Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789.alle, bis auf Einen, verschwinden? -- Die Univer- Selbst daß wir uns in diesem Augenblick hier zu- dem B 2
alle, bis auf Einen, verſchwinden? — Die Univer- Selbſt daß wir uns in dieſem Augenblick hier zu- dem B 2
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alle, bis auf Einen, verſchwinden? — Die Univer-
ſalgeſchichte loͤßt dieſe Frage.
Selbſt daß wir uns in dieſem Augenblick hier zu-
ſammen fanden, uns mit dieſem Grade von National-
kultur, mit dieſer Sprache, dieſen Sitten, dieſen buͤr-
gerlichen Vortheilen, dieſem Maaß von Gewiſſensfrey-
heit zuſammen fanden, iſt das Reſultat vielleicht aller
vorhergegangenen Weltbegebenheiten: die ganze Welt-
geſchichte wuͤrde wenigſtens noͤthig ſeyn, dieſes einzige
Moment zu erklaͤren. Daß wir uns als Chriſten zu-
ſammen fanden, mußte dieſe Religion, durch unzaͤhlige
Revolutionen vorbereitet, aus dem Judenthum hervor-
gehen, mußte ſie den roͤmiſchen Staat genau ſo finden,
als ſie ihn fand, um ſich mit ſchnellem ſiegendem Lauf
uͤber die Welt zu verbreiten und den Thron der Caͤſarn
endlich ſelbſt zu beſteigen. Unſre rauhen Vorfahren
in den thuͤringiſchen Waͤldern mußten der Uebermacht
der Franken unterliegen, um ihren Glauben anzuneh-
men. Durch ſeine wachſenden Reichthuͤmer, durch die
Unwiſſenheit der Voͤlker und durch die Schwaͤche ihrer
Beherrſcher mußte der Klerus verfuͤhrt und beguͤnſtigt
werden, ſein Anſehen zu mißbrauchen, und ſeine
ſtille Gewiſſensmacht in ein weltliches Schwerd umzu-
wandeln. Die Hierarchie mußte in einem Gregor und
Innozenz alle ihre Greuel auf das Menſchengeſchlecht
ausleeren, damit das uͤberhandnehmende Sittenver-
derbniß und des geiſtlichen Deſpotismus ſchreyendes
Scandal einen unerſchrockenen Auguſtinermoͤnch auffor-
dern konnte, das Zeichen zum Abfall zu geben, und
dem
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