Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 1. Wien, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch.

"Wann er sich aber nur aus toller Bosheit bäumt,
"Und wie das Meer am Port vor ihren Füssen schäumt;
"So kann sie sich von ihm durch meinen Rath befreyen:
320"Jhr Anblick ist die Straf, das Strafen ihm verzeihen.

"Dieß alles quillt von mir, von meiner Tugend her,
"Wer ist der Königinn dann unentbehrlicher
"Als ich, die Mildigkeit? werd' ich nicht vorgesezet,
"So weiß ich nicht, was ihr die größte Tugend schäzet.
325"Nur der Gerechtigkeit, die meine Schwester ist,

"Auch Königlichen Schuz zugleich mit mir genießt,
"Müßt ich vielleicht, wann es der Kreiß entschlösse, weichen;
"Allein wir wurden uns um so viel ehr vergleichen,
"Als uns Theresia selbst gleiche Stellen giebt,
330"Und unsre Tugenden mit gleichem Eifer übt.

"So wär die Frage nur, wer von uns beyden siege,
"Und nicht an wem von euch die gröste Wohlfahrt liege.
KAum hat die Mildigkeit zu sprechen aufgehört,
So sah man die Begier zum Wiederspruch vermehrt;
335Dann viele wiesen sich mit Eifer-vollen Blicken;

Sie stunden auf, den Sinn mit Worten auszudrücken,
Allein die Mildigkeit bat wieder um Verzug:
"Wir haben", sagte sie, zu reden Zeit genug.
"Geduld! man seze sich; man höre von der Treue,
340"Wem sie bey diesem Streit den Preiß des Vorzugs weihe.
"Hier-

Sechſtes Buch.

„Wann er ſich aber nur aus toller Bosheit baͤumt,
„Und wie das Meer am Port vor ihren Fuͤſſen ſchaͤumt;
„So kann ſie ſich von ihm durch meinen Rath befreyen:
320„Jhr Anblick iſt die Straf, das Strafen ihm verzeihen.

„Dieß alles quillt von mir, von meiner Tugend her,
„Wer iſt der Koͤniginn dann unentbehrlicher
„Als ich, die Mildigkeit? werd’ ich nicht vorgeſezet,
„So weiß ich nicht, was ihr die groͤßte Tugend ſchaͤzet.
325„Nur der Gerechtigkeit, die meine Schweſter iſt,

„Auch Koͤniglichen Schuz zugleich mit mir genießt,
„Muͤßt ich vielleicht, wann es der Kreiß entſchloͤſſe, weichen;
„Allein wir wurden uns um ſo viel ehr vergleichen,
„Als uns Thereſia ſelbſt gleiche Stellen giebt,
330„Und unſre Tugenden mit gleichem Eifer uͤbt.

„So waͤr die Frage nur, wer von uns beyden ſiege,
„Und nicht an wem von euch die groͤſte Wohlfahrt liege.
KAum hat die Mildigkeit zu ſprechen aufgehoͤrt,
So ſah man die Begier zum Wiederſpruch vermehrt;
335Dann viele wieſen ſich mit Eifer-vollen Blicken;

