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Schiller, Friedrich: Geschichte des dreyßigjährigen Kriegs. Frankfurt u. a., 1792.

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Matthias hatte keinen Anstand genommen, die weit höheren Forderungen der Ungarn zu bewilligen. Aber Ungarn war ein Wahlreich, und die republikanische Verfassung dieses Landes rechtfertigte die Forderungen der Stände vor ihm selbst, und seine Nachgiebigkeit gegen die Stände vor der ganzen katholischen Welt. In Oesterreich hingegen hatten seine Vorgänger weit größere Souverainitätsrechte ausgeübt, die er, ohne sich vor dem ganzen katholischen Europa zu beschimpfen, ohne den Unwillen Spaniens und Roms, ohne die Verachtung seiner eigenen katholischen Unterthanen auf sich zu laden, nicht an die Stände verlieren konnte. Seine streng katholischen Räthe, unter denen der Bischof von Wien, Melchior Klesel, ihn am meisten beherrschte, munterten ihn auf, eher alle Kirchen gewaltsam von den Protestanten sich entreißen zu lassen, als ihnen eine einzige rechtlich einzuräumen.

Aber unglücklicher Weise betraf ihn diese Verlegenheit in einer Zeit, wo Kaiser Rudolph noch lebte, und ein Zuschauer dieses Auftritts war - wo dieser also leicht versucht werden konnte, sich der nehmlichen Waffen gegen seinen Bruder zu bedienen, womit dieser über ihn gesiegt hatte - eines Verständnisses nehmlich mit seinen aufrührerischen Unterthanen. Diesem Streiche zu entgehen, nahm Matthias den Antrag der Mährischen Landstände bereitwillig an, welche sich zwischen den Oesterreichischen und ihm zu Mittlern anbothen. Ein Ausschuß von beyden versammelte sich in Wien, wo von den Oesterreichischen Deputirten eine Sprache gehört wurde, die selbst im Londner Parlament, und in Kromwellischen Zeiten, überrascht haben würde. "Die Protestanten, hieß es am Schlusse, wollten nicht schlechter geachtet seyn, als die Handvoll Katholiken in ihrem Vaterland. Durch seinen protestantischen Adel habe Matthias den Kaiser zum Nachgeben gezwungen; wo man achtzig Papisten fände, würde man drey hundert evangelische Baronen

Matthias hatte keinen Anstand genommen, die weit höheren Forderungen der Ungarn zu bewilligen. Aber Ungarn war ein Wahlreich, und die republikanische Verfassung dieses Landes rechtfertigte die Forderungen der Stände vor ihm selbst, und seine Nachgiebigkeit gegen die Stände vor der ganzen katholischen Welt. In Oesterreich hingegen hatten seine Vorgänger weit größere Souverainitätsrechte ausgeübt, die er, ohne sich vor dem ganzen katholischen Europa zu beschimpfen, ohne den Unwillen Spaniens und Roms, ohne die Verachtung seiner eigenen katholischen Unterthanen auf sich zu laden, nicht an die Stände verlieren konnte. Seine streng katholischen Räthe, unter denen der Bischof von Wien, Melchior Klesel, ihn am meisten beherrschte, munterten ihn auf, eher alle Kirchen gewaltsam von den Protestanten sich entreißen zu lassen, als ihnen eine einzige rechtlich einzuräumen.

Aber unglücklicher Weise betraf ihn diese Verlegenheit in einer Zeit, wo Kaiser Rudolph noch lebte, und ein Zuschauer dieses Auftritts war – wo dieser also leicht versucht werden konnte, sich der nehmlichen Waffen gegen seinen Bruder zu bedienen, womit dieser über ihn gesiegt hatte – eines Verständnisses nehmlich mit seinen aufrührerischen Unterthanen. Diesem Streiche zu entgehen, nahm Matthias den Antrag der Mährischen Landstände bereitwillig an, welche sich zwischen den Oesterreichischen und ihm zu Mittlern anbothen. Ein Ausschuß von beyden versammelte sich in Wien, wo von den Oesterreichischen Deputirten eine Sprache gehört wurde, die selbst im Londner Parlament, und in Kromwellischen Zeiten, überrascht haben würde. „Die Protestanten, hieß es am Schlusse, wollten nicht schlechter geachtet seyn, als die Handvoll Katholiken in ihrem Vaterland. Durch seinen protestantischen Adel habe Matthias den Kaiser zum Nachgeben gezwungen; wo man achtzig Papisten fände, würde man drey hundert evangelische Baronen

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[67/0075] Matthias hatte keinen Anstand genommen, die weit höheren Forderungen der Ungarn zu bewilligen. Aber Ungarn war ein Wahlreich, und die republikanische Verfassung dieses Landes rechtfertigte die Forderungen der Stände vor ihm selbst, und seine Nachgiebigkeit gegen die Stände vor der ganzen katholischen Welt. In Oesterreich hingegen hatten seine Vorgänger weit größere Souverainitätsrechte ausgeübt, die er, ohne sich vor dem ganzen katholischen Europa zu beschimpfen, ohne den Unwillen Spaniens und Roms, ohne die Verachtung seiner eigenen katholischen Unterthanen auf sich zu laden, nicht an die Stände verlieren konnte. Seine streng katholischen Räthe, unter denen der Bischof von Wien, Melchior Klesel, ihn am meisten beherrschte, munterten ihn auf, eher alle Kirchen gewaltsam von den Protestanten sich entreißen zu lassen, als ihnen eine einzige rechtlich einzuräumen. Aber unglücklicher Weise betraf ihn diese Verlegenheit in einer Zeit, wo Kaiser Rudolph noch lebte, und ein Zuschauer dieses Auftritts war – wo dieser also leicht versucht werden konnte, sich der nehmlichen Waffen gegen seinen Bruder zu bedienen, womit dieser über ihn gesiegt hatte – eines Verständnisses nehmlich mit seinen aufrührerischen Unterthanen. Diesem Streiche zu entgehen, nahm Matthias den Antrag der Mährischen Landstände bereitwillig an, welche sich zwischen den Oesterreichischen und ihm zu Mittlern anbothen. Ein Ausschuß von beyden versammelte sich in Wien, wo von den Oesterreichischen Deputirten eine Sprache gehört wurde, die selbst im Londner Parlament, und in Kromwellischen Zeiten, überrascht haben würde. „Die Protestanten, hieß es am Schlusse, wollten nicht schlechter geachtet seyn, als die Handvoll Katholiken in ihrem Vaterland. Durch seinen protestantischen Adel habe Matthias den Kaiser zum Nachgeben gezwungen; wo man achtzig Papisten fände, würde man drey hundert evangelische Baronen

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Geschichte des dreyßigjährigen Kriegs. Frankfurt u. a., 1792, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_krieg_1792/75>, abgerufen am 28.11.2024.