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Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706.

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Jch melde endlich nicht ohne entsetzen einen gefahrlichen Vortheil/ des-
sen sich die Jäger etwan zurettung ihres Lebens müssen bedienen/ vor wel-
chem mancher Schwindelkopf solte schaudern. Es kan sich zutragen/ daß
ein Jäger sich so weit versteigt/ daß er fast weder hinter-noch vorsich kommen
kan/ und sein Leben zuretten genöhtiget ist durch einen Wag-sprung/ bey de-
me er keinen mehreren Ansatz hat/ als ein halbe oder ganze Hand breit her-
vorragendes Felsenstuck. Jn diser äussersten Gefahr wirft er sein Geschoß
von sich/ zeuhet die Schuhe/ denen er wegen schlipferigkeit nicht trauen darf/
aus/ schneidet sich mit dem Messer in die Fersen/ oder Ballen des Fusses/ damit
das hervor wallende Geblüt ihme an obgemeldtem Felsichten Vorschuß die-
nen könne an statt eines Leims/ welches den Fuß an den Felsen fest/ ohne Ge-
fahr des schlipfens anhalte; Dann setzet er Mannhaft an/ und waget den
Sprung.

Was sonsten die Reglen/ welche ein Gems jäger in acht nemmen muß/ betrift/
bestehen selbige in folgenden stucken. Wann er disen Thieren nachgehet/ so gibt
er achtung auf den wind/ daß der nicht den Geruch des Jägers/ oder eigentlich
zureden die von ihme außdünstende subtile Theilchen hintrage zu dem Gems/
welches einen überauß zart-empfindlichen Werkzeug des Geruchs hat/ und
bey geringster merkung des Jägers/ oder bey ihme tragenden Pulvers sich
alsobald wurde darvon machen. Weiters giebet der Gemsen-wie ein an-
derer Jäger achtung auf die zeit und Orte/ da sich die Gemse gemeinlich wei-
den/ oder sonsten einfinden/ als zum Exempel dienen können oben beschriebe-
ne Gems-Sulzen/ oder Läckinen/ bey denen ein Jäger kan passen/ und oft
manches Thier fällen. Ein merklicher Umstand ist auch diser/ daß die Gem-
sen sich nicht wagen auf das beständige glänzende Eis/ oder Gletscher; wann
sie hiemit können von dem Jäger dahin getrieben werden/ daß sie ent-
weder sich müßten salvieren über das Eis/ oder dem Jäger in die hände fal-
len/ so lassen sie sich eher in solcher enge niderschiessen. So hat vor wenig
Jahren Jörg Schäni/ ein guter Jäger von Nuffenen im Rheinwald bey
einem gar grossen Gletscher des hinderen Rheins innert einer stund drey
Gems-Thiere/ eins nach dem andern/ erschossen. Sind die Gemsen noch
so jung/ daß sie ihren in der flucht begriffenen Elteren nicht folgen können/ so
fanget sie der Jäger lebendig/ und führet sie also mit naher Hauß; oder er
bedient sich/ die jungen Gemse/ wann sie mit geschwindigkeit darvon lauffen
mögen/ zufangen/ folgenden lists. Wann er die säugende Mutter erschos-
sen/ leget er sich auf die Erde nider/ stellet die todte Mutter auf ihre vier Füsse/

als

Jch melde endlich nicht ohne entſetzen einen gefahrlichen Vortheil/ deſ-
ſen ſich die Jaͤger etwan zurettung ihres Lebens muͤſſen bedienen/ vor wel-
chem mancher Schwindelkopf ſolte ſchaudern. Es kan ſich zutragen/ daß
ein Jaͤger ſich ſo weit verſteigt/ daß er faſt weder hinter-noch vorſich kommen
kan/ und ſein Leben zuretten genoͤhtiget iſt durch einen Wag-ſprung/ bey de-
me er keinen mehreren Anſatz hat/ als ein halbe oder ganze Hand breit her-
vorꝛagendes Felſenſtuck. Jn diſer aͤuſſerſten Gefahr wirft er ſein Geſchoß
von ſich/ zeuhet die Schuhe/ denen er wegen ſchlipferigkeit nicht trauen darf/
aus/ ſchneidet ſich mit dem Meſſer in die Ferſen/ oder Ballen des Fuſſes/ damit
das hervor wallende Gebluͤt ihme an obgemeldtem Felſichten Vorſchuß die-
nen koͤnne an ſtatt eines Leims/ welches den Fuß an den Felſen feſt/ ohne Ge-
fahr des ſchlipfens anhalte; Dann ſetzet er Mañhaft an/ und waget den
Sprung.

