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Schiller, Friedrich: Die schmelzende Schönheit. Fortsetzung der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. [3. Teil; 17. bis 27. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 2, 6. Stück. Tübingen, 1795, S. 45–124.

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nern Gesetzmäsigkeit kann gefunden werden, eben so schreitet er in Erklärung des Sittlichen über die Vernunft hinaus, und verscherzt seine Menschheit, indem er auf diesem Weg eine Gottheit sucht. Kein Wunder, wenn eine Religion, die mit Wegwerfung seiner Menschheit erkauft wurde, sich einer solchen Abstammung würdig zeigt, wenn er Gesetze, die nicht von Ewigkeit her banden, auch nicht für unbedingt und in alle Ewigkeit bindend hält. Er hat es nicht mit einem heiligen, bloß mit einem mächtigen Wesen zu thun. Der Geist seiner Gottesverehrung ist also Furcht, die ihn erniedrigt, nicht Ehrfurcht, die ihn in seiner eigenen Schätzung erhebt.

Obgleich diese mannichfaltigen Abweichungen des Menschen von dem Ideale seiner Bestimmung nicht alle in der nehmlichen Epoche statt haben können, indem derselbe von der Gedankenlosigkeit zum Irrthum, von der Willenlosigkeit zur Willensverderbniß mehrere Stuffen zu durchwandern hat, so gehören doch alle zum Gefolge des physischen Zustandes, weil in allen der Trieb des Lebens über den Formtrieb den Meister spielt. Es sey nun, daß die Vernunft in dem Menschen noch gar nicht gesprochen habe, und das Physische noch mit blinder Nothwendigkeit über ihn herrsche; oder daß sich die Vernunft noch nicht genug von den Sinnen gereinigt habe, und das Moralische dem Physischen noch diene, so ist in beyden Fällen das einzige in ihm gewalthabende Princip ein materielles und der Mensch wenigstens seiner letzten Tendenz nach ein sinnliches Wesen; mit dem einzigen Unterschied, daß er in dem ersten Fall ein vernunftloses, in dem zweyten ein vernünftiges Thier ist. Er soll aber

nern Gesetzmäsigkeit kann gefunden werden, eben so schreitet er in Erklärung des Sittlichen über die Vernunft hinaus, und verscherzt seine Menschheit, indem er auf diesem Weg eine Gottheit sucht. Kein Wunder, wenn eine Religion, die mit Wegwerfung seiner Menschheit erkauft wurde, sich einer solchen Abstammung würdig zeigt, wenn er Gesetze, die nicht von Ewigkeit her banden, auch nicht für unbedingt und in alle Ewigkeit bindend hält. Er hat es nicht mit einem heiligen, bloß mit einem mächtigen Wesen zu thun. Der Geist seiner Gottesverehrung ist also Furcht, die ihn erniedrigt, nicht Ehrfurcht, die ihn in seiner eigenen Schätzung erhebt.

Obgleich diese mannichfaltigen Abweichungen des Menschen von dem Ideale seiner Bestimmung nicht alle in der nehmlichen Epoche statt haben können, indem derselbe von der Gedankenlosigkeit zum Irrthum, von der Willenlosigkeit zur Willensverderbniß mehrere Stuffen zu durchwandern hat, so gehören doch alle zum Gefolge des physischen Zustandes, weil in allen der Trieb des Lebens über den Formtrieb den Meister spielt. Es sey nun, daß die Vernunft in dem Menschen noch gar nicht gesprochen habe, und das Physische noch mit blinder Nothwendigkeit über ihn herrsche; oder daß sich die Vernunft noch nicht genug von den Sinnen gereinigt habe, und das Moralische dem Physischen noch diene, so ist in beyden Fällen das einzige in ihm gewalthabende Princip ein materielles und der Mensch wenigstens seiner letzten Tendenz nach ein sinnliches Wesen; mit dem einzigen Unterschied, daß er in dem ersten Fall ein vernunftloses, in dem zweyten ein vernünftiges Thier ist. Er soll aber

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[93/0049] nern Gesetzmäsigkeit kann gefunden werden, eben so schreitet er in Erklärung des Sittlichen über die Vernunft hinaus, und verscherzt seine Menschheit, indem er auf diesem Weg eine Gottheit sucht. Kein Wunder, wenn eine Religion, die mit Wegwerfung seiner Menschheit erkauft wurde, sich einer solchen Abstammung würdig zeigt, wenn er Gesetze, die nicht von Ewigkeit her banden, auch nicht für unbedingt und in alle Ewigkeit bindend hält. Er hat es nicht mit einem heiligen, bloß mit einem mächtigen Wesen zu thun. Der Geist seiner Gottesverehrung ist also Furcht, die ihn erniedrigt, nicht Ehrfurcht, die ihn in seiner eigenen Schätzung erhebt. Obgleich diese mannichfaltigen Abweichungen des Menschen von dem Ideale seiner Bestimmung nicht alle in der nehmlichen Epoche statt haben können, indem derselbe von der Gedankenlosigkeit zum Irrthum, von der Willenlosigkeit zur Willensverderbniß mehrere Stuffen zu durchwandern hat, so gehören doch alle zum Gefolge des physischen Zustandes, weil in allen der Trieb des Lebens über den Formtrieb den Meister spielt. Es sey nun, daß die Vernunft in dem Menschen noch gar nicht gesprochen habe, und das Physische noch mit blinder Nothwendigkeit über ihn herrsche; oder daß sich die Vernunft noch nicht genug von den Sinnen gereinigt habe, und das Moralische dem Physischen noch diene, so ist in beyden Fällen das einzige in ihm gewalthabende Princip ein materielles und der Mensch wenigstens seiner letzten Tendenz nach ein sinnliches Wesen; mit dem einzigen Unterschied, daß er in dem ersten Fall ein vernunftloses, in dem zweyten ein vernünftiges Thier ist. Er soll aber

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die schmelzende Schönheit. Fortsetzung der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. [3. Teil; 17. bis 27. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 2, 6. Stück. Tübingen, 1795, S. 45–124, hier S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung03_1795/49>, abgerufen am 03.12.2024.