Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
weiter und ungeheurer ihre Verirrung, desto
imputabler ihre Verfälschung.

Klopstoks Adramelech wekt in uns eine
Empfindung, worinn Bewunderung in Ab-
scheu schmilzt. Miltons Satan folgen wir
mit schauderndem Erstaunen durch das unweg-
same Chaos. Die Medea der alten Drama-
tiker bleibt bei all ihren Greueln noch ein
grosses staunenswürdiges Weib, und Shake-
spears Richard hat so gewiß am Leser einen
Bewunderer, als er auch ihn hassen würde,
wenn er ihm vor der Sonne stünde. Wenn
es mir darum zu thun ist, ganze Menschen
hinzustellen, so muß ich auch ihre Vollkom-
menheiten mitnehmen, die auch dem bösesten
nie ganz fehlen. Wenn ich vor dem Tyger
gewarnt haben will, so darf ich seine schöne

blen-

Vorrede.
weiter und ungeheurer ihre Verirrung, deſto
imputabler ihre Verfaͤlſchung.

Klopſtoks Adramelech wekt in uns eine
Empfindung, worinn Bewunderung in Ab-
ſcheu ſchmilzt. Miltons Satan folgen wir
mit ſchauderndem Erſtaunen durch das unweg-
ſame Chaos. Die Medea der alten Drama-
tiker bleibt bei all ihren Greueln noch ein
groſſes ſtaunenswuͤrdiges Weib, und Shake-
ſpears Richard hat ſo gewiß am Leſer einen
Bewunderer, als er auch ihn haſſen wuͤrde,
wenn er ihm vor der Sonne ſtuͤnde. Wenn
es mir darum zu thun iſt, ganze Menſchen
hinzuſtellen, ſo muß ich auch ihre Vollkom-
menheiten mitnehmen, die auch dem boͤſeſten
nie ganz fehlen. Wenn ich vor dem Tyger
gewarnt haben will, ſo darf ich ſeine ſchoͤne

blen-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</fw><lb/>
weiter und ungeheurer ihre Verirrung, de&#x017F;to<lb/>
imputabler ihre Verfa&#x0364;l&#x017F;chung.</p><lb/>
        <p>Klop&#x017F;toks Adramelech wekt in uns eine<lb/>
Empfindung, worinn Bewunderung in Ab-<lb/>
&#x017F;cheu &#x017F;chmilzt. Miltons Satan folgen wir<lb/>
mit &#x017F;chauderndem Er&#x017F;taunen durch das unweg-<lb/>
&#x017F;ame Chaos. Die Medea der alten Drama-<lb/>
tiker bleibt bei all ihren Greueln noch ein<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;es &#x017F;taunenswu&#x0364;rdiges Weib, und Shake-<lb/>
&#x017F;pears Richard hat &#x017F;o gewiß am Le&#x017F;er einen<lb/>
Bewunderer, als er auch ihn ha&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rde,<lb/>
wenn er ihm vor der Sonne &#x017F;tu&#x0364;nde. Wenn<lb/>
es mir darum zu thun i&#x017F;t, ganze Men&#x017F;chen<lb/>
hinzu&#x017F;tellen, &#x017F;o muß ich auch ihre Vollkom-<lb/>
menheiten mitnehmen, die auch dem bo&#x0364;&#x017F;e&#x017F;ten<lb/>
nie ganz fehlen. Wenn ich vor dem Tyger<lb/>
gewarnt haben will, &#x017F;o darf ich &#x017F;eine &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">blen-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] Vorrede. weiter und ungeheurer ihre Verirrung, deſto imputabler ihre Verfaͤlſchung. Klopſtoks Adramelech wekt in uns eine Empfindung, worinn Bewunderung in Ab- ſcheu ſchmilzt. Miltons Satan folgen wir mit ſchauderndem Erſtaunen durch das unweg- ſame Chaos. Die Medea der alten Drama- tiker bleibt bei all ihren Greueln noch ein groſſes ſtaunenswuͤrdiges Weib, und Shake- ſpears Richard hat ſo gewiß am Leſer einen Bewunderer, als er auch ihn haſſen wuͤrde, wenn er ihm vor der Sonne ſtuͤnde. Wenn es mir darum zu thun iſt, ganze Menſchen hinzuſtellen, ſo muß ich auch ihre Vollkom- menheiten mitnehmen, die auch dem boͤſeſten nie ganz fehlen. Wenn ich vor dem Tyger gewarnt haben will, ſo darf ich ſeine ſchoͤne blen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/18
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/18>, abgerufen am 21.11.2024.