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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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Der Baron von F*** an den Grafen
von O***.
Dritter Brief.

4. Junius.

Der Marchese von Civitella, der von seinen Wun¬
den nun ganz wieder hergestellt ist, hat sich vorige
Woche durch seinen Oncle, den Kardinal, bey dem
Prinzen einführen lassen, und seit diesem Tage folgt
er ihm, wie sein Schatten. Von diesem Marchese
hat mir Biondello doch nicht die Wahrheit gesagt,
wenigstens hat er sie weit übertrieben. Ein sehr
liebenswürdiger Mensch von Ansehn, und unwider¬
stehlich im Umgang. Es ist nicht möglich, ihm
gram zu seyn, der erste Anblick hat mich erobert.
Denken Sie sich die bezauberndste Figur, mit Wür¬
de und Anmuth getragen, ein Gesicht voll Geist
und Seele, eine offne einladende Miene, einen
einschmeichelnden Ton der Stimme, die fließendste
Beredsamkeit, die blühendste Jugend mit allen
Grazien der feinsten Erziehung vereinigt. Er hat
gar nichts von dem geringschätzigen Stolz, von der
feyerlichen Steifheit, die uns an den übrigen No¬
bili, so unerträglich fällt. Alles an ihm athmet ju¬
gendliche Frohherzigkeit, Wohlwollen, Wärme des
Gefühls. Seine Ausschweifungen muß man mir
weit übertrieben haben, nie sah' ich ein vollkomm¬
neres, schöneres Bild der Gesundheit. Wenn er
wirklich so schlimm ist, als mir Biondello sagt, so

ist
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Der Baron von F*** an den Grafen
von O***.
Dritter Brief.

4. Junius.

Der Marcheſe von Civitella, der von ſeinen Wun¬
den nun ganz wieder hergeſtellt iſt, hat ſich vorige
Woche durch ſeinen Oncle, den Kardinal, bey dem
Prinzen einführen laſſen, und ſeit dieſem Tage folgt
er ihm, wie ſein Schatten. Von dieſem Marcheſe
hat mir Biondello doch nicht die Wahrheit geſagt,
wenigſtens hat er ſie weit übertrieben. Ein ſehr
liebenswürdiger Menſch von Anſehn, und unwider¬
ſtehlich im Umgang. Es iſt nicht möglich, ihm
gram zu ſeyn, der erſte Anblick hat mich erobert.
Denken Sie ſich die bezauberndſte Figur, mit Wür¬
de und Anmuth getragen, ein Geſicht voll Geiſt
und Seele, eine offne einladende Miene, einen
einſchmeichelnden Ton der Stimme, die fließendſte
Beredſamkeit, die blühendſte Jugend mit allen
Grazien der feinſten Erziehung vereinigt. Er hat
gar nichts von dem geringſchätzigen Stolz, von der
feyerlichen Steifheit, die uns an den übrigen No¬
bili, ſo unerträglich fällt. Alles an ihm athmet ju¬
gendliche Frohherzigkeit, Wohlwollen, Wärme des
Gefühls. Seine Ausſchweifungen muß man mir
weit übertrieben haben, nie ſah' ich ein vollkomm¬
neres, ſchöneres Bild der Geſundheit. Wenn er
wirklich ſo ſchlimm iſt, als mir Biondello ſagt, ſo

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[117/0125] Der Baron von F*** an den Grafen von O***. Dritter Brief. 4. Junius. Der Marcheſe von Civitella, der von ſeinen Wun¬ den nun ganz wieder hergeſtellt iſt, hat ſich vorige Woche durch ſeinen Oncle, den Kardinal, bey dem Prinzen einführen laſſen, und ſeit dieſem Tage folgt er ihm, wie ſein Schatten. Von dieſem Marcheſe hat mir Biondello doch nicht die Wahrheit geſagt, wenigſtens hat er ſie weit übertrieben. Ein ſehr liebenswürdiger Menſch von Anſehn, und unwider¬ ſtehlich im Umgang. Es iſt nicht möglich, ihm gram zu ſeyn, der erſte Anblick hat mich erobert. Denken Sie ſich die bezauberndſte Figur, mit Wür¬ de und Anmuth getragen, ein Geſicht voll Geiſt und Seele, eine offne einladende Miene, einen einſchmeichelnden Ton der Stimme, die fließendſte Beredſamkeit, die blühendſte Jugend mit allen Grazien der feinſten Erziehung vereinigt. Er hat gar nichts von dem geringſchätzigen Stolz, von der feyerlichen Steifheit, die uns an den übrigen No¬ bili, ſo unerträglich fällt. Alles an ihm athmet ju¬ gendliche Frohherzigkeit, Wohlwollen, Wärme des Gefühls. Seine Ausſchweifungen muß man mir weit übertrieben haben, nie ſah' ich ein vollkomm¬ neres, ſchöneres Bild der Geſundheit. Wenn er wirklich ſo ſchlimm iſt, als mir Biondello ſagt, ſo iſt H 3

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/125>, abgerufen am 21.11.2024.