Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Achtes Buch.
"Wie trüge sie das Recht, die List, den Meineyd vor?
"Wie mahlte sie, wie man dort Staat und Land verlohr?
"Wie der mit Freundschaft prahlt, wann er den Haß verhöhlet?
320"Wie der zu seiner Hilff nicht Menschen, GOtt erwählet?
"Was unserm Aug entgeht, entwirfft der Pensel nicht.
"Was man nicht sehen kann, ist weder grau noch licht.
"So wißt ihr wie die Kunst der Farben eingeschräncket,
"Wogegen mein Gesang erzählt, was man gedencket.
325
"Bringt die Bildhauerinn ein Bildnis in die Frag,
"So lenckt sie schon das Ohr nach meinem Cither-Schlag;
"Und was sie sich entschließt in Marmel auszurunden,
"Das wird durch meine Kunst bereitet und erfunden.
"Ein Blinder sieht die Schild- und Mahlereyen nicht,
330"Doch hört er was der Klang der edlen Cither spricht;
"Desselben Lieblichkeit ermuntert alle Sinnen,
"Was fragt er um das Aug? er kann das Herz gewinnen.
"Durch die Beredsamkeit des holden Sayten-Klangs,
"Durch die Lebhaftigkeit des künstlichen Gesangs
335"Ward einst ein irrendes, zerstreutes Volck bewogen,
"Daß es aus Wildnissen sich in die Stadt gezogen.


[Spaltenumbruch] 336.
" So
336. Amphion brachte vor ungefähr
4000. Jahren die damahls noch wil-
den Völcker durch seine lieblichen Ge-
dichte dahin/ daß sie ihre Hölen und
Wälder verliessen/ sich nacher Thebe
zogen/ und diese berühmte Stadt mit
[Spaltenumbruch] Mauern umfiengen. Woraus nach-
mahls die Fabel entstanden: Als wä-
ren durch den Thon seiner Cither die
Steine dergestallt bewegt worden/ daß
sie sich selbst in einander gefüget etc.
Horat. de arte Poet.
G g 3
Achtes Buch.
„Wie truͤge ſie das Recht, die Liſt, den Meineyd vor?
„Wie mahlte ſie, wie man dort Staat und Land verlohr?
„Wie der mit Freundſchaft prahlt, wann er den Haß verhoͤhlet?
320„Wie der zu ſeiner Hilff nicht Menſchen, GOtt erwaͤhlet?
„Was unſerm Aug entgeht, entwirfft der Penſel nicht.
„Was man nicht ſehen kann, iſt weder grau noch licht.
„So wißt ihr wie die Kunſt der Farben eingeſchraͤncket,
„Wogegen mein Geſang erzaͤhlt, was man gedencket.
325
„Bringt die Bildhauerinn ein Bildnis in die Frag,
„So lenckt ſie ſchon das Ohr nach meinem Cither-Schlag;
„Und was ſie ſich entſchließt in Marmel auszurunden,
„Das wird durch meine Kunſt bereitet und erfunden.
„Ein Blinder ſieht die Schild- und Mahlereyen nicht,
330„Doch hoͤrt er was der Klang der edlen Cither ſpricht;
„Deſſelben Lieblichkeit ermuntert alle Sinnen,
„Was fragt er um das Aug? er kann das Herz gewinnen.
„Durch die Beredſamkeit des holden Sayten-Klangs,
„Durch die Lebhaftigkeit des kuͤnſtlichen Geſangs
335„Ward einſt ein irrendes, zerſtreutes Volck bewogen,
„Daß es aus Wildniſſen ſich in die Stadt gezogen.


[Spaltenumbruch] 336.
„ So
336. Amphion brachte vor ungefaͤhr
4000. Jahren die damahls noch wil-
den Voͤlcker durch ſeine lieblichen Ge-
dichte dahin/ daß ſie ihre Hoͤlen und
Waͤlder verlieſſen/ ſich nacher Thebe
zogen/ und dieſe beruͤhmte Stadt mit
[Spaltenumbruch] Mauern umfiengen. Woraus nach-
mahls die Fabel entſtanden: Als waͤ-
ren durch den Thon ſeiner Cither die
Steine dergeſtallt bewegt worden/ daß
ſie ſich ſelbſt in einander gefuͤget ꝛc.
Horat. de arte Poët.
