Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_090.001 Wir bleiben auf dem erotischen Gebiet, gehen aber zu psc_090.014 psc_090.001 Wir bleiben auf dem erotischen Gebiet, gehen aber zu psc_090.014 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0106" n="90"/><lb n="psc_090.001"/> erreicht wird, daß das Liebeswerben verstärkte Macht übt, <lb n="psc_090.002"/> wenn es ausgeübt wird durch Worte, welche die Vorstellung <lb n="psc_090.003"/> erwecken. Das werbende Liebeslied ist ein erfahrungsmäßig <lb n="psc_090.004"/> probat gefundenes Mittel zum Zweck: die Vorstellung, die <lb n="psc_090.005"/> den Liebenden erfreut, soll durch Ausdruck in der Geliebten <lb n="psc_090.006"/> wach werden; Ausdruck und Vorstellung sind associirt. Der <lb n="psc_090.007"/> Werbende macht von dieser Erfahrung Gebrauch zu seinem <lb n="psc_090.008"/> Zwecke, die Geliebte geneigt zu machen. Wenn hier die speciellen <lb n="psc_090.009"/> Reize von Sprachklang und Rhythmus herbeigezogen <lb n="psc_090.010"/> werden, so muß ich allerdings auf das spätere Kapitel <lb n="psc_090.011"/> „Äußere Form“ verweisen, wo diese Dinge erst erschöpft <lb n="psc_090.012"/> werden können.</p> <lb n="psc_090.013"/> <p> Wir bleiben auf dem erotischen Gebiet, gehen aber zu <lb n="psc_090.014"/> einer andern ganz neuen Gattung solcher Poesie über. Demodokos <lb n="psc_090.015"/> singt bei den Phäaken (Od. 8, 266 f.) von Ares <lb n="psc_090.016"/> und Aphrodite, die mitten im Liebesgenuß von Hephaistos <lb n="psc_090.017"/> überrascht und, durch ein Netz festgehalten, zum Schauspiel für <lb n="psc_090.018"/> die Götter werden. Da haben wir <hi rendition="#g">Lachen erregende Erzählung,</hi> <lb n="psc_090.019"/> vergnügliche Vorstellung erotischen Jnhalts, die in <lb n="psc_090.020"/> Form einer Erzählung erweckt wird. Hier also treffen wir die <lb n="psc_090.021"/> Gattung der Erzählung, die bekanntlich zu den ältesten Arten <lb n="psc_090.022"/> gehört, wie wir sie bei den Naturvölkern fanden. Bei diesem <lb n="psc_090.023"/> Beispiel ist Erregung von Lachen ausgesprochener Zweck und <lb n="psc_090.024"/> zwar mittelst einer erotischen Vorstellung, eines Liebesabenteuers. <lb n="psc_090.025"/> Hier zeigt sich die große Kunst der homerischen Erzählung <lb n="psc_090.026"/> in folgenden Zügen. Es ist ein Kunstgriff des Erzählers, <lb n="psc_090.027"/> daß er in seine Erzählung ein Publicum hineinbringt: <lb n="psc_090.028"/> die Götter, versammelt, lachen und machen so dem Publicum </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [90/0106]
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erreicht wird, daß das Liebeswerben verstärkte Macht übt, psc_090.002
wenn es ausgeübt wird durch Worte, welche die Vorstellung psc_090.003
erwecken. Das werbende Liebeslied ist ein erfahrungsmäßig psc_090.004
probat gefundenes Mittel zum Zweck: die Vorstellung, die psc_090.005
den Liebenden erfreut, soll durch Ausdruck in der Geliebten psc_090.006
wach werden; Ausdruck und Vorstellung sind associirt. Der psc_090.007
Werbende macht von dieser Erfahrung Gebrauch zu seinem psc_090.008
Zwecke, die Geliebte geneigt zu machen. Wenn hier die speciellen psc_090.009
Reize von Sprachklang und Rhythmus herbeigezogen psc_090.010
werden, so muß ich allerdings auf das spätere Kapitel psc_090.011
„Äußere Form“ verweisen, wo diese Dinge erst erschöpft psc_090.012
werden können.
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Wir bleiben auf dem erotischen Gebiet, gehen aber zu psc_090.014
einer andern ganz neuen Gattung solcher Poesie über. Demodokos psc_090.015
singt bei den Phäaken (Od. 8, 266 f.) von Ares psc_090.016
und Aphrodite, die mitten im Liebesgenuß von Hephaistos psc_090.017
überrascht und, durch ein Netz festgehalten, zum Schauspiel für psc_090.018
die Götter werden. Da haben wir Lachen erregende Erzählung, psc_090.019
vergnügliche Vorstellung erotischen Jnhalts, die in psc_090.020
Form einer Erzählung erweckt wird. Hier also treffen wir die psc_090.021
Gattung der Erzählung, die bekanntlich zu den ältesten Arten psc_090.022
gehört, wie wir sie bei den Naturvölkern fanden. Bei diesem psc_090.023
Beispiel ist Erregung von Lachen ausgesprochener Zweck und psc_090.024
zwar mittelst einer erotischen Vorstellung, eines Liebesabenteuers. psc_090.025
Hier zeigt sich die große Kunst der homerischen Erzählung psc_090.026
in folgenden Zügen. Es ist ein Kunstgriff des Erzählers, psc_090.027
daß er in seine Erzählung ein Publicum hineinbringt: psc_090.028
die Götter, versammelt, lachen und machen so dem Publicum
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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