Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.ein Schauspiel. Amalia. O nein, das thaten sie nie! Franz. Ach sie stimmten so harmonisch zusam- men, ich meynte immer, wir müßten Zwillinge seyn! und wär der leidige Unterschied von aussen nicht, wobey leider freylich Karl verlieren mus, wir würden zehnmal verwechselt. Du bist, sagt' ich oft zu mir selbst, ja du bist der ganze Karl, sein Echo, sein Ebenbild! Amalia schüttelt den Kopf. Nein, nein, bey jenem keuschen Lichte des Himmels! kein Aederchen von ihm, kein Fünkchen von seinem Gefühle -- Franz. So ganz gleich in unsern Neigungen -- die Rose war seine liebste Blume -- welche Blume war mir über die Rose? Er liebte die Musik unaus- sprechlich, und ihr seyd Zeugen, ihr Sterne! ihr habt mich so oft in der Todenstille der Nacht beym Klaviere belauscht, wenn alles um mich begraben lag in Schatten und Schlummer -- und wie kannst du noch zweiffeln, Amalia, wenn unsere Liebe in einer Vollkommenheit zusammentraf, und wenn die Liebe die nemliche ist, wie könnten ihre Kinder entarten? Amalia sieht ihn verwundernd an. Franz. Es war ein stiller heiterer Abend, der lezte, eh er nach Leipzig abreißte, da er mich mit sich in jene Laube nahm, wo ihr so oft zusammensa- set in Träumen der Liebe -- stumm blieben wir lang -- zulezt ergrif er meine Hand und sprach lei- D
ein Schauſpiel. Amalia. O nein, das thaten ſie nie! Franz. Ach ſie ſtimmten ſo harmoniſch zuſam- men, ich meynte immer, wir muͤßten Zwillinge ſeyn! und waͤr der leidige Unterſchied von auſſen nicht, wobey leider freylich Karl verlieren mus, wir wuͤrden zehnmal verwechſelt. Du biſt, ſagt' ich oft zu mir ſelbſt, ja du biſt der ganze Karl, ſein Echo, ſein Ebenbild! Amalia ſchuͤttelt den Kopf. Nein, nein, bey jenem keuſchen Lichte des Himmels! kein Aederchen von ihm, kein Fuͤnkchen von ſeinem Gefuͤhle — Franz. So ganz gleich in unſern Neigungen — die Roſe war ſeine liebſte Blume — welche Blume war mir uͤber die Roſe? Er liebte die Muſik unaus- ſprechlich, und ihr ſeyd Zeugen, ihr Sterne! ihr habt mich ſo oft in der Todenſtille der Nacht beym Klaviere belauſcht, wenn alles um mich begraben lag in Schatten und Schlummer — und wie kannſt du noch zweiffeln, Amalia, wenn unſere Liebe in einer Vollkommenheit zuſammentraf, und wenn die Liebe die nemliche iſt, wie koͤnnten ihre Kinder entarten? Amalia ſieht ihn verwundernd an. Franz. Es war ein ſtiller heiterer Abend, der lezte, eh er nach Leipzig abreißte, da er mich mit ſich in jene Laube nahm, wo ihr ſo oft zuſammenſa- ſet in Traͤumen der Liebe — ſtumm blieben wir lang — zulezt ergrif er meine Hand und ſprach lei- D
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Amalia. O nein, das thaten ſie nie!
Franz. Ach ſie ſtimmten ſo harmoniſch zuſam-
men, ich meynte immer, wir muͤßten Zwillinge
ſeyn! und waͤr der leidige Unterſchied von auſſen
nicht, wobey leider freylich Karl verlieren mus,
wir wuͤrden zehnmal verwechſelt. Du biſt, ſagt'
ich oft zu mir ſelbſt, ja du biſt der ganze Karl,
ſein Echo, ſein Ebenbild!
Amalia ſchuͤttelt den Kopf. Nein, nein, bey jenem
keuſchen Lichte des Himmels! kein Aederchen von
ihm, kein Fuͤnkchen von ſeinem Gefuͤhle —
Franz. So ganz gleich in unſern Neigungen —
die Roſe war ſeine liebſte Blume — welche Blume
war mir uͤber die Roſe? Er liebte die Muſik unaus-
ſprechlich, und ihr ſeyd Zeugen, ihr Sterne! ihr
habt mich ſo oft in der Todenſtille der Nacht beym
Klaviere belauſcht, wenn alles um mich begraben
lag in Schatten und Schlummer — und wie
kannſt du noch zweiffeln, Amalia, wenn unſere
Liebe in einer Vollkommenheit zuſammentraf,
und wenn die Liebe die nemliche iſt, wie koͤnnten
ihre Kinder entarten?
Amalia ſieht ihn verwundernd an.
Franz. Es war ein ſtiller heiterer Abend, der
lezte, eh er nach Leipzig abreißte, da er mich mit
ſich in jene Laube nahm, wo ihr ſo oft zuſammenſa-
ſet in Traͤumen der Liebe — ſtumm blieben wir
lang — zulezt ergrif er meine Hand und ſprach
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