Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 2:] Die sentimentalischen Dichter. In: Die Horen 1795, 12. St., T. I., S. 1-55.Freude, indem sie als wirklich vorgestellt werden. Das * Daß ich die Benennungen Satyre, Elegie und Idylle in
einem weitern Sinne gebrauche, als gewöhnlich geschieht, werde ich bey Lesern, die tiefer in die Sache dringen, kaum zu verantworten brauchen. Meine Absicht dabey ist keineswegs die Grenzen zu verrücken, welche die bisherige Observanz sowohl der Satyre und Elegie als der Idylle mit gutem Grunde gesteckt hat; ich sehe bloß auf die in diesen Dichtungsarten herrschende Empfindungsweise, und es ist ja bekannt genug, daß diese sich keineswegs in jene engen Grenzen einschliessen läßt. Elegisch rührt uns nicht bloß die Elegie, welche ausschließlich so genannt wird; auch der dramatische und epische Dichter können uns auf elegische Weise bewegen. In der Meßiade, in Thom- sons Jahrszeiten, im verlorenen Paradieß, im befreyten Jerusalem finden wir mehrere Gemählde, die sonst nur der Idylle, der Elegie, der Satyre eigen sind. Eben so, mehr oder weniger, fast in jedem pathetischen Gedichte. Daß ich aber die Idylle selbst zur elegischen Gattung rechne, scheint eher einer Rechtfertigung zu bedürfen. Man erinnere sich aber, daß hier nur von derjenigen Idylle die Rede ist, welche eine Species der sentimentalischen Dichtung ist, zu deren Wesen es gehört, daß die Natur der Kunst und das Ideal der Wirklichkeit entgegen gesetzt werde. Geschieht dieses auch nicht ausdrücklich von dem Dichter, und stellt er das Gemählde der unverdorbenen Natur oder des erfüllten Ideales rein und selbstständig vor unsere An- Freude, indem ſie als wirklich vorgeſtellt werden. Das * Daß ich die Benennungen Satyre, Elegie und Idylle in
einem weitern Sinne gebrauche, als gewoͤhnlich geſchieht, werde ich bey Leſern, die tiefer in die Sache dringen, kaum zu verantworten brauchen. Meine Abſicht dabey iſt keineswegs die Grenzen zu verruͤcken, welche die bisherige Obſervanz ſowohl der Satyre und Elegie als der Idylle mit gutem Grunde geſteckt hat; ich ſehe bloß auf die in dieſen Dichtungsarten herrſchende Empfindungsweiſe, und es iſt ja bekannt genug, daß dieſe ſich keineswegs in jene engen Grenzen einſchlieſſen laͤßt. Elegiſch ruͤhrt uns nicht bloß die Elegie, welche ausſchließlich ſo genannt wird; auch der dramatiſche und epiſche Dichter koͤnnen uns auf elegiſche Weiſe bewegen. In der Meßiade, in Thom- ſons Jahrszeiten, im verlorenen Paradieß, im befreyten Jeruſalem finden wir mehrere Gemaͤhlde, die ſonſt nur der Idylle, der Elegie, der Satyre eigen ſind. Eben ſo, mehr oder weniger, faſt in jedem pathetiſchen Gedichte. Daß ich aber die Idylle ſelbſt zur elegiſchen Gattung rechne, ſcheint eher einer Rechtfertigung zu beduͤrfen. Man erinnere ſich aber, daß hier nur von derjenigen Idylle die Rede iſt, welche eine Species der ſentimentaliſchen Dichtung iſt, zu deren Weſen es gehoͤrt, daß die Natur der Kunſt und das Ideal der Wirklichkeit entgegen geſetzt werde. Geſchieht dieſes auch nicht ausdruͤcklich von dem Dichter, und ſtellt er das Gemaͤhlde der unverdorbenen Natur oder des erfuͤllten Ideales rein und ſelbſtſtaͤndig vor unſere An- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0028" n="21"/> Freude, indem ſie als wirklich vorgeſtellt werden. Das<lb/> erſte giebt die <hi rendition="#g">Elegie</hi> in engerer, das andre die <hi rendition="#g">Idylle</hi><lb/> in weiteſter Bedeutung. <note