Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweitzerlands. Bd. 3. Zürich, 1708.Lebensgefahr von den Gräberen/ so sich etwann an Seilen chen
Lebensgefahr von den Graͤberen/ ſo ſich etwann an Seilen chen
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0099" n="79"/><hi rendition="#fr">Lebensgefahr von den Graͤberen/ ſo ſich etwann an Seilen<lb/> müſſen herab laſſen/ geſucht werden.</hi> Wann nun anderſt-<lb/> wo gezeiget worden/ daß unſere Gothardiſche Gebirge die hoͤchſten Alpſpitzen<lb/> ſeyen von ganz <hi rendition="#aq">Europa,</hi> ſo iſt bald zu ſchlieſſen/ das Plinius unſeren Schwei-<lb/> zeriſchen Cryſtallen mit uns vor allen Außlaͤndiſchen den Preis gibet. An-<lb/> merkens wuͤrdig iſt/ was jeztbelobter Natur-Schreiber fehrners meldet.<lb/><hi rendition="#aq">Contraria huic cauſa Cryſtallum facit, gelu vehementiore concreto. Non<lb/> aliubi certè reperitur, q́uàm ubi maximè hybernæ Nives rigent; glaciem-<lb/> q́ue eſſe certum eſt, unde & nomen Græci dedêre.</hi> Jch verdeutſche diſen<lb/> Text alſo: <hi rendition="#fr">Der Cryſtallen zuſamen fuͤgende/ oder feſtmachende<lb/> Urſach iſt eine ſehr groſſe Kaͤlte. Dann ſie nirgends gefunden<lb/> werden/ als wo die grimmigſte Kaͤlte/ und beſtaͤndiges Eis<lb/> mir Schnee.</hi> Hier finde ich die Grundquell eines in die Natuͤrliche Hi-<lb/> ſtori eingefuͤhrten groſſen Jrꝛthums/ an welchem doch Plinius ſelbs keine<lb/> Schuld tragt. Es iſt alles wahr/ was Plinius ſchreibt/ und verdienet diſer<lb/> groſſe Mann nicht von <hi rendition="#aq">Dalechampio,</hi> ſeinem Außleger/ und anderen mehr/<lb/> diſes Texts halben durchgezogen zu werden. Es iſt ja wahr/ <hi rendition="#aq">Cryſtallum<lb/> gelu vehementiore concreſcere,</hi> daß <hi rendition="#fr">der Cryſtall feſt beſtehet in ſehr<lb/> groſſer Kaͤlte/</hi> ich fuͤge hinzu/ <hi rendition="#fr">in groͤſter Kaͤlte/</hi> welche gewißlich ſich<lb/> nirgends alſo ſindet/ wie in unſeren <hi rendition="#aq">Helveti</hi>ſchen hohen Gebirgen. Wer<lb/> nicht wol faſſen kan wie eine groſſe Kaͤlte ſich hieher reime/ der gehe in die<lb/> Werkſtaͤtte der <hi rendition="#aq">Chymi</hi>ſten/ und laſſe ſich zeigen/ wie die Salz-Cryſtallen<lb/> am beſten/ und geſchwindeſten anſchieſſen/ wann man das auf gewiſſen Grad<lb/> eingeſottene Waſſer des Winters an die kalte Luft ſetzet; ja auch frage er<lb/> nach denen Cryſtallen/ welche in einem <hi rendition="#aq">Liquore</hi> ſich das ganze Jahr hindurch<lb/> niemahlen ſehen laſſen/ als in dem Winter. Jſt er darmit noch nicht ver-<lb/> nuͤgt/ ſo zeuhe er in Bedenken/ wie daß bey harber Winterkaͤlte die in ihrer<lb/><hi rendition="#aq">Elaſti</hi>ſchen/ oder Treibkraft/ merklich geſtaͤrkte Luft auf die ganze Erde mit<lb/> groͤſſerem Gewalt trucke/ und die in fluͤſſigem Waſſer enthaltene Salztheile<lb/> zuſamen truke/ und zu boden ſtuͤrze. Der groͤſte Stein des Anſtoſſens liget<lb/> in folgenden Worten <hi rendition="#aq">Plinii. Non aliubi certè reperitur, quàm ubi maxi-<lb/> mè hybernæ Nives rigent; glaciemque eſſe certum eſt.</hi> Diſe erklaͤren die<lb/> Außlegere alſo/ daß nach Plinn Meinung der Cryſtall ſelbs ſeye <hi rendition="#aq">Glacies gelu<lb/> concreta,</hi> <hi rendition="#fr">ein von groſſer Kaͤlte erhartetes Eis.</hi> Jch aber ſihe den<lb/> Text an/ wie er liget/ und erklaͤre ihn dahin/ daß die Cryſtallen vornemlich<lb/> ſich finden/ wo ein beſtaͤndiger Winter/ wo die Eis- und Schneeberge ſeyn;<lb/> nicht aber/ daß ſie wirklich auß Eis und Schnee gezeuget werden. Ein an-<lb/> ders iſt/ einem Ding geben die Materi/ und ein anders/ den Ohrt. Jn kraft<lb/> diſer meiner Erklaͤrung kan man wol mit der geſunden <hi rendition="#aq">Philoſophie</hi> verglei-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">chen</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [79/0099]
Lebensgefahr von den Graͤberen/ ſo ſich etwann an Seilen
müſſen herab laſſen/ geſucht werden. Wann nun anderſt-
wo gezeiget worden/ daß unſere Gothardiſche Gebirge die hoͤchſten Alpſpitzen
ſeyen von ganz Europa, ſo iſt bald zu ſchlieſſen/ das Plinius unſeren Schwei-
zeriſchen Cryſtallen mit uns vor allen Außlaͤndiſchen den Preis gibet. An-
merkens wuͤrdig iſt/ was jeztbelobter Natur-Schreiber fehrners meldet.
