Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

psc_251.001
der Unterredner, sich selbst ausdrücklich nennt: "ich", oder psc_251.002
in einer andern Maske auftritt.

psc_251.003

Jm Drama verschwindet der Autor völlig. Selbst psc_251.004
wenn Goethe im Vorspiel zum "Faust" den Dichter einführt, psc_251.005
so kann nicht bestimmt behauptet werden, daß das er selbst sei, psc_251.006
eher, wenn in der "Zueignung" wirklich gesprochen wird. --

psc_251.007

Was bleibt nun von kleinen Gattungen?

psc_251.008

Das Sprichwort -- entweder zeitlos

psc_251.009

oder erzählend: ein einzelner Fall.

psc_251.010

So besonders das apologische Sprichwort: "sagte dieser", psc_251.011
"sagte jener." Höfer, Wie das Volk spricht (Stuttgart 1885).

psc_251.012

Die Gnome: ebenfalls zeitlos oder erzählend.

psc_251.013

Das Lehrgedicht: Vortrag.

psc_251.014

Das Räthsel: halb dialogisch, weil es Einen, der es aufgiebt psc_251.015
und Einen, der es löst, voraussetzt.

psc_251.016

Das Epigramm kann die verschiedenartigsten Formen psc_251.017
tragen. Es kann erzählend sein, kann gegenwärtig sein, d. h. psc_251.018
etwas Gegenwärtiges erläutern u. s. w. Über das Epigramm psc_251.019
ist wenig gehandelt. Hier müßte einmal gründliche Durchmusterung psc_251.020
einiger großer Epigrammensammlungen eintreten. Bei psc_251.021
Lessing ist Vieles mit behandelt, was gar nicht Epigramm ist.

psc_251.022

Epigramm als Jnvective ist im 17. Jahrhundert verkürzte psc_251.023
Satire genannt worden. Aber die Jnvective ist älter psc_251.024
als die Satire: uralt ist das Spottlied.

psc_251.025

Das Spottlied kann wieder episch sein, ja wird es meist psc_251.026
sein in der alten Zeit: Erzählung komischer Thatsachen, die psc_251.027
einem Menschen begegnet sind. Später auch präsentisch, gegen psc_251.028
Zustände polemisirend.

psc_251.001
der Unterredner, sich selbst ausdrücklich nennt: „ich“, oder psc_251.002
in einer andern Maske auftritt.

psc_251.003

  Jm Drama verschwindet der Autor völlig. Selbst psc_251.004
wenn Goethe im Vorspiel zum „Faust“ den Dichter einführt, psc_251.005
so kann nicht bestimmt behauptet werden, daß das er selbst sei, psc_251.006
eher, wenn in der „Zueignung“ wirklich gesprochen wird. —

psc_251.007

  Was bleibt nun von kleinen Gattungen?

psc_251.008

  Das Sprichwort — entweder zeitlos

psc_251.009

oder erzählend: ein einzelner Fall.

psc_251.010

So besonders das apologische Sprichwort: „sagte dieser“, psc_251.011
„sagte jener.“ Höfer, Wie das Volk spricht (Stuttgart 1885).

psc_251.012

  Die Gnome: ebenfalls zeitlos oder erzählend.

psc_251.013

  Das Lehrgedicht: Vortrag.

psc_251.014

  Das Räthsel: halb dialogisch, weil es Einen, der es aufgiebt psc_251.015
und Einen, der es löst, voraussetzt.

psc_251.016

  Das Epigramm kann die verschiedenartigsten Formen psc_251.017
tragen. Es kann erzählend sein, kann gegenwärtig sein, d. h. psc_251.018
etwas Gegenwärtiges erläutern u. s. w. Über das Epigramm psc_251.019
ist wenig gehandelt. Hier müßte einmal gründliche Durchmusterung psc_251.020
einiger großer Epigrammensammlungen eintreten. Bei psc_251.021
Lessing ist Vieles mit behandelt, was gar nicht Epigramm ist.

psc_251.022

  Epigramm als Jnvective ist im 17. Jahrhundert verkürzte psc_251.023
Satire genannt worden. Aber die Jnvective ist älter psc_251.024
als die Satire: uralt ist das Spottlied.

