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Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706.

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fort; nach verflossenen 9. Jahren aber in dise öde Surnen-Alpen führen
lassen durch eine reine Jungfrau. So bald diser Kalberische Stier dort
ankommen/ habe es ein so scharfes Gefecht zwischen ihme/ und dem Gespenst
abgeben/ daß der überwindende Stier nach geendigtem Kampf in follem
Schweiß auß dem vorbeyfliessenden Bach (so deßnahender Stierenbach
heisset) mit solch hitziger Begierd getrunken/ daß er darüber auf der stelle
tod geblieben. Wer dise Fabel nicht glauben wil/ dem zeigen die Alpler
nicht nur den so genanten Stierengaden in der Alp Waldnacht/ in wel-
chem der Stier mit Milch ernehret worden/ sondern auch die Merkmahl
seiner Klauen/ welche er in währendem seinem Streit dem harten Stein
eingepräget hat. Diser seltsamen Geschicht auf den Grund zukommen/
habe in dem Gottshauß Engelberg (desse gegen mir bezeigte Freundlich-
keit und Gutthätigkeit anzurühmen nicht vorbey gehen sol) fleissige Nach-
suchung gethan/ und in alten Jnstrumenten von A. 1472. 1474. und
1515. ersehen/ daß eben dise Surner-Alpen gemein gewesen den Urneren
und Engelbergeren/ so daß dise besessen haben die Sömmerliche/ oder Mitt-
nächtige Seite/ jene aber die Winterliche/ oder Mittagige/ bis hinab zu
des Gottshauses Sennhütte/ die Herren-Rütj genant; Aber um bes-
serer Kommlichkeit willen seyen beyde Partheyen dahin mit einander überein
kommen/ daß fürohin den Urneren solle zugehören der ganze obere Theil
der Surenen/ und den Engelbergeren der ganze undere. Was aber vor-
benanter Zeit passiert seye/ darvon stehet/ so vil man biß dahin weißt/
weder in des Gottshauses Jnstrumenten/ noch in Vatterländischen Hi-
storien nicht das geringste/ welches dise Gespenst-Geschicht wahrhaft
machen könte.

Von dem Züricher Torff.

TOrff oder Türff ist ein alt teutsches/ und dißmal sonderlich in
Niederlanden übliches Wort/ welches bedeutet cespitem bitumi-
nosum,
ein Erdwächsische/ auß vilen Wurzzäseren bestehende/
leichte/ luftige/ in Mosachten Ohrten befindliche Erde/ deren man sich in
den meisten Niederländischen/ sonderlich Vereinigten Provinzen be-
dienet an statt des Holzes/ und Kohlen/ zum täglichen Gebrauch in aller-

hand

fort; nach verfloſſenen 9. Jahren aber in diſe oͤde Surnen-Alpen fuͤhren
laſſen durch eine reine Jungfrau. So bald diſer Kalberiſche Stier dort
ankommen/ habe es ein ſo ſcharfes Gefecht zwiſchen ihme/ und dem Geſpenſt
abgeben/ daß der uͤberwindende Stier nach geendigtem Kampf in follem
Schweiß auß dem vorbeyflieſſenden Bach (ſo deßnahender Stierenbach
heiſſet) mit ſolch hitziger Begierd getrunken/ daß er daruͤber auf der ſtelle
tod geblieben. Wer diſe Fabel nicht glauben wil/ dem zeigen die Alpler
nicht nur den ſo genanten Stierengaden in der Alp Waldnacht/ in wel-
chem der Stier mit Milch ernehret worden/ ſondern auch die Merkmahl
ſeiner Klauen/ welche er in waͤhrendem ſeinem Streit dem harten Stein
eingepraͤget hat. Diſer ſeltſamen Geſchicht auf den Grund zukommen/
habe in dem Gottshauß Engelberg (deſſe gegen mir bezeigte Freundlich-
keit und Gutthaͤtigkeit anzuruͤhmen nicht vorbey gehen ſol) fleiſſige Nach-
ſuchung gethan/ und in alten Jnſtrumenten von A. 1472. 1474. und
1515. erſehen/ daß eben diſe Surner-Alpen gemein geweſen den Urneren
und Engelbergeren/ ſo daß diſe beſeſſen haben die Soͤm̃erliche/ oder Mitt-
naͤchtige Seite/ jene aber die Winterliche/ oder Mittagige/ bis hinab zu
des Gottshauſes Sennhuͤtte/ die Herꝛen-Ruͤtj genant; Aber um beſ-
ſerer Kom̃lichkeit willen ſeyen beyde Partheyen dahin mit einander uͤberein
kommen/ daß fuͤrohin den Urneren ſolle zugehoͤren der ganze obere Theil
der Surenen/ und den Engelbergeren der ganze undere. Was aber vor-
benanter Zeit paſſiert ſeye/ darvon ſtehet/ ſo vil man biß dahin weißt/
weder in des Gottshauſes Jnſtrumenten/ noch in Vatterlaͤndiſchen Hi-
ſtorien nicht das geringſte/ welches diſe Geſpenſt-Geſchicht wahrhaft
machen koͤnte.