G g 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0047"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Achtes Buch.</hi> </fw><lb/>
            <l>&#x201E;Wie tru&#x0364;ge &#x017F;ie das Recht, die Li&#x017F;t, den Meineyd vor?</l><lb/>
            <l>&#x201E;Wie mahlte &#x017F;ie, wie man dort Staat und Land verlohr?</l><lb/>
            <l>&#x201E;Wie der mit Freund&#x017F;chaft prahlt, wann er den Haß verho&#x0364;hlet?</l><lb/>
            <l><note place="left">320</note>&#x201E;Wie der zu &#x017F;einer Hilff nicht Men&#x017F;chen, GOtt erwa&#x0364;hlet?</l><lb/>
            <l>&#x201E;Was un&#x017F;erm Aug entgeht, entwirfft der Pen&#x017F;el nicht.</l><lb/>
            <l>&#x201E;Was man nicht &#x017F;ehen kann, i&#x017F;t weder grau noch licht.</l><lb/>
            <l>&#x201E;So wißt ihr wie die Kun&#x017F;t der Farben einge&#x017F;chra&#x0364;ncket,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Wogegen mein Ge&#x017F;ang erza&#x0364;hlt, was man gedencket.</l>
          </lg><lb/>
          <note place="left">325</note>
          <lg type="poem">
            <l>&#x201E;Bringt die Bildhauerinn ein Bildnis in die Frag,</l><lb/>
            <l>&#x201E;So lenckt &#x017F;ie &#x017F;chon das Ohr nach meinem Cither-Schlag;</l><lb/>
            <l>&#x201E;Und was &#x017F;ie &#x017F;ich ent&#x017F;chließt in Marmel auszurunden,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Das wird durch meine Kun&#x017F;t bereitet und erfunden.</l><lb/>
            <l>&#x201E;Ein Blinder &#x017F;ieht die Schild- und Mahlereyen nicht,</l><lb/>
            <l><note place="left">330</note>&#x201E;Doch ho&#x0364;rt er was der Klang der edlen Cither &#x017F;pricht;</l><lb/>
            <l>&#x201E;De&#x017F;&#x017F;elben Lieblichkeit ermuntert alle Sinnen,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Was fragt er um das Aug? er kann das Herz gewinnen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>&#x201E;Durch die Bered&#x017F;amkeit des holden Sayten-Klangs,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Durch die Lebhaftigkeit des ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Ge&#x017F;angs</l><lb/>
            <l><note place="left">335</note>&#x201E;Ward ein&#x017F;t ein irrendes, zer&#x017F;treutes Volck bewogen,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Daß es aus Wildni&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich in die Stadt gezogen.</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">G g 3</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">&#x201E; So</fw><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <cb/>
            <l>
              <note place="foot" n="336."><hi rendition="#aq">Amphion</hi> brachte vor ungefa&#x0364;hr<lb/>
4000. Jahren die damahls noch wil-<lb/>
den Vo&#x0364;lcker durch &#x017F;eine lieblichen Ge-<lb/>
dichte dahin/ daß &#x017F;ie ihre Ho&#x0364;len und<lb/>
Wa&#x0364;lder verlie&#x017F;&#x017F;en/ &#x017F;ich nacher <hi rendition="#aq">Thebe</hi><lb/>
zogen/ und die&#x017F;e beru&#x0364;hmte Stadt mit<lb/><cb/>
Mauern umfiengen. Woraus nach-<lb/>
mahls die Fabel ent&#x017F;tanden: Als wa&#x0364;-<lb/>
ren durch den Thon &#x017F;einer Cither die<lb/>
Steine derge&#x017F;tallt bewegt worden/ daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t in einander gefu&#x0364;get &#xA75B;c.<lb/><hi rendition="#aq">Horat. de arte Poët.</hi></note>
            </l><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] Achtes Buch. „Wie truͤge ſie das Recht, die Liſt, den Meineyd vor? „Wie mahlte ſie, wie man dort Staat und Land verlohr? „Wie der mit Freundſchaft prahlt, wann er den Haß verhoͤhlet? „Wie der zu ſeiner Hilff nicht Menſchen, GOtt erwaͤhlet? „Was unſerm Aug entgeht, entwirfft der Penſel nicht. „Was man nicht ſehen kann, iſt weder grau noch licht. „So wißt ihr wie die Kunſt der Farben eingeſchraͤncket, „Wogegen mein Geſang erzaͤhlt, was man gedencket. „Bringt die Bildhauerinn ein Bildnis in die Frag, „So lenckt ſie ſchon das Ohr nach meinem Cither-Schlag; „Und was ſie ſich entſchließt in Marmel auszurunden, „Das wird durch meine Kunſt bereitet und erfunden. „Ein Blinder ſieht die Schild- und Mahlereyen nicht, „Doch hoͤrt er was der Klang der edlen Cither ſpricht; „Deſſelben Lieblichkeit ermuntert alle Sinnen, „Was fragt er um das Aug? er kann das Herz gewinnen. „Durch die Beredſamkeit des holden Sayten-Klangs, „Durch die Lebhaftigkeit des kuͤnſtlichen Geſangs „Ward einſt ein irrendes, zerſtreutes Volck bewogen, „Daß es aus Wildniſſen ſich in die Stadt gezogen. „ So 336. 336. Amphion brachte vor ungefaͤhr 4000. Jahren die damahls noch wil- den Voͤlcker durch ſeine lieblichen Ge- dichte dahin/ daß ſie ihre Hoͤlen und Waͤlder verlieſſen/ ſich nacher Thebe zogen/ und dieſe beruͤhmte Stadt mit Mauern umfiengen. Woraus nach- mahls die Fabel entſtanden: Als waͤ- ren durch den Thon ſeiner Cither die Steine dergeſtallt bewegt worden/ daß ſie ſich ſelbſt in einander gefuͤget ꝛc. Horat. de arte Poët. G g 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade02_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade02_1746/47
Zitationshilfe: Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade02_1746/47>, abgerufen am 03.12.2024.