Was ſonſten die Reglen/ welche ein Gems jaͤger in acht nem̃en muß/ betrift/
beſtehen ſelbige in folgenden ſtucken. Wañ er diſen Thieren nachgehet/ ſo gibt
er achtung auf den wind/ daß der nicht den Geruch des Jaͤgers/ oder eigentlich
zureden die von ihme außduͤnſtende ſubtile Theilchen hintrage zu dem Gems/
welches einen uͤberauß zart-empfindlichen Werkzeug des Geruchs hat/ und
bey geringſter merkung des Jaͤgers/ oder bey ihme tragenden Pulvers ſich
alſobald wurde darvon machen. Weiters giebet der Gemſen-wie ein an-
derer Jaͤger achtung auf die zeit und Orte/ da ſich die Gemſe gemeinlich wei-
den/ oder ſonſten einfinden/ als zum Exempel dienen koͤnnen oben beſchriebe-
ne Gems-Sulzen/ oder Laͤckinen/ bey denen ein Jaͤger kan paſſen/ und oft
manches Thier faͤllen. Ein merklicher Umſtand iſt auch diſer/ daß die Gem-
ſen ſich nicht wagen auf das beſtaͤndige glaͤnzende Eis/ oder Gletſcher; wañ
ſie hiemit koͤnnen von dem Jaͤger dahin getrieben werden/ daß ſie ent-
weder ſich muͤßten ſalvieren uͤber das Eis/ oder dem Jaͤger in die haͤnde fal-
len/ ſo laſſen ſie ſich eher in ſolcher enge niderſchieſſen. So hat vor wenig
Jahren Joͤrg Schaͤni/ ein guter Jaͤger von Nuffenen im Rheinwald bey
einem gar groſſen Gletſcher des hinderen Rheins innert einer ſtund drey
Gems-Thiere/ eins nach dem andern/ erſchoſſen. Sind die Gemſen noch
ſo jung/ daß ſie ihren in der flucht begriffenen Elteren nicht folgen koͤnnen/ ſo
fanget ſie der Jaͤger lebendig/ und fuͤhret ſie alſo mit naher Hauß; oder er
bedient ſich/ die jungen Gemſe/ wann ſie mit geſchwindigkeit darvon lauffen
moͤgen/ zufangen/ folgenden liſts. Wann er die ſaͤugende Mutter erſchoſ-
ſen/ leget er ſich auf die Erde nider/ ſtellet die todte Mutter auf ihre vier Fuͤſſe/

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[43/0058] Jch melde endlich nicht ohne entſetzen einen gefahrlichen Vortheil/ deſ- ſen ſich die Jaͤger etwan zurettung ihres Lebens muͤſſen bedienen/ vor wel- chem mancher Schwindelkopf ſolte ſchaudern. Es kan ſich zutragen/ daß ein Jaͤger ſich ſo weit verſteigt/ daß er faſt weder hinter-noch vorſich kommen kan/ und ſein Leben zuretten genoͤhtiget iſt durch einen Wag-ſprung/ bey de- me er keinen mehreren Anſatz hat/ als ein halbe oder ganze Hand breit her- vorꝛagendes Felſenſtuck. Jn diſer aͤuſſerſten Gefahr wirft er ſein Geſchoß von ſich/ zeuhet die Schuhe/ denen er wegen ſchlipferigkeit nicht trauen darf/ aus/ ſchneidet ſich mit dem Meſſer in die Ferſen/ oder Ballen des Fuſſes/ damit das hervor wallende Gebluͤt ihme an obgemeldtem Felſichten Vorſchuß die- nen koͤnne an ſtatt eines Leims/ welches den Fuß an den Felſen feſt/ ohne Ge- fahr des ſchlipfens anhalte; Dann ſetzet er Mañhaft an/ und waget den Sprung. Was ſonſten die Reglen/ welche ein Gems jaͤger in acht nem̃en muß/ betrift/ beſtehen ſelbige in folgenden ſtucken. Wañ er diſen Thieren nachgehet/ ſo gibt er achtung auf den wind/ daß der nicht den Geruch des Jaͤgers/ oder eigentlich zureden die von ihme außduͤnſtende ſubtile Theilchen hintrage zu dem Gems/ welches einen uͤberauß zart-empfindlichen Werkzeug des Geruchs hat/ und bey geringſter merkung des Jaͤgers/ oder bey ihme tragenden Pulvers ſich alſobald wurde darvon machen. Weiters giebet der Gemſen-wie ein an- derer Jaͤger achtung auf die zeit und Orte/ da ſich die Gemſe gemeinlich wei- den/ oder ſonſten einfinden/ als zum Exempel dienen koͤnnen oben beſchriebe- ne Gems-Sulzen/ oder Laͤckinen/ bey denen ein Jaͤger kan paſſen/ und oft manches Thier faͤllen. Ein merklicher Umſtand iſt auch diſer/ daß die Gem- ſen ſich nicht wagen auf das beſtaͤndige glaͤnzende Eis/ oder Gletſcher; wañ ſie hiemit koͤnnen von dem Jaͤger dahin getrieben werden/ daß ſie ent- weder ſich muͤßten ſalvieren uͤber das Eis/ oder dem Jaͤger in die haͤnde fal- len/ ſo laſſen ſie ſich eher in ſolcher enge niderſchieſſen. So hat vor wenig Jahren Joͤrg Schaͤni/ ein guter Jaͤger von Nuffenen im Rheinwald bey einem gar groſſen Gletſcher des hinderen Rheins innert einer ſtund drey Gems-Thiere/ eins nach dem andern/ erſchoſſen. Sind die Gemſen noch ſo jung/ daß ſie ihren in der flucht begriffenen Elteren nicht folgen koͤnnen/ ſo fanget ſie der Jaͤger lebendig/ und fuͤhret ſie alſo mit naher Hauß; oder er bedient ſich/ die jungen Gemſe/ wann ſie mit geſchwindigkeit darvon lauffen moͤgen/ zufangen/ folgenden liſts. Wann er die ſaͤugende Mutter erſchoſ- ſen/ leget er ſich auf die Erde nider/ ſtellet die todte Mutter auf ihre vier Fuͤſſe/ als

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Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706/58>, abgerufen am 16.05.2024.