Mädchen und Knaben, alle theatralisch gekleidet, bewillkommte uns mit einem pantomimischen Tanz. Die Erfindung war neu, Leichtigkeit und Grazie beseelten jede Bewegung. Eh der Tanz noch völlig zu Ende war, schien die Anführerinn desselben, welche eine Königinn vorstellte, plötzlich wie von ei¬ nem unsichtbaren Arme gehalten. Leblos stand sie und Alles. Die Musik schwieg. Kein Odem war zu hören in der ganzen Versammlung und sie stand da, den Blick auf die Erde geheftet, in einer tie¬ fen Erstarrung. Auf einmal fuhr sie mit der Wuth der Begeisterung in die Höhe, blickte wild um sich her -- "Ein König ist unter uns," rief sie, riß ihre Krone vom Haupt, und legte sie -- zu den Füßen des Prinzen. Alles, was da war, richtete hier die Augen auf ihn, lange Zeit ungewiß, ob Bedeutung in diesem Gaukelspiel wäre, so sehr hatte der affektvolle Ernst dieser Spielerinn ge¬ täuscht -- Ein allgemeines Händeklatschen des Beyfalls unterbrach endlich diese Stille. Meine Augen suchten den Prinzen. Ich bemerkte, daß er nicht wenig betroffen war und sich Mühe gab, den forschenden Blicken der Zuschauer auszuwei¬ chen. Er warf Geld unter diese Kinder und eilte, aus dem Gewühle zu kommen.
Wir hatten nur wenige Schritte gemacht, als ein ehrwürdiger Barfüßer sich durch das Volk ar¬ beitete, und dem Prinzen in den Weg trat. "Herr," sagte der Mönch, "gieb der Madonna von deinem Gelde, du wirst ihr Gebet brauchen."
Er
Mädchen und Knaben, alle theatraliſch gekleidet, bewillkommte uns mit einem pantomimiſchen Tanz. Die Erfindung war neu, Leichtigkeit und Grazie beſeelten jede Bewegung. Eh der Tanz noch völlig zu Ende war, ſchien die Anführerinn deſſelben, welche eine Königinn vorſtellte, plötzlich wie von ei¬ nem unſichtbaren Arme gehalten. Leblos ſtand ſie und Alles. Die Muſik ſchwieg. Kein Odem war zu hören in der ganzen Verſammlung und ſie ſtand da, den Blick auf die Erde geheftet, in einer tie¬ fen Erſtarrung. Auf einmal fuhr ſie mit der Wuth der Begeiſterung in die Höhe, blickte wild um ſich her — „Ein König iſt unter uns,“ rief ſie, riß ihre Krone vom Haupt, und legte ſie — zu den Füßen des Prinzen. Alles, was da war, richtete hier die Augen auf ihn, lange Zeit ungewiß, ob Bedeutung in dieſem Gaukelſpiel wäre, ſo ſehr hatte der affektvolle Ernſt dieſer Spielerinn ge¬ täuſcht — Ein allgemeines Händeklatſchen des Beyfalls unterbrach endlich dieſe Stille. Meine Augen ſuchten den Prinzen. Ich bemerkte, daß er nicht wenig betroffen war und ſich Mühe gab, den forſchenden Blicken der Zuſchauer auszuwei¬ chen. Er warf Geld unter dieſe Kinder und eilte, aus dem Gewühle zu kommen.
Wir hatten nur wenige Schritte gemacht, als ein ehrwürdiger Barfüßer ſich durch das Volk ar¬ beitete, und dem Prinzen in den Weg trat. „Herr,“ ſagte der Mönch, „gieb der Madonna von deinem Gelde, du wirſt ihr Gebet brauchen.“
Er
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Mädchen und Knaben, alle theatraliſch gekleidet,
bewillkommte uns mit einem pantomimiſchen Tanz.
Die Erfindung war neu, Leichtigkeit und Grazie
beſeelten jede Bewegung. Eh der Tanz noch völlig
zu Ende war, ſchien die Anführerinn deſſelben,
welche eine Königinn vorſtellte, plötzlich wie von ei¬
nem unſichtbaren Arme gehalten. Leblos ſtand ſie
und Alles. Die Muſik ſchwieg. Kein Odem war
zu hören in der ganzen Verſammlung und ſie ſtand
da, den Blick auf die Erde geheftet, in einer tie¬
fen Erſtarrung. Auf einmal fuhr ſie mit der Wuth
der Begeiſterung in die Höhe, blickte wild um ſich
her — „Ein König iſt unter uns,“ rief ſie, riß
ihre Krone vom Haupt, und legte ſie — zu den
Füßen des Prinzen. Alles, was da war, richtete
hier die Augen auf ihn, lange Zeit ungewiß, ob
Bedeutung in dieſem Gaukelſpiel wäre, ſo ſehr
hatte der affektvolle Ernſt dieſer Spielerinn ge¬
täuſcht — Ein allgemeines Händeklatſchen des
Beyfalls unterbrach endlich dieſe Stille. Meine
Augen ſuchten den Prinzen. Ich bemerkte, daß
er nicht wenig betroffen war und ſich Mühe gab,
den forſchenden Blicken der Zuſchauer auszuwei¬
chen. Er warf Geld unter dieſe Kinder und eilte,
aus dem Gewühle zu kommen.
Wir hatten nur wenige Schritte gemacht, als
ein ehrwürdiger Barfüßer ſich durch das Volk ar¬
beitete, und dem Prinzen in den Weg trat.
„Herr,“ ſagte der Mönch, „gieb der Madonna
von deinem Gelde, du wirſt ihr Gebet brauchen.“
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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/24>, abgerufen am 16.07.2024.
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