Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

psc_134.001
und Moderni, der sich so oft in Poesie und Wissenschaft psc_134.002
wiederholt; niemals ist ja eine Litteratur ganz einheitlich. psc_134.003
Sehr wichtig ist ein weiteres Moment: der verschiedene psc_134.004
Stand der Dichter, welcher zugleich verschiedene Bildung psc_134.005
voraussetzt. Träger der Volkspoesie sind die fahrenden Sänger, psc_134.006
Vertreter der kunstmäßigen Dichtung die Adeligen. Aber auch psc_134.007
dieser Unterschied, die verschiedene Einwirkung von Stand psc_134.008
und Bildung auf die Production, ist einer, der sich zu allen psc_134.009
Zeiten geltend gemacht hat, nicht bloß im Mittelalter.

psc_134.010

Es wäre nun möglich alle solche Momente, die wir für psc_134.011
den Gegensatz in der deutschen Poesie des 12. und 13. Jahrhunderts psc_134.012
in Anschlag gebracht haben, näher zu untersuchen psc_134.013
und zu prüfen, ob sie maßgebend oder unwesentlich sind. psc_134.014
Einzelne Momente liegen in der Natur des Dichtens überhaupt psc_134.015
und sind daher unvermeidlich; dafür wäre der Nachweis psc_134.016
zu führen. Andere aber sind nicht wegzuschaffen und psc_134.017
schließlich bleiben nur die Momente, die auf den Unterschied psc_134.018
von geschriebener und ungeschriebener Dichtung zurückgehen. psc_134.019
Es sind das zwei Momente:

psc_134.020

1. Die höfischen Dichter schöpfen aus dem Buch, die psc_134.021
volksthümlichen aus gedächtnißmäßiger Überlieferung. Dort psc_134.022
kann der Stoff ausschließlich von Buch zu Buch gegangen psc_134.023
sein; hier dagegen waltet die lebendige Sage. Für die Entstehung psc_134.024
der Sage und für das eigenthümliche Leben der psc_134.025
Sage ist der Mangel an schriftlicher Überlieferung geradezu psc_134.026
entscheidend in der Lehre vom Epos. Hier giebt der Unterschied psc_134.027
von Sage und Epos einerseits, Geschichte andererseits, psc_134.028
d. h. genauer und ungenauer Überlieferung den Ausschlag. Das

psc_134.001
und Moderni, der sich so oft in Poesie und Wissenschaft psc_134.002
wiederholt; niemals ist ja eine Litteratur ganz einheitlich. psc_134.003
Sehr wichtig ist ein weiteres Moment: der verschiedene psc_134.004
Stand der Dichter, welcher zugleich verschiedene Bildung psc_134.005
voraussetzt. Träger der Volkspoesie sind die fahrenden Sänger, psc_134.006
Vertreter der kunstmäßigen Dichtung die Adeligen. Aber auch psc_134.007
dieser Unterschied, die verschiedene Einwirkung von Stand psc_134.008
und Bildung auf die Production, ist einer, der sich zu allen psc_134.009
Zeiten geltend gemacht hat, nicht bloß im Mittelalter.

psc_134.010

  Es wäre nun möglich alle solche Momente, die wir für psc_134.011
den Gegensatz in der deutschen Poesie des 12. und 13. Jahrhunderts psc_134.012
in Anschlag gebracht haben, näher zu untersuchen psc_134.013
und zu prüfen, ob sie maßgebend oder unwesentlich sind. psc_134.014
Einzelne Momente liegen in der Natur des Dichtens überhaupt psc_134.015
und sind daher unvermeidlich; dafür wäre der Nachweis psc_134.016
zu führen. Andere aber sind nicht wegzuschaffen und psc_134.017
schließlich bleiben nur die Momente, die auf den Unterschied psc_134.018
von geschriebener und ungeschriebener Dichtung zurückgehen. psc_134.019
Es sind das zwei Momente:

