Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweitzerlands. Bd. 3. Zürich, 1708.Tröpflein. Ein solcher Kühlhelm seyn die mit Schnee und Eis belegte Troͤpflein. Ein ſolcher Kuͤhlhelm ſeyn die mit Schnee und Eis belegte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0132" n="104"/> Troͤpflein. Ein ſolcher Kuͤhlhelm ſeyn die mit Schnee und Eis belegte<lb/> Spitzen unſerer Bergen; weren diſe nicht/ ſo wurden die aus dem Eingeweid<lb/> der Erden/ durch die holen Gaͤnge der Bergen/ aufſteigende Duͤnſte aller<lb/> Ohrten durchbrechen/ und in freyer Luft verfliegen/ folglich weder Bruͤnnen/<lb/> noch Baͤche/ noch Flüſſe entſpringen/ und unſere Berge und Thaͤler theils<lb/> auß mangel des Waſſers verdorꝛen/ theils von groſſer Kaͤlte erſtarꝛen.<lb/> Nicht nur aber dienet diſe Schnee- und Eiskaͤlte zu hinderhaltung der ſonſt<lb/> außfliegenden Waſſertheilen/ und ſamlung derſelben in Bruͤnnen/ Baͤche/<lb/> folglich auch zur Nahrung der Pflanzen/ ſondern es wird die zum Lebẽ der Ge-<lb/> waͤchſen und Thieren noͤthige Erdenwaͤrme durch ſothane aufligende Kaͤlte/<lb/> und uͤber diß noch unter Begleit beſtaͤndiger winden/ zurukgehalten/ daß ſie<lb/> nicht leicht außfliege/ ſondern vilmehr zurukgetrieben in die Mundloͤchlein der<lb/> Wurtzen mit deſto groͤſſerer Kraft eintringe/ und die Blaͤßlein der Pflantzen<lb/> auftreibe. Fraget man nach denen Urſachen/ warum der Schnee aufho-<lb/> hen Gebirgen ewig bleibe/ da doch dieſelben ihre Spizen ſo hoch in die Luft<lb/> erheben/ daß ſie von den Sonnenſtralen allzeit koͤnnen beſchinnen werden/<lb/><hi rendition="#aq">obvii ſurgenti Phœbo?</hi> Ein in der Natur-Wiſſenſchaft unerfahrner kan ſich<lb/> darein nicht richten/ vermeinende/ daß die jenigen Coͤrper/ ſo der Sonnen<lb/> am naͤchſten/ auch ſollen von derſelben ein mehrere Waͤrme zu genieſſen ha-<lb/> ben. Es begegnet aber diſerem Einwurff <hi rendition="#aq">Seneca Lib. IV. Natural. Quæ-<lb/> ſtion.</hi> da er zeiget/ das die Hoͤhe der Bergen keine <hi rendition="#aq">proportion,</hi> oder gleichmaß<lb/> habe gegen dem gantzen umkreiß der Erden/ wil geſchweigen gegen der un-<lb/> glaͤublichen Weite der Sonnen von der Erde. Ein Schullehrer/ deme<lb/> die bekante <hi rendition="#aq">Ariſtoteli</hi>ſche Eintheilung der gantzen Luft in drey unterſchiedli-<lb/> che Quartier im Kopf ſteket/ wird bald ſagen/ ihm komme diſe Gegenwart<lb/> des Schnees auf hohen Gebirgen nicht frembd vor/ weilen dort die mittlere<lb/> Luft/ ſo von Natur kalt/ und eine Behauſung der auch kalten Wolken<lb/> ſeye. Es mag aber auch diſe Vernuͤnftelung keine ſcharpfe Prob außſtehen.<lb/> Beſſer urtheilet hiervon obbenennter weiſe <hi rendition="#aq">Seneca,</hi> wann<gap reason="illegible" unit="chars" quantity="2"/> an angezoge-<lb/> nem Ohrt ſchreibet. <hi rendition="#aq">Aerem, quo editior eſt ſinceriorem puriorem que eſ-<lb/> ſe, itaque Solem non retinere, ſed velut per inane transmittere, ideoque mi-<lb/> nùs calefieri. Ad hæc altiora loca magis perflari, depreſſa minùs à ventis<lb/> verberari.</hi> Aber auch diß ſchmeket nach der undeutlichkeit der alten Natur-<lb/> Weißheit. Wir faſſen die Sach alſo: Erſtlich iſt zuwiſſen/ daß auf hohen<lb/> Gebirgen beſtaͤndig blaſet ein ſtarke kalte Luft/ welche wie ſie die Zeugung des<lb/> Schnees befoͤrderet/ alſo auch die Schmiltzung deſſelben hemmet. Daher<lb/> auch die Alpen bey den Poeten folgende zunahmen bekamen/ <hi rendition="#aq">ventoſæ, gelidæ,<lb/> nivoſæ, horridæ, nubigenæ, quæ nive perpetua frigoribusque rigent. &c.</hi></p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [104/0132]
Troͤpflein. Ein ſolcher Kuͤhlhelm ſeyn die mit Schnee und Eis belegte
Spitzen unſerer Bergen; weren diſe nicht/ ſo wurden die aus dem Eingeweid
der Erden/ durch die holen Gaͤnge der Bergen/ aufſteigende Duͤnſte aller
Ohrten durchbrechen/ und in freyer Luft verfliegen/ folglich weder Bruͤnnen/
noch Baͤche/ noch Flüſſe entſpringen/ und unſere Berge und Thaͤler theils
auß mangel des Waſſers verdorꝛen/ theils von groſſer Kaͤlte erſtarꝛen.
