Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.Mädchen und Knaben, alle theatralisch gekleidet, Wir hatten nur wenige Schritte gemacht, als Er
Mädchen und Knaben, alle theatraliſch gekleidet, Wir hatten nur wenige Schritte gemacht, als Er
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0024" n="16"/> Mädchen und Knaben, alle theatraliſch gekleidet,<lb/> bewillkommte uns mit einem pantomimiſchen Tanz.<lb/> Die Erfindung war neu, Leichtigkeit und Grazie<lb/> beſeelten jede Bewegung. Eh der Tanz noch völlig<lb/> zu Ende war, ſchien die Anführerinn deſſelben,<lb/> welche eine Königinn vorſtellte, plötzlich wie von ei¬<lb/> nem unſichtbaren Arme gehalten. Leblos ſtand ſie<lb/> und Alles. Die Muſik ſchwieg. Kein Odem war<lb/> zu hören in der ganzen Verſammlung und <hi rendition="#g">ſie</hi> ſtand<lb/> da, den Blick auf die Erde geheftet, in einer tie¬<lb/> fen Erſtarrung. Auf einmal fuhr ſie mit der Wuth<lb/> der Begeiſterung in die Höhe, blickte wild um ſich<lb/> her — „Ein König iſt unter uns,“ rief ſie, riß<lb/> ihre Krone vom Haupt, und legte ſie — zu den<lb/> Füßen des Prinzen. Alles, was da war, richtete<lb/> hier die Augen auf ihn, lange Zeit ungewiß, ob<lb/> Bedeutung in dieſem Gaukelſpiel wäre, ſo ſehr<lb/> hatte der affektvolle Ernſt dieſer Spielerinn ge¬<lb/> täuſcht — Ein allgemeines Händeklatſchen des<lb/> Beyfalls unterbrach endlich dieſe Stille. Meine<lb/> Augen ſuchten den Prinzen. Ich bemerkte, daß<lb/> er nicht wenig betroffen war und ſich Mühe gab,<lb/> den forſchenden Blicken der Zuſchauer auszuwei¬<lb/> chen. Er warf Geld unter dieſe Kinder und eilte,<lb/> aus dem Gewühle zu kommen.</p><lb/> <p>Wir hatten nur wenige Schritte gemacht, als<lb/> ein ehrwürdiger Barfüßer ſich durch das Volk ar¬<lb/> beitete, und dem Prinzen in den Weg trat.<lb/> „Herr,“ ſagte der Mönch, „gieb der Madonna<lb/> von deinem Gelde, du wirſt ihr Gebet brauchen.“<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Er<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0024]
Mädchen und Knaben, alle theatraliſch gekleidet,
bewillkommte uns mit einem pantomimiſchen Tanz.
Die Erfindung war neu, Leichtigkeit und Grazie
beſeelten jede Bewegung. Eh der Tanz noch völlig
zu Ende war, ſchien die Anführerinn deſſelben,
welche eine Königinn vorſtellte, plötzlich wie von ei¬
nem unſichtbaren Arme gehalten. Leblos ſtand ſie
und Alles. Die Muſik ſchwieg. Kein Odem war
zu hören in der ganzen Verſammlung und ſie ſtand
da, den Blick auf die Erde geheftet, in einer tie¬
fen Erſtarrung. Auf einmal fuhr ſie mit der Wuth
der Begeiſterung in die Höhe, blickte wild um ſich
her — „Ein König iſt unter uns,“ rief ſie, riß
ihre Krone vom Haupt, und legte ſie — zu den
Füßen des Prinzen. Alles, was da war, richtete
hier die Augen auf ihn, lange Zeit ungewiß, ob
Bedeutung in dieſem Gaukelſpiel wäre, ſo ſehr
hatte der affektvolle Ernſt dieſer Spielerinn ge¬
täuſcht — Ein allgemeines Händeklatſchen des
Beyfalls unterbrach endlich dieſe Stille. Meine
Augen ſuchten den Prinzen. Ich bemerkte, daß
er nicht wenig betroffen war und ſich Mühe gab,
den forſchenden Blicken der Zuſchauer auszuwei¬
chen. Er warf Geld unter dieſe Kinder und eilte,
aus dem Gewühle zu kommen.
Wir hatten nur wenige Schritte gemacht, als
ein ehrwürdiger Barfüßer ſich durch das Volk ar¬
beitete, und dem Prinzen in den Weg trat.
„Herr,“ ſagte der Mönch, „gieb der Madonna
von deinem Gelde, du wirſt ihr Gebet brauchen.“
Er
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