Schiller, Friedrich: Dom Karlos, Infant von Spanien. Leipzig, 1787.Erster Akt. Kann ich dafür, wenn eine knechtischeErziehung schon in meinem jungen Herzen der Liebe zarten Keim zertrat? -- Sechs Jahre hatt ich gelebt, als mir zum erstenmal der Fürchterliche, der, wie sie mir sagten, mein Vater war, vor Augen kam. Es war an einem Morgen, wo er steh'nden Fußes vier Bluturtheile unterschrieb. Nach diesem sah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergehn Bestrafung angekündigt ward -- O Gott! hier fühl' ich, daß ich bitter werde -- Weg -- weg, weg von dieser Stelle. Marquis. Nein, Sie sollen, jetzt sollen Sie Sich öffnen, Prinz. In Worten erleichtert sich der schwer beladne Busen. Karlos. Oft hab' ich mit mir selbst gerungen, oft um Mitternacht, wenn meine Wachen schliefen, mit heißen Thränengüssen vor das Bild der Hochgebenedeihten mich geworfen, sie um ein kindlich Herz gefleht -- doch ohne Erhörung stand ich auf. Ach Rodrigo! enthülle Du dieß wunderbare Räthsel Erſter Akt. Kann ich dafür, wenn eine knechtiſcheErziehung ſchon in meinem jungen Herzen der Liebe zarten Keim zertrat? — Sechs Jahre hatt ich gelebt, als mir zum erſtenmal der Fürchterliche, der, wie ſie mir ſagten, mein Vater war, vor Augen kam. Es war an einem Morgen, wo er ſteh’nden Fußes vier Bluturtheile unterſchrieb. Nach dieſem ſah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergehn Beſtrafung angekündigt ward — O Gott! hier fühl’ ich, daß ich bitter werde — Weg — weg, weg von dieſer Stelle. Marquis. Nein, Sie ſollen, jetzt ſollen Sie Sich öffnen, Prinz. In Worten erleichtert ſich der ſchwer beladne Buſen. Karlos. Oft hab’ ich mit mir ſelbſt gerungen, oft um Mitternacht, wenn meine Wachen ſchliefen, mit heißen Thränengüſſen vor das Bild der Hochgebenedeihten mich geworfen, ſie um ein kindlich Herz gefleht — doch ohne Erhörung ſtand ich auf. Ach Rodrigo! enthülle Du dieß wunderbare Räthſel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#KAR"> <p><pb facs="#f0033" n="23"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſter Akt</hi>.</fw><lb/> Kann ich dafür, wenn eine knechtiſche<lb/> Erziehung ſchon in meinem jungen Herzen<lb/> der Liebe zarten Keim zertrat? — Sechs Jahre<lb/> hatt ich gelebt, als mir zum erſtenmal<lb/> der Fürchterliche, der, wie ſie mir ſagten,<lb/> mein Vater war, vor Augen kam. Es war<lb/> an einem Morgen, wo er ſteh’nden Fußes<lb/> vier Bluturtheile unterſchrieb. Nach dieſem<lb/> ſah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergehn<lb/> Beſtrafung angekündigt ward — O Gott!<lb/> hier fühl’ ich, daß ich bitter werde — Weg —<lb/> weg, weg von dieſer Stelle.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker><hi rendition="#g">Marquis</hi>.</speaker><lb/> <p><hi rendition="#et">Nein, Sie ſollen,</hi><lb/> jetzt ſollen Sie Sich öffnen, Prinz. In Worten<lb/> erleichtert ſich der ſchwer beladne Buſen.</p> </sp><lb/> <sp who="#KAR"> <speaker><hi rendition="#g">Karlos</hi>.</speaker><lb/> <p>Oft hab’ ich mit mir ſelbſt gerungen, oft<lb/> um Mitternacht, wenn meine Wachen ſchliefen,<lb/> mit heißen Thränengüſſen vor das Bild<lb/> der Hochgebenedeihten mich geworfen,<lb/> ſie um ein kindlich Herz gefleht — doch ohne<lb/> Erhörung ſtand ich auf. Ach Rodrigo!<lb/> enthülle Du dieß wunderbare Räthſel<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [23/0033]
Erſter Akt.
Kann ich dafür, wenn eine knechtiſche
Erziehung ſchon in meinem jungen Herzen
der Liebe zarten Keim zertrat? — Sechs Jahre
hatt ich gelebt, als mir zum erſtenmal
der Fürchterliche, der, wie ſie mir ſagten,
mein Vater war, vor Augen kam. Es war
an einem Morgen, wo er ſteh’nden Fußes
vier Bluturtheile unterſchrieb. Nach dieſem
ſah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergehn
Beſtrafung angekündigt ward — O Gott!
hier fühl’ ich, daß ich bitter werde — Weg —
weg, weg von dieſer Stelle.
Marquis.
Nein, Sie ſollen,
jetzt ſollen Sie Sich öffnen, Prinz. In Worten
erleichtert ſich der ſchwer beladne Buſen.
Karlos.
Oft hab’ ich mit mir ſelbſt gerungen, oft
um Mitternacht, wenn meine Wachen ſchliefen,
mit heißen Thränengüſſen vor das Bild
der Hochgebenedeihten mich geworfen,
ſie um ein kindlich Herz gefleht — doch ohne
Erhörung ſtand ich auf. Ach Rodrigo!
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