psc_251.025

  Das Spottlied kann wieder episch sein, ja wird es meist psc_251.026
sein in der alten Zeit: Erzählung komischer Thatsachen, die psc_251.027
einem Menschen begegnet sind. Später auch präsentisch, gegen psc_251.028
Zustände polemisirend.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0267" n="251"/><lb n="psc_251.001"/>
der Unterredner, sich selbst ausdrücklich nennt: &#x201E;ich&#x201C;, oder <lb n="psc_251.002"/>
in einer andern Maske auftritt.</p>
          <lb n="psc_251.003"/>
          <p>  Jm Drama verschwindet der Autor völlig. Selbst <lb n="psc_251.004"/>
wenn Goethe im Vorspiel zum &#x201E;Faust&#x201C; den Dichter einführt, <lb n="psc_251.005"/>
so kann nicht bestimmt behauptet werden, daß das er selbst sei, <lb n="psc_251.006"/>
eher, wenn in der &#x201E;Zueignung&#x201C; wirklich gesprochen wird. &#x2014;</p>
          <lb n="psc_251.007"/>
          <p>  Was bleibt nun von <hi rendition="#g">kleinen Gattungen?</hi></p>
          <lb n="psc_251.008"/>
          <p>  Das Sprichwort &#x2014; entweder zeitlos</p>
          <lb n="psc_251.009"/>
          <p> <hi rendition="#right">oder erzählend: ein einzelner Fall.</hi> </p>
          <lb n="psc_251.010"/>
          <p>So besonders das apologische Sprichwort: &#x201E;sagte dieser&#x201C;, <lb n="psc_251.011"/>
&#x201E;sagte jener.&#x201C; Höfer, Wie das Volk spricht (Stuttgart 1885).</p>
          <lb n="psc_251.012"/>
          <p>  Die Gnome: ebenfalls zeitlos oder erzählend.</p>
          <lb n="psc_251.013"/>
          <p>  Das Lehrgedicht: Vortrag.</p>
          <lb n="psc_251.014"/>
          <p>  Das Räthsel: halb dialogisch, weil es Einen, der es aufgiebt <lb n="psc_251.015"/>
und Einen, der es löst, voraussetzt.</p>
          <lb n="psc_251.016"/>
          <p>  Das Epigramm kann die verschiedenartigsten Formen <lb n="psc_251.017"/>
tragen. Es kann erzählend sein, kann gegenwärtig sein, d. h. <lb n="psc_251.018"/>
etwas Gegenwärtiges erläutern u. s. w. Über das Epigramm <lb n="psc_251.019"/>
ist wenig gehandelt. Hier müßte einmal gründliche Durchmusterung <lb n="psc_251.020"/>
einiger großer Epigrammensammlungen eintreten. Bei <lb n="psc_251.021"/>
Lessing ist Vieles mit behandelt, was gar nicht Epigramm ist.</p>
          <lb n="psc_251.022"/>
          <p>  Epigramm als Jnvective ist im 17. Jahrhundert verkürzte <lb n="psc_251.023"/>
Satire genannt worden. Aber die Jnvective ist älter <lb n="psc_251.024"/>
als die Satire: uralt ist das Spottlied.</p>
          <lb n="psc_251.025"/>
          <p>  Das Spottlied kann wieder episch sein, ja wird es meist <lb n="psc_251.026"/>
sein in der alten Zeit: Erzählung komischer Thatsachen, die <lb n="psc_251.027"/>
einem Menschen begegnet sind. Später auch präsentisch, gegen <lb n="psc_251.028"/>
Zustände polemisirend.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0267] psc_251.001 der Unterredner, sich selbst ausdrücklich nennt: „ich“, oder psc_251.002 in einer andern Maske auftritt. psc_251.003   Jm Drama verschwindet der Autor völlig. Selbst psc_251.004 wenn Goethe im Vorspiel zum „Faust“ den Dichter einführt, psc_251.005 so kann nicht bestimmt behauptet werden, daß das er selbst sei, psc_251.006 eher, wenn in der „Zueignung“ wirklich gesprochen wird. — psc_251.007   Was bleibt nun von kleinen Gattungen? psc_251.008   Das Sprichwort — entweder zeitlos psc_251.009 oder erzählend: ein einzelner Fall. psc_251.010 So besonders das apologische Sprichwort: „sagte dieser“, psc_251.011 „sagte jener.“ Höfer, Wie das Volk spricht (Stuttgart 1885). psc_251.012   Die Gnome: ebenfalls zeitlos oder erzählend. psc_251.013   Das Lehrgedicht: Vortrag. psc_251.014   Das Räthsel: halb dialogisch, weil es Einen, der es aufgiebt psc_251.015 und Einen, der es löst, voraussetzt. psc_251.016   Das Epigramm kann die verschiedenartigsten Formen psc_251.017 tragen. Es kann erzählend sein, kann gegenwärtig sein, d. h. psc_251.018 etwas Gegenwärtiges erläutern u. s. w. Über das Epigramm psc_251.019 ist wenig gehandelt. Hier müßte einmal gründliche Durchmusterung psc_251.020 einiger großer Epigrammensammlungen eintreten. Bei psc_251.021 Lessing ist Vieles mit behandelt, was gar nicht Epigramm ist. psc_251.022   Epigramm als Jnvective ist im 17. Jahrhundert verkürzte psc_251.023 Satire genannt worden. Aber die Jnvective ist älter psc_251.024 als die Satire: uralt ist das Spottlied. psc_251.025   Das Spottlied kann wieder episch sein, ja wird es meist psc_251.026 sein in der alten Zeit: Erzählung komischer Thatsachen, die psc_251.027 einem Menschen begegnet sind. Später auch präsentisch, gegen psc_251.028 Zustände polemisirend.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/267
Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/267>, abgerufen am 22.11.2024.