Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 2:] Die sentimentalischen Dichter. In: Die Horen 1795, 12. St., T. I., S. 1-55.die Kunst der Begrenzung, dieser ist es durch die Kunst Und eben daraus, daß die Stärke des alten Künstlers * Individualität mit einem Wort ist der Charakter des Al-
ten, und Idealität die Stärke des Modernen. Es ist also natürlich, daß in allem, was zur unmittelbaren sinnlichen Anschauung gelangen und als Individuum wirken muß, die Kunſt der Begrenzung, dieſer iſt es durch die Kunſt Und eben daraus, daß die Staͤrke des alten Kuͤnſtlers * Individualitaͤt mit einem Wort iſt der Charakter des Al-
ten, und Idealitaͤt die Staͤrke des Modernen. Es iſt alſo natuͤrlich, daß in allem, was zur unmittelbaren ſinnlichen Anſchauung gelangen und als Individuum wirken muß, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014" n="7"/> die Kunſt der Begrenzung, dieſer iſt es durch die Kunſt<lb/> des Unendlichen.</p><lb/> <p>Und eben daraus, daß die Staͤrke des alten Kuͤnſtlers<lb/> (denn was hier von dem Dichter geſagt worden, kann<lb/> unter den Einſchraͤnkungen, die ſich von ſelbſt ergeben,<lb/> auch auf den ſchoͤnen Kuͤnſtler uͤberhaupt ausgedehnt wer-<lb/> den) in der Begrenzung beſtehet, erklaͤrt ſich der hohe<lb/> Vorzug, den die bildende Kunſt des Alterthums uͤber die<lb/> der neueren Zeiten behauptet, und uͤberhaupt das ungleiche<lb/> Verhaͤltniß des Werths, in welchem moderne Dichtkunſt<lb/> und moderne bildende Kunſt zu beyden Kunſtgattungen<lb/> im Alterthum ſtehen. Ein Werk fuͤr das Auge findet nur<lb/> in der Begrenzung ſeine Vollkommenheit; ein Werk fuͤr<lb/> die Einbildungskraft kann ſie auch durch das Unbegrenzte<lb/> erreichen. In plaſtiſchen Werken hilft daher dem Neuern<lb/> ſeine Ueberlegenheit in Ideen wenig; hier iſt er genoͤthigt,<lb/> das Bild ſeiner Einbildungskraft auf das genaueſte <hi rendition="#g">im<lb/> Raum zu beſtimmen</hi>, und ſich folglich mit dem alten<lb/> Kuͤnſtler gerade in derjenigen Eigenſchaft zu meſſen, worinn<lb/> dieſer ſeinen unabſtreitbaren Vorzug hat. In poetiſchen<lb/> Werken iſt es anders, und ſiegen gleich die alten Dichter<lb/> auch hier in der Einfalt der Formen und in dem was<lb/> ſinnlich darſtellbar und <hi rendition="#g">koͤrperlich</hi> iſt, ſo kann der neuere<lb/> ſie wieder im Reichthum des Stoffes, in dem was un-<lb/> darſtellbar und unausſprechlich iſt, kurz, in dem was man<lb/> in Kunſtwerken <hi rendition="#g">Geiſt</hi> nennt, hinter ſich laſſen. <note xml:id="seg2pn_2_1" next="#seg2pn_2_2" place="foot" n="*">Individualitaͤt mit einem Wort iſt der Charakter des Al-<lb/> ten, und Idealitaͤt die Staͤrke des Modernen. Es iſt alſo<lb/> natuͤrlich, daß in allem, was zur unmittelbaren ſinnlichen<lb/> Anſchauung gelangen und als Individuum wirken muß,</note></p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [7/0014]
die Kunſt der Begrenzung, dieſer iſt es durch die Kunſt
des Unendlichen.
Und eben daraus, daß die Staͤrke des alten Kuͤnſtlers
(denn was hier von dem Dichter geſagt worden, kann
unter den Einſchraͤnkungen, die ſich von ſelbſt ergeben,
auch auf den ſchoͤnen Kuͤnſtler uͤberhaupt ausgedehnt wer-
den) in der Begrenzung beſtehet, erklaͤrt ſich der hohe
Vorzug, den die bildende Kunſt des Alterthums uͤber die
der neueren Zeiten behauptet, und uͤberhaupt das ungleiche
Verhaͤltniß des Werths, in welchem moderne Dichtkunſt
und moderne bildende Kunſt zu beyden Kunſtgattungen
im Alterthum ſtehen. Ein Werk fuͤr das Auge findet nur
in der Begrenzung ſeine Vollkommenheit; ein Werk fuͤr
die Einbildungskraft kann ſie auch durch das Unbegrenzte
erreichen. In plaſtiſchen Werken hilft daher dem Neuern
ſeine Ueberlegenheit in Ideen wenig; hier iſt er genoͤthigt,
das Bild ſeiner Einbildungskraft auf das genaueſte im
Raum zu beſtimmen, und ſich folglich mit dem alten
Kuͤnſtler gerade in derjenigen Eigenſchaft zu meſſen, worinn
dieſer ſeinen unabſtreitbaren Vorzug hat. In poetiſchen
Werken iſt es anders, und ſiegen gleich die alten Dichter
auch hier in der Einfalt der Formen und in dem was
ſinnlich darſtellbar und koͤrperlich iſt, ſo kann der neuere
ſie wieder im Reichthum des Stoffes, in dem was un-
darſtellbar und unausſprechlich iſt, kurz, in dem was man
in Kunſtwerken Geiſt nennt, hinter ſich laſſen. *
* Individualitaͤt mit einem Wort iſt der Charakter des Al-
ten, und Idealitaͤt die Staͤrke des Modernen. Es iſt alſo
natuͤrlich, daß in allem, was zur unmittelbaren ſinnlichen
Anſchauung gelangen und als Individuum wirken muß,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_naive02_1795 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_naive02_1795/14 |
Zitationshilfe: | Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 2:] Die sentimentalischen Dichter. In: Die Horen 1795, 12. St., T. I., S. 1-55, hier S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_naive02_1795/14>, abgerufen am 16.07.2024. |