Nicht nur aber dienet diſe Schnee- und Eiskaͤlte zu hinderhaltung der ſonſt
außfliegenden Waſſertheilen/ und ſamlung derſelben in Bruͤnnen/ Baͤche/
folglich auch zur Nahrung der Pflanzen/ ſondern es wird die zum Lebẽ der Ge-
waͤchſen und Thieren noͤthige Erdenwaͤrme durch ſothane aufligende Kaͤlte/
und uͤber diß noch unter Begleit beſtaͤndiger winden/ zurukgehalten/ daß ſie
nicht leicht außfliege/ ſondern vilmehr zurukgetrieben in die Mundloͤchlein der
Wurtzen mit deſto groͤſſerer Kraft eintringe/ und die Blaͤßlein der Pflantzen
auftreibe. Fraget man nach denen Urſachen/ warum der Schnee aufho-
hen Gebirgen ewig bleibe/ da doch dieſelben ihre Spizen ſo hoch in die Luft
erheben/ daß ſie von den Sonnenſtralen allzeit koͤnnen beſchinnen werden/
obvii ſurgenti Phœbo? Ein in der Natur-Wiſſenſchaft unerfahrner kan ſich
darein nicht richten/ vermeinende/ daß die jenigen Coͤrper/ ſo der Sonnen
am naͤchſten/ auch ſollen von derſelben ein mehrere Waͤrme zu genieſſen ha-
ben. Es begegnet aber diſerem Einwurff Seneca Lib. IV. Natural. Quæ-
ſtion. da er zeiget/ das die Hoͤhe der Bergen keine proportion, oder gleichmaß
habe gegen dem gantzen umkreiß der Erden/ wil geſchweigen gegen der un-
glaͤublichen Weite der Sonnen von der Erde. Ein Schullehrer/ deme
die bekante Ariſtoteliſche Eintheilung der gantzen Luft in drey unterſchiedli-
che Quartier im Kopf ſteket/ wird bald ſagen/ ihm komme diſe Gegenwart
des Schnees auf hohen Gebirgen nicht frembd vor/ weilen dort die mittlere
Luft/ ſo von Natur kalt/ und eine Behauſung der auch kalten Wolken
ſeye. Es mag aber auch diſe Vernuͤnftelung keine ſcharpfe Prob außſtehen.
Beſſer urtheilet hiervon obbenennter weiſe Seneca, wann__ an angezoge-
nem Ohrt ſchreibet. Aerem, quo editior eſt ſinceriorem puriorem que eſ-
ſe, itaque Solem non retinere, ſed velut per inane transmittere, ideoque mi-
nùs calefieri. Ad hæc altiora loca magis perflari, depreſſa minùs à ventis
verberari. Aber auch diß ſchmeket nach der undeutlichkeit der alten Natur-
Weißheit. Wir faſſen die Sach alſo: Erſtlich iſt zuwiſſen/ daß auf hohen
Gebirgen beſtaͤndig blaſet ein ſtarke kalte Luft/ welche wie ſie die Zeugung des
Schnees befoͤrderet/ alſo auch die Schmiltzung deſſelben hemmet. Daher
auch die Alpen bey den Poeten folgende zunahmen bekamen/ ventoſæ, gelidæ,
nivoſæ, horridæ, nubigenæ, quæ nive perpetua frigoribusque rigent. &c.
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