psc_134.020

  1. Die höfischen Dichter schöpfen aus dem Buch, die psc_134.021
volksthümlichen aus gedächtnißmäßiger Überlieferung. Dort psc_134.022
kann der Stoff ausschließlich von Buch zu Buch gegangen psc_134.023
sein; hier dagegen waltet die lebendige Sage. Für die Entstehung psc_134.024
der Sage und für das eigenthümliche Leben der psc_134.025
Sage ist der Mangel an schriftlicher Überlieferung geradezu psc_134.026
entscheidend in der Lehre vom Epos. Hier giebt der Unterschied psc_134.027
von Sage und Epos einerseits, Geschichte andererseits, psc_134.028
d. h. genauer und ungenauer Überlieferung den Ausschlag. Das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0150" n="134"/><lb n="psc_134.001"/>
und <hi rendition="#aq">Moderni</hi>, der sich so oft in Poesie und Wissenschaft <lb n="psc_134.002"/>
wiederholt; niemals ist ja eine Litteratur ganz einheitlich. <lb n="psc_134.003"/>
Sehr wichtig ist ein weiteres Moment: der verschiedene <lb n="psc_134.004"/> <hi rendition="#g">Stand</hi> der Dichter, welcher zugleich verschiedene Bildung <lb n="psc_134.005"/>
voraussetzt. Träger der Volkspoesie sind die fahrenden Sänger, <lb n="psc_134.006"/>
Vertreter der kunstmäßigen Dichtung die Adeligen. Aber auch <lb n="psc_134.007"/>
dieser Unterschied, die verschiedene Einwirkung von Stand <lb n="psc_134.008"/>
und Bildung auf die Production, ist einer, der sich zu allen <lb n="psc_134.009"/>
Zeiten geltend gemacht hat, nicht bloß im Mittelalter.</p>
            <lb n="psc_134.010"/>
            <p>  Es wäre nun möglich alle solche Momente, die wir für <lb n="psc_134.011"/>
den Gegensatz in der deutschen Poesie des 12. und 13. Jahrhunderts <lb n="psc_134.012"/>
in Anschlag gebracht haben, näher zu untersuchen <lb n="psc_134.013"/>
und zu prüfen, ob sie maßgebend oder unwesentlich sind. <lb n="psc_134.014"/>
Einzelne Momente liegen in der Natur des Dichtens überhaupt <lb n="psc_134.015"/>
und sind daher unvermeidlich; dafür wäre der Nachweis <lb n="psc_134.016"/>
zu führen. Andere aber sind nicht wegzuschaffen und <lb n="psc_134.017"/>
schließlich bleiben nur die Momente, die auf den Unterschied <lb n="psc_134.018"/>
von geschriebener und ungeschriebener Dichtung zurückgehen. <lb n="psc_134.019"/>
Es sind das zwei Momente:</p>
            <lb n="psc_134.020"/>
            <p>  1. Die höfischen Dichter schöpfen aus dem Buch, die <lb n="psc_134.021"/>
volksthümlichen aus gedächtnißmäßiger Überlieferung. Dort <lb n="psc_134.022"/>
kann der Stoff ausschließlich von Buch zu Buch gegangen <lb n="psc_134.023"/>
sein; hier dagegen waltet die lebendige Sage. Für die Entstehung <lb n="psc_134.024"/>
der Sage und für das eigenthümliche Leben der <lb n="psc_134.025"/>
Sage ist der Mangel an schriftlicher Überlieferung geradezu <lb n="psc_134.026"/>
entscheidend in der Lehre vom Epos. Hier giebt der Unterschied <lb n="psc_134.027"/>
von Sage und Epos einerseits, Geschichte andererseits, <lb n="psc_134.028"/>
d. h. genauer und ungenauer Überlieferung den Ausschlag. Das
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0150] psc_134.001 und Moderni, der sich so oft in Poesie und Wissenschaft psc_134.002 wiederholt; niemals ist ja eine Litteratur ganz einheitlich. psc_134.003 Sehr wichtig ist ein weiteres Moment: der verschiedene psc_134.004 Stand der Dichter, welcher zugleich verschiedene Bildung psc_134.005 voraussetzt. Träger der Volkspoesie sind die fahrenden Sänger, psc_134.006 Vertreter der kunstmäßigen Dichtung die Adeligen. Aber auch psc_134.007 dieser Unterschied, die verschiedene Einwirkung von Stand psc_134.008 und Bildung auf die Production, ist einer, der sich zu allen psc_134.009 Zeiten geltend gemacht hat, nicht bloß im Mittelalter. psc_134.010   Es wäre nun möglich alle solche Momente, die wir für psc_134.011 den Gegensatz in der deutschen Poesie des 12. und 13. Jahrhunderts psc_134.012 in Anschlag gebracht haben, näher zu untersuchen psc_134.013 und zu prüfen, ob sie maßgebend oder unwesentlich sind. psc_134.014 Einzelne Momente liegen in der Natur des Dichtens überhaupt psc_134.015 und sind daher unvermeidlich; dafür wäre der Nachweis psc_134.016 zu führen. Andere aber sind nicht wegzuschaffen und psc_134.017 schließlich bleiben nur die Momente, die auf den Unterschied psc_134.018 von geschriebener und ungeschriebener Dichtung zurückgehen. psc_134.019 Es sind das zwei Momente: psc_134.020   1. Die höfischen Dichter schöpfen aus dem Buch, die psc_134.021 volksthümlichen aus gedächtnißmäßiger Überlieferung. Dort psc_134.022 kann der Stoff ausschließlich von Buch zu Buch gegangen psc_134.023 sein; hier dagegen waltet die lebendige Sage. Für die Entstehung psc_134.024 der Sage und für das eigenthümliche Leben der psc_134.025 Sage ist der Mangel an schriftlicher Überlieferung geradezu psc_134.026 entscheidend in der Lehre vom Epos. Hier giebt der Unterschied psc_134.027 von Sage und Epos einerseits, Geschichte andererseits, psc_134.028 d. h. genauer und ungenauer Überlieferung den Ausschlag. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/150
Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/150>, abgerufen am 04.12.2024.