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Schiller, Friedrich: Kabale und Liebe. Mannheim, 1784.

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guter Vater -- aber Er muß mich ausreden lassen
-- Der dritte Ort ist das Grab.

Miller. (zu einem Sessel hin wankend) O mein
Gott!

Louise. (geht auf ihn zu und hält ihn) Nicht
doch mein Vater! Das sind nur Schauer, die sich
um das Wort herum lagern -- Weg mit diesem,
und es liegt ein Brautbette da, worüber der Mor-
gen seinen goldenen Teppich breitet, und die Früh-
linge ihre bunte Guirlanden streun. Nur ein heu-
lender Sünder konnte den Tod ein Gerippe schelten;
es ist ein holder niedlicher Knabe, blühend, wie sie
den Liebesgott mahlen, aber so tükisch nicht -- ein
stiller dienstbarer Genius, der der erschöpften Pilge-
rin Seele den Arm bietet über den Graben der
Zeit, das Feenschloß der ewigen Herrlichkeit auf-
schließt, freundlich nikt, und verschwindet.

Miller. Was hast du vor, meine Tochter? --
Du willst eigenmächtig Hand an dich legen.

Louise. Nenn Er es nicht so mein Vater. Ei-
ne Gesellschaft räumen, wo ich nicht wol gelitten
bin -- An einen Ort vorausspringen, den ich
nicht länger missen kann -- Ist denn das Sünde?

Miller. Selbstmord ist die abscheulichste mein
Kind -- die einzige, die man nicht mehr bereuen
kann, weil Tod und Missethat zusammenfallen.

Louise. (bleibt erstarrt stehn) Entsezlich!
--
Aber so rasch wird es doch nicht gehn. Ich will in
den Fluß springen, Vater, und im Hinunter-
sinken
guter Vater — aber Er muß mich ausreden laſſen
— Der dritte Ort iſt das Grab.

Miller. (zu einem Seſſel hin wankend) O mein
Gott!

Louiſe. (geht auf ihn zu und haͤlt ihn) Nicht
doch mein Vater! Das ſind nur Schauer, die ſich
um das Wort herum lagern — Weg mit dieſem,
und es liegt ein Brautbette da, woruͤber der Mor-
gen ſeinen goldenen Teppich breitet, und die Fruͤh-
linge ihre bunte Guirlanden ſtreun. Nur ein heu-
lender Suͤnder konnte den Tod ein Gerippe ſchelten;
es iſt ein holder niedlicher Knabe, bluͤhend, wie ſie
den Liebesgott mahlen, aber ſo tuͤkiſch nicht — ein
ſtiller dienſtbarer Genius, der der erſchoͤpften Pilge-
rin Seele den Arm bietet uͤber den Graben der
Zeit, das Feenſchloß der ewigen Herrlichkeit auf-
ſchließt, freundlich nikt, und verſchwindet.

Miller. Was haſt du vor, meine Tochter? —
Du willſt eigenmaͤchtig Hand an dich legen.

Louiſe. Nenn Er es nicht ſo mein Vater. Ei-
ne Geſellſchaft raͤumen, wo ich nicht wol gelitten
bin — An einen Ort vorausſpringen, den ich
nicht laͤnger miſſen kann — Iſt denn das Suͤnde?

Miller. Selbſtmord iſt die abſcheulichſte mein
Kind — die einzige, die man nicht mehr bereuen
kann, weil Tod und Miſſethat zuſammenfallen.

Louiſe. (bleibt erſtarrt ſtehn) Entſezlich!

Aber ſo raſch wird es doch nicht gehn. Ich will in
den Fluß ſpringen, Vater, und im Hinunter-
ſinken
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[132/0136] guter Vater — aber Er muß mich ausreden laſſen — Der dritte Ort iſt das Grab. Miller. (zu einem Seſſel hin wankend) O mein Gott! Louiſe. (geht auf ihn zu und haͤlt ihn) Nicht doch mein Vater! Das ſind nur Schauer, die ſich um das Wort herum lagern — Weg mit dieſem, und es liegt ein Brautbette da, woruͤber der Mor- gen ſeinen goldenen Teppich breitet, und die Fruͤh- linge ihre bunte Guirlanden ſtreun. Nur ein heu- lender Suͤnder konnte den Tod ein Gerippe ſchelten; es iſt ein holder niedlicher Knabe, bluͤhend, wie ſie den Liebesgott mahlen, aber ſo tuͤkiſch nicht — ein ſtiller dienſtbarer Genius, der der erſchoͤpften Pilge- rin Seele den Arm bietet uͤber den Graben der Zeit, das Feenſchloß der ewigen Herrlichkeit auf- ſchließt, freundlich nikt, und verſchwindet. Miller. Was haſt du vor, meine Tochter? — Du willſt eigenmaͤchtig Hand an dich legen. Louiſe. Nenn Er es nicht ſo mein Vater. Ei- ne Geſellſchaft raͤumen, wo ich nicht wol gelitten bin — An einen Ort vorausſpringen, den ich nicht laͤnger miſſen kann — Iſt denn das Suͤnde? Miller. Selbſtmord iſt die abſcheulichſte mein Kind — die einzige, die man nicht mehr bereuen kann, weil Tod und Miſſethat zuſammenfallen. Louiſe. (bleibt erſtarrt ſtehn) Entſezlich! — Aber ſo raſch wird es doch nicht gehn. Ich will in den Fluß ſpringen, Vater, und im Hinunter- ſinken

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Kabale und Liebe. Mannheim, 1784, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_kabale_1784/136>, abgerufen am 21.11.2024.