psc_140.001 als der theoretische Standpunct, und da haben wir dieselben psc_140.002 Klassen:
psc_140.003
1) der Dichter wirkt sittlich veredelnd: direct.
psc_140.004
2) der Dichter wirkt sittlich veredelnd: indirect.
psc_140.005
3) der Dichter wirkt nicht sittlich veredelnd.
psc_140.006
1) Unter directer sittlicher Veredelung können noch viele psc_140.007 Abstufungen begriffen sein: Belohnung des Guten, Bestrafung psc_140.008 des Bösen; Lob der Tugend, Tadel des Lasters. psc_140.009 Oder der Accent wird ausschließlich auf die Darstellung tugendhafter psc_140.010 Handlungen gelegt, das Lasterhafte möglichst zurückgedrängt, psc_140.011 so daß nur Vorbilder gegeben werden. Der Dichter psc_140.012 kann weiter gemischte Charaktere darstellen; diese können erst psc_140.013 recht dasselbe leisten: die tugendhaften Handlungen führen zum psc_140.014 zeitlichen Wohl, die lasterhaften zum zeitlichen Übel. Die psc_140.015 kindlichste Form ist die, daß die Tugend schon hier ordentlich psc_140.016 belohnt, das Laster schon hier gründlich bestraft wird. psc_140.017 So z. B. in naivster Weise in Gellerts Fabeln, oder in psc_140.018 Kindergeschichten, wo der tugendhafte arme Mann einen psc_140.019 Beutel mit Dukaten findet. Überhaupt hat diese Art vorzugsweise psc_140.020 in Erzählung und Drama statt; im Lehrgedicht psc_140.021 und in der Lyrik wird sie modificirt zur ernsten und lachenden psc_140.022 Satire.
psc_140.023
2) Jndirecte sittliche Wirkung wird erzielt, indem der psc_140.024 Autor sich in die Laster vertieft und sie darstellt, um sie psc_140.025 recht abschreckend zu malen. Hierher würde z. B. Zola gehören. psc_140.026 Aber solche Schilderung des Lasters setzt eine gewisse psc_140.027 Liebe zur Sache voraus, und die Wirkung ist sehr zweifelhaft: psc_140.028 denn natürlich kann es auch verführerisch wirken; das
psc_140.001 als der theoretische Standpunct, und da haben wir dieselben psc_140.002 Klassen:
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1) der Dichter wirkt sittlich veredelnd: direct.
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2) der Dichter wirkt sittlich veredelnd: indirect.
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3) der Dichter wirkt nicht sittlich veredelnd.
psc_140.006
1) Unter directer sittlicher Veredelung können noch viele psc_140.007 Abstufungen begriffen sein: Belohnung des Guten, Bestrafung psc_140.008 des Bösen; Lob der Tugend, Tadel des Lasters. psc_140.009 Oder der Accent wird ausschließlich auf die Darstellung tugendhafter psc_140.010 Handlungen gelegt, das Lasterhafte möglichst zurückgedrängt, psc_140.011 so daß nur Vorbilder gegeben werden. Der Dichter psc_140.012 kann weiter gemischte Charaktere darstellen; diese können erst psc_140.013 recht dasselbe leisten: die tugendhaften Handlungen führen zum psc_140.014 zeitlichen Wohl, die lasterhaften zum zeitlichen Übel. Die psc_140.015 kindlichste Form ist die, daß die Tugend schon hier ordentlich psc_140.016 belohnt, das Laster schon hier gründlich bestraft wird. psc_140.017 So z. B. in naivster Weise in Gellerts Fabeln, oder in psc_140.018 Kindergeschichten, wo der tugendhafte arme Mann einen psc_140.019 Beutel mit Dukaten findet. Überhaupt hat diese Art vorzugsweise psc_140.020 in Erzählung und Drama statt; im Lehrgedicht psc_140.021 und in der Lyrik wird sie modificirt zur ernsten und lachenden psc_140.022 Satire.
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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/156>, abgerufen am 16.02.2025.
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