Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reyhe von Briefen. [1. Teil; 1. bis 9. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 1. Stück. Tübingen, 1795, S. 7–48.man eben so oft genöthigt ist, sich auf Gefühle als auf Grundsätze zu berufen, den schwersten Theil meines Geschäfts auf sich nehmen wird. Was ich mir als eine Gunst von Ihnen erbitten wollte, machen Sie großmüthiger Weise mir zur Pflicht, und lassen mir da den Schein eines Verdienstes, wo ich bloß meiner Neigung nachgebe. Die Freyheit des Ganges, welche Sie mir vorschreiben, ist kein Zwang, vielmehr ein Bedürfniß für mich. Wenig geübt im Gebrauche schulgerechter Formen werde ich kaum in Gefahr seyn, mich durch Misbrauch derselben an dem guten Geschmack zu versündigen. Meine Ideen, mehr aus dem einförmigen Umgange mit mir selbst als aus einer reichen Welterfahrung geschöpft oder durch Lektüre erworben, werden ihren Ursprung nicht verläugnen, werden sich eher jedes andern Fehlers als der Sektiererey schuldig machen, und eher aus eigner Schwäche fallen, als durch Autorität und fremde Stärke sich aufrecht erhalten. Zwar will ich Ihnen nicht verbergen, daß es größtentheils Kantische Grundsätze sind, auf denen die nachfolgenden Behauptungen ruhen werden; aber meinem Unvermögen, nicht jenen Grundsätzen schreiben Sie es zu, wenn Sie im Lauf dieser Untersuchungen an irgend eine besondre philosophische Schule erinnert werden sollten. Nein, die Freyheit ihres Geistes soll mir unverletzlich seyn. Ihre eigne Empfindung wird mir die Thatsachen hergeben, auf die ich baue; Ihre eigene freye Denkkraft wird die Gesetze diktieren, nach welchen verfahren werden soll. Ueber diejenigen Ideen, welche in dem praktischen man eben so oft genöthigt ist, sich auf Gefühle als auf Grundsätze zu berufen, den schwersten Theil meines Geschäfts auf sich nehmen wird. Was ich mir als eine Gunst von Ihnen erbitten wollte, machen Sie großmüthiger Weise mir zur Pflicht, und lassen mir da den Schein eines Verdienstes, wo ich bloß meiner Neigung nachgebe. Die Freyheit des Ganges, welche Sie mir vorschreiben, ist kein Zwang, vielmehr ein Bedürfniß für mich. Wenig geübt im Gebrauche schulgerechter Formen werde ich kaum in Gefahr seyn, mich durch Misbrauch derselben an dem guten Geschmack zu versündigen. Meine Ideen, mehr aus dem einförmigen Umgange mit mir selbst als aus einer reichen Welterfahrung geschöpft oder durch Lektüre erworben, werden ihren Ursprung nicht verläugnen, werden sich eher jedes andern Fehlers als der Sektiererey schuldig machen, und eher aus eigner Schwäche fallen, als durch Autorität und fremde Stärke sich aufrecht erhalten. Zwar will ich Ihnen nicht verbergen, daß es größtentheils Kantische Grundsätze sind, auf denen die nachfolgenden Behauptungen ruhen werden; aber meinem Unvermögen, nicht jenen Grundsätzen schreiben Sie es zu, wenn Sie im Lauf dieser Untersuchungen an irgend eine besondre philosophische Schule erinnert werden sollten. Nein, die Freyheit ihres Geistes soll mir unverletzlich seyn. Ihre eigne Empfindung wird mir die Thatsachen hergeben, auf die ich baue; Ihre eigene freye Denkkraft wird die Gesetze diktieren, nach welchen verfahren werden soll. Ueber diejenigen Ideen, welche in dem praktischen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0002" n="8"/> man eben so oft genöthigt ist, sich auf Gefühle als auf Grundsätze zu berufen, den schwersten Theil meines Geschäfts auf sich nehmen wird.</p> <p>Was ich mir als eine Gunst von Ihnen erbitten wollte, machen Sie großmüthiger Weise mir zur Pflicht, und lassen mir da den Schein eines Verdienstes, wo ich bloß meiner Neigung nachgebe. Die Freyheit des Ganges, welche Sie mir vorschreiben, ist kein Zwang, vielmehr ein Bedürfniß für mich. Wenig geübt im Gebrauche schulgerechter Formen werde ich kaum in Gefahr seyn, mich durch Misbrauch derselben an dem guten Geschmack zu versündigen. Meine Ideen, mehr aus dem einförmigen Umgange mit mir selbst als aus einer reichen Welterfahrung geschöpft oder durch Lektüre erworben, werden ihren Ursprung nicht verläugnen, werden sich eher jedes andern Fehlers als der Sektiererey schuldig machen, und eher aus eigner Schwäche fallen, als durch Autorität und fremde Stärke sich aufrecht erhalten.</p> <p>Zwar will ich Ihnen nicht verbergen, daß es größtentheils Kantische Grundsätze sind, auf denen die nachfolgenden Behauptungen ruhen werden; aber meinem Unvermögen, nicht jenen Grundsätzen schreiben Sie es zu, wenn Sie im Lauf dieser Untersuchungen an irgend eine besondre philosophische Schule erinnert werden sollten. Nein, die Freyheit ihres Geistes soll mir unverletzlich seyn. Ihre eigne Empfindung wird mir die Thatsachen hergeben, auf die ich baue; Ihre eigene freye Denkkraft wird die Gesetze diktieren, nach welchen verfahren werden soll.</p> <p>Ueber diejenigen Ideen, welche in dem praktischen </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [8/0002]
man eben so oft genöthigt ist, sich auf Gefühle als auf Grundsätze zu berufen, den schwersten Theil meines Geschäfts auf sich nehmen wird.
Was ich mir als eine Gunst von Ihnen erbitten wollte, machen Sie großmüthiger Weise mir zur Pflicht, und lassen mir da den Schein eines Verdienstes, wo ich bloß meiner Neigung nachgebe. Die Freyheit des Ganges, welche Sie mir vorschreiben, ist kein Zwang, vielmehr ein Bedürfniß für mich. Wenig geübt im Gebrauche schulgerechter Formen werde ich kaum in Gefahr seyn, mich durch Misbrauch derselben an dem guten Geschmack zu versündigen. Meine Ideen, mehr aus dem einförmigen Umgange mit mir selbst als aus einer reichen Welterfahrung geschöpft oder durch Lektüre erworben, werden ihren Ursprung nicht verläugnen, werden sich eher jedes andern Fehlers als der Sektiererey schuldig machen, und eher aus eigner Schwäche fallen, als durch Autorität und fremde Stärke sich aufrecht erhalten.
Zwar will ich Ihnen nicht verbergen, daß es größtentheils Kantische Grundsätze sind, auf denen die nachfolgenden Behauptungen ruhen werden; aber meinem Unvermögen, nicht jenen Grundsätzen schreiben Sie es zu, wenn Sie im Lauf dieser Untersuchungen an irgend eine besondre philosophische Schule erinnert werden sollten. Nein, die Freyheit ihres Geistes soll mir unverletzlich seyn. Ihre eigne Empfindung wird mir die Thatsachen hergeben, auf die ich baue; Ihre eigene freye Denkkraft wird die Gesetze diktieren, nach welchen verfahren werden soll.
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Zitationshilfe: | Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reyhe von Briefen. [1. Teil; 1. bis 9. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 1. Stück. Tübingen, 1795, S. 7–48, hier S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung01_1795/2>, abgerufen am 16.07.2024. |