Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

Knechtschaft und Despotismus ein schauderhaftes Bild.
Dort sah man einen Despoten Afrikas seine Unterthanen
für einen Schluck Brandwein verhandeln: -- hier wur-
den sie auf seinem Grab abgeschlachtet, ihm in der Un-
terwelt zu dienen. Dort wirft sich die fromme Einfalt
vor einen lächerlichen Fetisch, und hier vor einem grau-
senvollen Scheusal nieder; in seinen Göttern mahlt sich
der Mensch. So tief ihn dort Sclaverey, Dummheit
und Aberglauben niederbeugen, so elend ist er hier durch
das andre Extrem gesetzloser Freyheit. Immer zum
Angriff und zur Vertheidigung gerüstet, von jedem Ge-
räusch aufgescheucht, reckt der Wilde sein scheues Ohr
in die Wüste; Feind heißt ihm alles was neu ist, und
wehe dem Fremdling den das Ungewitter an seine Küste
schleudert! Kein wirthlicher Heerd wird ihm rauchen,
kein süßes Gastrecht ihn erfreuen. Aber selbst da, wo
sich der Mensch von einer feindseligen Einsamkeit zur
Gesellschaft, von der Noth zum Wohlleben, von der
Furcht zu der Freude erhebt -- wie abenteuerlich und
ungeheuer zeigt er sich unsern Augen! Sein roher
Geschmack sucht Fröhlichkeit in der Betäubung, Schön-
heit in der Verzerrung, Ruhm in der Uebertreibung;
Entsetzen erweckt uns selbst seine Tugend, und das was
er seine Glückseligkeit nennt, kann uns nur Ekel oder
Mitleid erregen.

So waren wir. Nicht viel besser fanden uns Cä-
sar und Tacitus vor achtzehn hundert Jahren.

Was sind wir jetzt? -- Lassen Sie mich einen Au-
genblick bey dem Zeitalter stille stehen, worinn wir le-

ben

Knechtſchaft und Deſpotismus ein ſchauderhaftes Bild.
Dort ſah man einen Deſpoten Afrikas ſeine Unterthanen
fuͤr einen Schluck Brandwein verhandeln: — hier wur-
den ſie auf ſeinem Grab abgeſchlachtet, ihm in der Un-
terwelt zu dienen. Dort wirft ſich die fromme Einfalt
vor einen laͤcherlichen Fetiſch, und hier vor einem grau-
ſenvollen Scheuſal nieder; in ſeinen Goͤttern mahlt ſich
der Menſch. So tief ihn dort Sclaverey, Dummheit
und Aberglauben niederbeugen, ſo elend iſt er hier durch
das andre Extrem geſetzloſer Freyheit. Immer zum
Angriff und zur Vertheidigung geruͤſtet, von jedem Ge-
raͤuſch aufgeſcheucht, reckt der Wilde ſein ſcheues Ohr
in die Wuͤſte; Feind heißt ihm alles was neu iſt, und
wehe dem Fremdling den das Ungewitter an ſeine Kuͤſte
ſchleudert! Kein wirthlicher Heerd wird ihm rauchen,
kein ſuͤßes Gaſtrecht ihn erfreuen. Aber ſelbſt da, wo
ſich der Menſch von einer feindſeligen Einſamkeit zur
Geſellſchaft, von der Noth zum Wohlleben, von der
Furcht zu der Freude erhebt — wie abenteuerlich und
ungeheuer zeigt er ſich unſern Augen! Sein roher
Geſchmack ſucht Froͤhlichkeit in der Betaͤubung, Schoͤn-
heit in der Verzerrung, Ruhm in der Uebertreibung;
Entſetzen erweckt uns ſelbſt ſeine Tugend, und das was
er ſeine Gluͤckſeligkeit nennt, kann uns nur Ekel oder
Mitleid erregen.

So waren wir. Nicht viel beſſer fanden uns Caͤ-
ſar und Tacitus vor achtzehn hundert Jahren.

Was ſind wir jetzt? — Laſſen Sie mich einen Au-
genblick bey dem Zeitalter ſtille ſtehen, worinn wir le-