Sie ſtunden auf, den Sinn mit Worten auszudruͤcken,
Allein die Mildigkeit bat wieder um Verzug:
„Wir haben„, ſagte ſie, zu reden Zeit genug.
„Geduld! man ſeze ſich; man hoͤre von der Treue,
340„Wem ſie bey dieſem Streit den Preiß des Vorzugs weihe.
„Hier-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg>
              <l>
                <pb facs="#f0190"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sech&#x017F;tes Buch.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>&#x201E;Wann er &#x017F;ich aber nur aus toller Bosheit ba&#x0364;umt,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Und wie das Meer am Port vor ihren Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;cha&#x0364;umt;</l><lb/>
              <l>&#x201E;So kann &#x017F;ie &#x017F;ich von ihm durch meinen Rath befreyen:<lb/><note place="left">320</note>&#x201E;Jhr Anblick i&#x017F;t die Straf, das Strafen ihm verzeihen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg>
              <l>&#x201E;Dieß alles quillt von mir, von meiner Tugend her,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wer i&#x017F;t der Ko&#x0364;niginn dann unentbehrlicher</l><lb/>
              <l>&#x201E;Als ich, die Mildigkeit? werd&#x2019; ich nicht vorge&#x017F;ezet,</l><lb/>
              <l>&#x201E;So weiß ich nicht, was ihr die gro&#x0364;ßte Tugend &#x017F;cha&#x0364;zet.<lb/><note place="left">325</note>&#x201E;Nur der Gerechtigkeit, die meine Schwe&#x017F;ter i&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Auch Ko&#x0364;niglichen Schuz zugleich mit mir genießt,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Mu&#x0364;ßt ich vielleicht, wann es der Kreiß ent&#x017F;chlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, weichen;</l><lb/>
              <l>&#x201E;Allein wir wurden uns um &#x017F;o viel ehr vergleichen,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Als uns <hi rendition="#fr">There&#x017F;ia</hi> &#x017F;elb&#x017F;t gleiche Stellen giebt,<lb/><note place="left">330</note>&#x201E;Und un&#x017F;re Tugenden mit gleichem Eifer u&#x0364;bt.</l><lb/>
              <l>&#x201E;So wa&#x0364;r die Frage nur, wer von uns beyden &#x017F;iege,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Und nicht an wem von euch die gro&#x0364;&#x017F;te Wohlfahrt liege.</l>
            </lg><lb/>
            <lg>
              <l><hi rendition="#in">K</hi>Aum hat die Mildigkeit zu &#x017F;prechen aufgeho&#x0364;rt,</l><lb/>
              <l>So &#x017F;ah man die Begier zum Wieder&#x017F;pruch vermehrt;<lb/><note place="left">335</note>Dann viele wie&#x017F;en &#x017F;ich mit Eifer-vollen Blicken;</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;tunden auf, den Sinn mit Worten auszudru&#x0364;cken,</l><lb/>
              <l>Allein die Mildigkeit bat wieder um Verzug:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wir haben&#x201E;, &#x017F;agte &#x017F;ie, zu reden Zeit genug.</l><lb/>
              <l>&#x201E;Geduld! man &#x017F;eze &#x017F;ich; man ho&#x0364;re von der <hi rendition="#fr">Treue,</hi><lb/><note place="left">340</note>&#x201E;Wem &#x017F;ie bey die&#x017F;em Streit den Preiß des Vorzugs weihe.</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Hier-</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] Sechſtes Buch. „Wann er ſich aber nur aus toller Bosheit baͤumt, „Und wie das Meer am Port vor ihren Fuͤſſen ſchaͤumt; „So kann ſie ſich von ihm durch meinen Rath befreyen: „Jhr Anblick iſt die Straf, das Strafen ihm verzeihen. „Dieß alles quillt von mir, von meiner Tugend her, „Wer iſt der Koͤniginn dann unentbehrlicher „Als ich, die Mildigkeit? werd’ ich nicht vorgeſezet, „So weiß ich nicht, was ihr die groͤßte Tugend ſchaͤzet. „Nur der Gerechtigkeit, die meine Schweſter iſt, „Auch Koͤniglichen Schuz zugleich mit mir genießt, „Muͤßt ich vielleicht, wann es der Kreiß entſchloͤſſe, weichen; „Allein wir wurden uns um ſo viel ehr vergleichen, „Als uns Thereſia ſelbſt gleiche Stellen giebt, „Und unſre Tugenden mit gleichem Eifer uͤbt. „So waͤr die Frage nur, wer von uns beyden ſiege, „Und nicht an wem von euch die groͤſte Wohlfahrt liege. KAum hat die Mildigkeit zu ſprechen aufgehoͤrt, So ſah man die Begier zum Wiederſpruch vermehrt; Dann viele wieſen ſich mit Eifer-vollen Blicken; Sie ſtunden auf, den Sinn mit Worten auszudruͤcken, Allein die Mildigkeit bat wieder um Verzug: „Wir haben„, ſagte ſie, zu reden Zeit genug. „Geduld! man ſeze ſich; man hoͤre von der Treue, „Wem ſie bey dieſem Streit den Preiß des Vorzugs weihe. „Hier-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade01_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade01_1746/190
Zitationshilfe: Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 1. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade01_1746/190>, abgerufen am 23.11.2024.