Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
Welt, und keine idealische Affektationen, keine
Kompendienmenschen will geliefert haben. Es
ist einmal so die Mode in der Welt, daß
die Guten durch die Bösen schattiert werden,
und die Tugend im Kontrast mit dem Laster
das lebendigste Kolorit erhält. Wer sich
den Zweck vorgezeichnet hat, das Laster zu
stürzen, und Religion, Moral und bürgerliche
Geseze an ihren Feinden zu rächen, ein solcher
muß das Laster in seiner nakten Abscheulichkeit
enthüllen, und in seiner kolossalischen Grösse
vor das Auge der Menschheit stellen -- er
selbst muß augenbliklich seine nächtlichen Laby-
rinthe durchwandern, -- er muß sich in
Empfindungen hineinzuzwingen wissen, unter
deren Widernatürlichkeit sich seine Seele
sträubt.

Das Laster wird hier mit samt seinem gan-
zen innern Räderwerk entfaltet. Es lößt in

Fran-
* 4

Vorrede.
Welt, und keine idealiſche Affektationen, keine
Kompendienmenſchen will geliefert haben. Es
iſt einmal ſo die Mode in der Welt, daß
die Guten durch die Boͤſen ſchattiert werden,
und die Tugend im Kontraſt mit dem Laſter
das lebendigſte Kolorit erhaͤlt. Wer ſich
den Zweck vorgezeichnet hat, das Laſter zu
ſtuͤrzen, und Religion, Moral und buͤrgerliche
Geſeze an ihren Feinden zu raͤchen, ein ſolcher
muß das Laſter in ſeiner nakten Abſcheulichkeit
enthuͤllen, und in ſeiner koloſſaliſchen Groͤſſe
vor das Auge der Menſchheit ſtellen — er
ſelbſt muß augenbliklich ſeine naͤchtlichen Laby-
rinthe durchwandern, — er muß ſich in
Empfindungen hineinzuzwingen wiſſen, unter
deren Widernatuͤrlichkeit ſich ſeine Seele
ſtraͤubt.

Das Laſter wird hier mit ſamt ſeinem gan-
zen innern Raͤderwerk entfaltet. Es loͤßt in

Fran-
* 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0013"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</fw><lb/>
Welt, und keine ideali&#x017F;che Affektationen, keine<lb/>
Kompendienmen&#x017F;chen will geliefert haben. Es<lb/>
i&#x017F;t einmal &#x017F;o die Mode in der Welt, daß<lb/>
die Guten durch die Bo&#x0364;&#x017F;en &#x017F;chattiert werden,<lb/>
und die Tugend im Kontra&#x017F;t mit dem La&#x017F;ter<lb/>
das lebendig&#x017F;te Kolorit erha&#x0364;lt. Wer &#x017F;ich<lb/>
den Zweck vorgezeichnet hat, das La&#x017F;ter zu<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rzen, und Religion, Moral und bu&#x0364;rgerliche<lb/>
Ge&#x017F;eze an ihren Feinden zu ra&#x0364;chen, ein &#x017F;olcher<lb/>
muß das La&#x017F;ter in &#x017F;einer nakten Ab&#x017F;cheulichkeit<lb/>
enthu&#x0364;llen, und in &#x017F;einer kolo&#x017F;&#x017F;ali&#x017F;chen Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/>
vor das Auge der Men&#x017F;chheit &#x017F;tellen &#x2014; er<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t muß augenbliklich &#x017F;eine na&#x0364;chtlichen Laby-<lb/>
rinthe durchwandern, &#x2014; er muß &#x017F;ich in<lb/>
Empfindungen hineinzuzwingen wi&#x017F;&#x017F;en, unter<lb/>
deren Widernatu&#x0364;rlichkeit &#x017F;ich &#x017F;eine Seele<lb/>
&#x017F;tra&#x0364;ubt.</p><lb/>
        <p>Das La&#x017F;ter wird hier mit &#x017F;amt &#x017F;einem gan-<lb/>
zen innern Ra&#x0364;derwerk entfaltet. Es lo&#x0364;ßt in<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">* 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Fran-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] Vorrede. Welt, und keine idealiſche Affektationen, keine Kompendienmenſchen will geliefert haben. Es iſt einmal ſo die Mode in der Welt, daß die Guten durch die Boͤſen ſchattiert werden, und die Tugend im Kontraſt mit dem Laſter das lebendigſte Kolorit erhaͤlt. Wer ſich den Zweck vorgezeichnet hat, das Laſter zu ſtuͤrzen, und Religion, Moral und buͤrgerliche Geſeze an ihren Feinden zu raͤchen, ein ſolcher muß das Laſter in ſeiner nakten Abſcheulichkeit enthuͤllen, und in ſeiner koloſſaliſchen Groͤſſe vor das Auge der Menſchheit ſtellen — er ſelbſt muß augenbliklich ſeine naͤchtlichen Laby- rinthe durchwandern, — er muß ſich in Empfindungen hineinzuzwingen wiſſen, unter deren Widernatuͤrlichkeit ſich ſeine Seele ſtraͤubt. Das Laſter wird hier mit ſamt ſeinem gan- zen innern Raͤderwerk entfaltet. Es loͤßt in Fran- * 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/13
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/13>, abgerufen am 21.11.2024.