ben
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="13"/>
Knecht&#x017F;chaft und De&#x017F;potismus ein &#x017F;chauderhaftes Bild.<lb/>
Dort &#x017F;ah man einen De&#x017F;poten Afrikas &#x017F;eine Unterthanen<lb/>
fu&#x0364;r einen Schluck Brandwein verhandeln: &#x2014; hier wur-<lb/>
den &#x017F;ie auf &#x017F;einem Grab abge&#x017F;chlachtet, ihm in der Un-<lb/>
terwelt zu dienen. Dort wirft &#x017F;ich die fromme Einfalt<lb/>
vor einen la&#x0364;cherlichen Feti&#x017F;ch, und hier vor einem grau-<lb/>
&#x017F;envollen Scheu&#x017F;al nieder; in &#x017F;einen Go&#x0364;ttern mahlt &#x017F;ich<lb/>
der Men&#x017F;ch. So tief ihn dort Sclaverey, Dummheit<lb/>
und Aberglauben niederbeugen, &#x017F;o elend i&#x017F;t er hier durch<lb/>
das andre Extrem ge&#x017F;etzlo&#x017F;er Freyheit. Immer zum<lb/>
Angriff und zur Vertheidigung geru&#x0364;&#x017F;tet, von jedem Ge-<lb/>
ra&#x0364;u&#x017F;ch aufge&#x017F;cheucht, reckt der Wilde &#x017F;ein &#x017F;cheues Ohr<lb/>
in die Wu&#x0364;&#x017F;te; <hi rendition="#fr">Feind</hi> heißt ihm alles was neu i&#x017F;t, und<lb/>
wehe dem Fremdling den das Ungewitter an &#x017F;eine Ku&#x0364;&#x017F;te<lb/>
&#x017F;chleudert! Kein wirthlicher Heerd wird ihm rauchen,<lb/>
kein &#x017F;u&#x0364;ßes Ga&#x017F;trecht ihn erfreuen. Aber &#x017F;elb&#x017F;t da, wo<lb/>
&#x017F;ich der Men&#x017F;ch von einer feind&#x017F;eligen Ein&#x017F;amkeit zur<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, von der Noth zum Wohlleben, von der<lb/>
Furcht zu der Freude erhebt &#x2014; wie abenteuerlich und<lb/>
ungeheuer zeigt er &#x017F;ich un&#x017F;ern Augen! Sein roher<lb/>
Ge&#x017F;chmack &#x017F;ucht Fro&#x0364;hlichkeit in der Beta&#x0364;ubung, Scho&#x0364;n-<lb/>
heit in der Verzerrung, Ruhm in der Uebertreibung;<lb/>
Ent&#x017F;etzen erweckt uns &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;eine Tugend, und das was<lb/>
er &#x017F;eine Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit nennt, kann uns nur Ekel oder<lb/>
Mitleid erregen.</p><lb/>
        <p>So waren <hi rendition="#g">wir</hi>. Nicht viel be&#x017F;&#x017F;er fanden uns Ca&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ar und Tacitus vor achtzehn hundert Jahren.</p><lb/>
        <p>Was &#x017F;ind wir jetzt? &#x2014; La&#x017F;&#x017F;en Sie mich einen Au-<lb/>
genblick bey dem Zeitalter &#x017F;tille &#x017F;tehen, worinn wir le-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ben</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0015] Knechtſchaft und Deſpotismus ein ſchauderhaftes Bild. Dort ſah man einen Deſpoten Afrikas ſeine Unterthanen fuͤr einen Schluck Brandwein verhandeln: — hier wur- den ſie auf ſeinem Grab abgeſchlachtet, ihm in der Un- terwelt zu dienen. Dort wirft ſich die fromme Einfalt vor einen laͤcherlichen Fetiſch, und hier vor einem grau- ſenvollen Scheuſal nieder; in ſeinen Goͤttern mahlt ſich der Menſch. So tief ihn dort Sclaverey, Dummheit und Aberglauben niederbeugen, ſo elend iſt er hier durch das andre Extrem geſetzloſer Freyheit. Immer zum Angriff und zur Vertheidigung geruͤſtet, von jedem Ge- raͤuſch aufgeſcheucht, reckt der Wilde ſein ſcheues Ohr in die Wuͤſte; Feind heißt ihm alles was neu iſt, und wehe dem Fremdling den das Ungewitter an ſeine Kuͤſte ſchleudert! Kein wirthlicher Heerd wird ihm rauchen, kein ſuͤßes Gaſtrecht ihn erfreuen. Aber ſelbſt da, wo ſich der Menſch von einer feindſeligen Einſamkeit zur Geſellſchaft, von der Noth zum Wohlleben, von der Furcht zu der Freude erhebt — wie abenteuerlich und ungeheuer zeigt er ſich unſern Augen! Sein roher Geſchmack ſucht Froͤhlichkeit in der Betaͤubung, Schoͤn- heit in der Verzerrung, Ruhm in der Uebertreibung; Entſetzen erweckt uns ſelbſt ſeine Tugend, und das was er ſeine Gluͤckſeligkeit nennt, kann uns nur Ekel oder Mitleid erregen. So waren wir. Nicht viel beſſer fanden uns Caͤ- ſar und Tacitus vor achtzehn hundert Jahren. Was ſind wir jetzt? — Laſſen Sie mich einen Au- genblick bey dem Zeitalter ſtille ſtehen, worinn wir le- ben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789/15
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789/15>, abgerufen am 21.11.2024.