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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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bereitet? Wenn aber gleich Ahndungen der Art die Kunstgeschichte umschweben dürfen und müssen, so ists doch gefahrloser und schöner, sich vorzüglich an diese zu halten, und die Gestalt gleichsam vor unsern Augen werden und wachsen zu sehen. Auch ist es dem Gegenstande gemäßer: denn die Elegie umarmt die Gegenwart, aber sie blickt gern in die Vergangenheit, lieber als in die Zukunft. Die natürliche Stimmung der Kunstgeschichte ähnelt bey dieser Dichtart der Stimmung des Künstlers selbst. Man möchte sagen, es sey etwas Elegisches, bey den Bruchstücken der alten Poesie mit stiller Liebe zu verweilen, die gleich Blättern wechselnden Geschlechter der Poesie mit heiterm Ernst zu betrachten, wie sie entstehen und vergehen; die zarte Anmuth der Vorwelt nachzubilden, was man dabey fühlt oder denkt, zu sagen, sie zu uns und uns zu ihr zu versetzen.

Es ist wohlthätig, nach der großen Aussicht auf das unermeßliche Weltall der alten Poesie, nun auch den Blick wieder auf eine Gattung zu beschränken, sich ihr inniger zu nähern, und mit der Theilnahme eines Freundes oder Liebenden in alle Einzelnheiten ihrer Natur und ihrer Geschichte zu folgen, bald nur zu genießen, und bald das Gefühl durch Nachdenken zu erhöhen; und wenn die Art selbst so mannichfaltig und umfassend ist, wie diese, so kann sie den, welcher sie noch nicht genossen, zu jener Aussicht vorbereiten, durch die auch der nicht beschränkte Geist sich weit über sich selbst erhoben fühlt.

bereitet? Wenn aber gleich Ahndungen der Art die Kunstgeschichte umschweben duͤrfen und muͤssen, so ists doch gefahrloser und schoͤner, sich vorzuͤglich an diese zu halten, und die Gestalt gleichsam vor unsern Augen werden und wachsen zu sehen. Auch ist es dem Gegenstande gemaͤßer: denn die Elegie umarmt die Gegenwart, aber sie blickt gern in die Vergangenheit, lieber als in die Zukunft. Die natuͤrliche Stimmung der Kunstgeschichte aͤhnelt bey dieser Dichtart der Stimmung des Kuͤnstlers selbst. Man moͤchte sagen, es sey etwas Elegisches, bey den Bruchstuͤcken der alten Poesie mit stiller Liebe zu verweilen, die gleich Blaͤttern wechselnden Geschlechter der Poesie mit heiterm Ernst zu betrachten, wie sie entstehen und vergehen; die zarte Anmuth der Vorwelt nachzubilden, was man dabey fuͤhlt oder denkt, zu sagen, sie zu uns und uns zu ihr zu versetzen.

Es ist wohlthaͤtig, nach der großen Aussicht auf das unermeßliche Weltall der alten Poesie, nun auch den Blick wieder auf eine Gattung zu beschraͤnken, sich ihr inniger zu naͤhern, und mit der Theilnahme eines Freundes oder Liebenden in alle Einzelnheiten ihrer Natur und ihrer Geschichte zu folgen, bald nur zu genießen, und bald das Gefuͤhl durch Nachdenken zu erhoͤhen; und wenn die Art selbst so mannichfaltig und umfassend ist, wie diese, so kann sie den, welcher sie noch nicht genossen, zu jener Aussicht vorbereiten, durch die auch der nicht beschraͤnkte Geist sich weit uͤber sich selbst erhoben fuͤhlt.

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[109/0120] bereitet? Wenn aber gleich Ahndungen der Art die Kunstgeschichte umschweben duͤrfen und muͤssen, so ists doch gefahrloser und schoͤner, sich vorzuͤglich an diese zu halten, und die Gestalt gleichsam vor unsern Augen werden und wachsen zu sehen. Auch ist es dem Gegenstande gemaͤßer: denn die Elegie umarmt die Gegenwart, aber sie blickt gern in die Vergangenheit, lieber als in die Zukunft. Die natuͤrliche Stimmung der Kunstgeschichte aͤhnelt bey dieser Dichtart der Stimmung des Kuͤnstlers selbst. Man moͤchte sagen, es sey etwas Elegisches, bey den Bruchstuͤcken der alten Poesie mit stiller Liebe zu verweilen, die gleich Blaͤttern wechselnden Geschlechter der Poesie mit heiterm Ernst zu betrachten, wie sie entstehen und vergehen; die zarte Anmuth der Vorwelt nachzubilden, was man dabey fuͤhlt oder denkt, zu sagen, sie zu uns und uns zu ihr zu versetzen. Es ist wohlthaͤtig, nach der großen Aussicht auf das unermeßliche Weltall der alten Poesie, nun auch den Blick wieder auf eine Gattung zu beschraͤnken, sich ihr inniger zu naͤhern, und mit der Theilnahme eines Freundes oder Liebenden in alle Einzelnheiten ihrer Natur und ihrer Geschichte zu folgen, bald nur zu genießen, und bald das Gefuͤhl durch Nachdenken zu erhoͤhen; und wenn die Art selbst so mannichfaltig und umfassend ist, wie diese, so kann sie den, welcher sie noch nicht genossen, zu jener Aussicht vorbereiten, durch die auch der nicht beschraͤnkte Geist sich weit uͤber sich selbst erhoben fuͤhlt.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/120>, abgerufen am 24.11.2024.