Contraria huic cauſa Cryſtallum facit, gelu vehementiore concreto. Non
aliubi certè reperitur, q́uàm ubi maximè hybernæ Nives rigent; glaciem-
q́ue eſſe certum eſt, unde & nomen Græci dedêre. Jch verdeutſche diſen
Text alſo: Der Cryſtallen zuſamen fuͤgende/ oder feſtmachende
Urſach iſt eine ſehr groſſe Kaͤlte. Dann ſie nirgends gefunden
werden/ als wo die grimmigſte Kaͤlte/ und beſtaͤndiges Eis
mir Schnee. Hier finde ich die Grundquell eines in die Natuͤrliche Hi-
ſtori eingefuͤhrten groſſen Jrꝛthums/ an welchem doch Plinius ſelbs keine
Schuld tragt. Es iſt alles wahr/ was Plinius ſchreibt/ und verdienet diſer
groſſe Mann nicht von Dalechampio, ſeinem Außleger/ und anderen mehr/
diſes Texts halben durchgezogen zu werden. Es iſt ja wahr/ Cryſtallum
gelu vehementiore concreſcere, daß der Cryſtall feſt beſtehet in ſehr
groſſer Kaͤlte/ ich fuͤge hinzu/ in groͤſter Kaͤlte/ welche gewißlich ſich
nirgends alſo ſindet/ wie in unſeren Helvetiſchen hohen Gebirgen. Wer
nicht wol faſſen kan wie eine groſſe Kaͤlte ſich hieher reime/ der gehe in die
Werkſtaͤtte der Chymiſten/ und laſſe ſich zeigen/ wie die Salz-Cryſtallen
am beſten/ und geſchwindeſten anſchieſſen/ wann man das auf gewiſſen Grad
eingeſottene Waſſer des Winters an die kalte Luft ſetzet; ja auch frage er
nach denen Cryſtallen/ welche in einem Liquore ſich das ganze Jahr hindurch
niemahlen ſehen laſſen/ als in dem Winter. Jſt er darmit noch nicht ver-
nuͤgt/ ſo zeuhe er in Bedenken/ wie daß bey harber Winterkaͤlte die in ihrer
Elaſtiſchen/ oder Treibkraft/ merklich geſtaͤrkte Luft auf die ganze Erde mit
groͤſſerem Gewalt trucke/ und die in fluͤſſigem Waſſer enthaltene Salztheile
zuſamen truke/ und zu boden ſtuͤrze. Der groͤſte Stein des Anſtoſſens liget
in folgenden Worten Plinii. Non aliubi certè reperitur, quàm ubi maxi-
mè hybernæ Nives rigent; glaciemque eſſe certum eſt. Diſe erklaͤren die
Außlegere alſo/ daß nach Plinn Meinung der Cryſtall ſelbs ſeye Glacies gelu
concreta, ein von groſſer Kaͤlte erhartetes Eis. Jch aber ſihe den
Text an/ wie er liget/ und erklaͤre ihn dahin/ daß die Cryſtallen vornemlich
ſich finden/ wo ein beſtaͤndiger Winter/ wo die Eis- und Schneeberge ſeyn;
nicht aber/ daß ſie wirklich auß Eis und Schnee gezeuget werden. Ein an-
ders iſt/ einem Ding geben die Materi/ und ein anders/ den Ohrt. Jn kraft
diſer meiner Erklaͤrung kan man wol mit der geſunden Philoſophie verglei-
chen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |