch wahr auszuſpre¬ chen. Er begreife das Symboliſche aller Geſtal¬ ten und daß auch in dem Beſondern immer eine allgemeine Form, wie in dem Aeußern ein in¬ nerer Typus ausgedruͤckt iſt. Er frage nicht, wozu dient dieſes oder jenes Organ? ſondern, wie iſt es entſtanden? und zeige die reine Noth¬ wendigkeit ſeiner Formation. Je allgemeiner, je weniger auf den beſondern Fall eingerichtet die Anſichten ſind, aus denen er die Geneſis der Formen herleitet, deſto eher wird er die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/309
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/309>, abgerufen am 22.11.2024.