Von dem Zuͤricher Torff.

TOrff oder Tuͤrff iſt ein alt teutſches/ und dißmal ſonderlich in
Niederlanden uͤbliches Wort/ welches bedeutet ceſpitem bitumi-
noſum,
ein Erdwaͤchſiſche/ auß vilen Wurzzaͤſeren beſtehende/
leichte/ luftige/ in Moſachten Ohrten befindliche Erde/ deren man ſich in
den meiſten Niederlaͤndiſchen/ ſonderlich Vereinigten Provinzen be-
dienet an ſtatt des Holzes/ und Kohlen/ zum taͤglichen Gebrauch in aller-

hand
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[6/0017] fort; nach verfloſſenen 9. Jahren aber in diſe oͤde Surnen-Alpen fuͤhren laſſen durch eine reine Jungfrau. So bald diſer Kalberiſche Stier dort ankommen/ habe es ein ſo ſcharfes Gefecht zwiſchen ihme/ und dem Geſpenſt abgeben/ daß der uͤberwindende Stier nach geendigtem Kampf in follem Schweiß auß dem vorbeyflieſſenden Bach (ſo deßnahender Stierenbach heiſſet) mit ſolch hitziger Begierd getrunken/ daß er daruͤber auf der ſtelle tod geblieben. Wer diſe Fabel nicht glauben wil/ dem zeigen die Alpler nicht nur den ſo genanten Stierengaden in der Alp Waldnacht/ in wel- chem der Stier mit Milch ernehret worden/ ſondern auch die Merkmahl ſeiner Klauen/ welche er in waͤhrendem ſeinem Streit dem harten Stein eingepraͤget hat. Diſer ſeltſamen Geſchicht auf den Grund zukommen/ habe in dem Gottshauß Engelberg (deſſe gegen mir bezeigte Freundlich- keit und Gutthaͤtigkeit anzuruͤhmen nicht vorbey gehen ſol) fleiſſige Nach- ſuchung gethan/ und in alten Jnſtrumenten von A. 1472. 1474. und 1515. erſehen/ daß eben diſe Surner-Alpen gemein geweſen den Urneren und Engelbergeren/ ſo daß diſe beſeſſen haben die Soͤm̃erliche/ oder Mitt- naͤchtige Seite/ jene aber die Winterliche/ oder Mittagige/ bis hinab zu des Gottshauſes Sennhuͤtte/ die Herꝛen-Ruͤtj genant; Aber um beſ- ſerer Kom̃lichkeit willen ſeyen beyde Partheyen dahin mit einander uͤberein kommen/ daß fuͤrohin den Urneren ſolle zugehoͤren der ganze obere Theil der Surenen/ und den Engelbergeren der ganze undere. Was aber vor- benanter Zeit paſſiert ſeye/ darvon ſtehet/ ſo vil man biß dahin weißt/ weder in des Gottshauſes Jnſtrumenten/ noch in Vatterlaͤndiſchen Hi- ſtorien nicht das geringſte/ welches diſe Geſpenſt-Geſchicht wahrhaft machen koͤnte. Von dem Zuͤricher Torff. TOrff oder Tuͤrff iſt ein alt teutſches/ und dißmal ſonderlich in Niederlanden uͤbliches Wort/ welches bedeutet ceſpitem bitumi- noſum, ein Erdwaͤchſiſche/ auß vilen Wurzzaͤſeren beſtehende/ leichte/ luftige/ in Moſachten Ohrten befindliche Erde/ deren man ſich in den meiſten Niederlaͤndiſchen/ ſonderlich Vereinigten Provinzen be- dienet an ſtatt des Holzes/ und Kohlen/ zum taͤglichen Gebrauch in aller- hand

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Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706/17>, abgerufen am 29.04.2024.