xml:id="seg2pn_3_1" next="#seg2pn_3_2" place="foot" n="*">Daß ich die Benennungen Satyre, Elegie und Idylle in<lb/> einem weitern Sinne gebrauche, als gewoͤhnlich geſchieht,<lb/> werde ich bey Leſern, die tiefer in die Sache dringen,<lb/> kaum zu verantworten brauchen. Meine Abſicht dabey iſt<lb/> keineswegs die Grenzen zu verruͤcken, welche die bisherige<lb/> Obſervanz ſowohl der Satyre und Elegie als der Idylle<lb/> mit gutem Grunde geſteckt hat; ich ſehe bloß auf die in<lb/> dieſen Dichtungsarten herrſchende <hi rendition="#g">Empfindungsweiſe</hi>,<lb/> und es iſt ja bekannt genug, daß dieſe ſich keineswegs in<lb/> jene engen Grenzen einſchlieſſen laͤßt. Elegiſch ruͤhrt uns<lb/> nicht bloß die Elegie, welche ausſchließlich ſo genannt<lb/> wird; auch der dramatiſche und epiſche Dichter koͤnnen uns<lb/> auf elegiſche Weiſe bewegen. In der Meßiade, in Thom-<lb/> ſons Jahrszeiten, im verlorenen Paradieß, im befreyten<lb/> Jeruſalem finden wir mehrere Gemaͤhlde, die ſonſt nur der<lb/> Idylle, der Elegie, der Satyre eigen ſind. Eben ſo, mehr<lb/> oder weniger, faſt in jedem pathetiſchen Gedichte. Daß ich<lb/> aber die Idylle ſelbſt zur elegiſchen Gattung rechne, ſcheint<lb/> eher einer Rechtfertigung zu beduͤrfen. Man erinnere ſich<lb/> aber, daß hier nur von derjenigen Idylle die Rede iſt,<lb/> welche eine Species der ſentimentaliſchen Dichtung iſt, zu<lb/> deren Weſen es gehoͤrt, daß die Natur der Kunſt und<lb/> das Ideal der Wirklichkeit <hi rendition="#g">entgegen geſetzt werde</hi>.<lb/> Geſchieht dieſes auch nicht ausdruͤcklich von dem Dichter,<lb/> und ſtellt er das Gemaͤhlde der unverdorbenen Natur oder<lb/> des erfuͤllten Ideales rein und ſelbſtſtaͤndig vor unſere An-</note></p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0028]
Freude, indem ſie als wirklich vorgeſtellt werden. Das
erſte giebt die Elegie in engerer, das andre die Idylle
in weiteſter Bedeutung. *
* Daß ich die Benennungen Satyre, Elegie und Idylle in
einem weitern Sinne gebrauche, als gewoͤhnlich geſchieht,
werde ich bey Leſern, die tiefer in die Sache dringen,
kaum zu verantworten brauchen. Meine Abſicht dabey iſt
keineswegs die Grenzen zu verruͤcken, welche die bisherige
Obſervanz ſowohl der Satyre und Elegie als der Idylle
mit gutem Grunde geſteckt hat; ich ſehe bloß auf die in
dieſen Dichtungsarten herrſchende Empfindungsweiſe,
und es iſt ja bekannt genug, daß dieſe ſich keineswegs in
jene engen Grenzen einſchlieſſen laͤßt. Elegiſch ruͤhrt uns
nicht bloß die Elegie, welche ausſchließlich ſo genannt
wird; auch der dramatiſche und epiſche Dichter koͤnnen uns
auf elegiſche Weiſe bewegen. In der Meßiade, in Thom-
ſons Jahrszeiten, im verlorenen Paradieß, im befreyten
Jeruſalem finden wir mehrere Gemaͤhlde, die ſonſt nur der
Idylle, der Elegie, der Satyre eigen ſind. Eben ſo, mehr
oder weniger, faſt in jedem pathetiſchen Gedichte. Daß ich
aber die Idylle ſelbſt zur elegiſchen Gattung rechne, ſcheint
eher einer Rechtfertigung zu beduͤrfen. Man erinnere ſich
aber, daß hier nur von derjenigen Idylle die Rede iſt,
welche eine Species der ſentimentaliſchen Dichtung iſt, zu
deren Weſen es gehoͤrt, daß die Natur der Kunſt und
das Ideal der Wirklichkeit entgegen geſetzt werde.
Geſchieht dieſes auch nicht ausdruͤcklich von dem Dichter,
und ſtellt er das Gemaͤhlde der unverdorbenen Natur oder
des erfuͤllten Ideales rein und ſelbſtſtaͤndig vor unſere An-
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