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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Die Bruchstücke dieses Zeitalters, in welchem die elegische Kunst nach dem Urtheile der Alten ihren Gipfel erreichte, zuerst zu übersetzen und zu erklären, schien auch darum das schicklichste, weil diese der vollständiger erhaltenen und uns bekanntern römischen Elegie näher liegen, und doch von diesem Standpunkt aus die Aussicht auf die ältere Griechische Elegie nicht mehr so ganz entfernt ist. Auch sind die Bruchstücke glücklicherweise von der Art, daß sie viel Stoff und Veranlassung zum Nachdenken über die eigentliche Natur der Elegie geben können, die hier schon auf Nebenwegen zu lustwandeln scheint; und doch, wenn erotische Anmuth und Bildung die Seele der spätern Griechischen Elegie sind, kann wohl nichts elegischer gefunden werden, als das köstliche Bruchstück des Hermesianax.



I. Bruchstück von Phanokles.

Das Werk, zu welchem diese Stelle von der Liebe des Orpheus zum Kalais gehörte, hieß die Schönen oder die Eroten; eine mythische Elegie von den berühmten Knaben und Jünglingen der Vorzeit und von der Liebe der Götter und Helden zu ihnen; eine erotische Sagenlehre oder Archaeologie. Die Richtung dieser Liebe aufs männliche Geschlecht kann derjenige, welcher es nicht anerkennt, daß Schönheit das einzige Gesetz und die wahre Sittlichkeit der Empfindungen ist, daß der freye Mensch unnatürlich seyn

Die Bruchstuͤcke dieses Zeitalters, in welchem die elegische Kunst nach dem Urtheile der Alten ihren Gipfel erreichte, zuerst zu uͤbersetzen und zu erklaͤren, schien auch darum das schicklichste, weil diese der vollstaͤndiger erhaltenen und uns bekanntern roͤmischen Elegie naͤher liegen, und doch von diesem Standpunkt aus die Aussicht auf die aͤltere Griechische Elegie nicht mehr so ganz entfernt ist. Auch sind die Bruchstuͤcke gluͤcklicherweise von der Art, daß sie viel Stoff und Veranlassung zum Nachdenken uͤber die eigentliche Natur der Elegie geben koͤnnen, die hier schon auf Nebenwegen zu lustwandeln scheint; und doch, wenn erotische Anmuth und Bildung die Seele der spaͤtern Griechischen Elegie sind, kann wohl nichts elegischer gefunden werden, als das koͤstliche Bruchstuͤck des Hermesianax.



I. Bruchstuͤck von Phanokles.

Das Werk, zu welchem diese Stelle von der Liebe des Orpheus zum Kalais gehoͤrte, hieß die Schoͤnen oder die Eroten; eine mythische Elegie von den beruͤhmten Knaben und Juͤnglingen der Vorzeit und von der Liebe der Goͤtter und Helden zu ihnen; eine erotische Sagenlehre oder Archaeologie. Die Richtung dieser Liebe aufs maͤnnliche Geschlecht kann derjenige, welcher es nicht anerkennt, daß Schoͤnheit das einzige Gesetz und die wahre Sittlichkeit der Empfindungen ist, daß der freye Mensch unnatuͤrlich seyn

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[111/0122] Die Bruchstuͤcke dieses Zeitalters, in welchem die elegische Kunst nach dem Urtheile der Alten ihren Gipfel erreichte, zuerst zu uͤbersetzen und zu erklaͤren, schien auch darum das schicklichste, weil diese der vollstaͤndiger erhaltenen und uns bekanntern roͤmischen Elegie naͤher liegen, und doch von diesem Standpunkt aus die Aussicht auf die aͤltere Griechische Elegie nicht mehr so ganz entfernt ist. Auch sind die Bruchstuͤcke gluͤcklicherweise von der Art, daß sie viel Stoff und Veranlassung zum Nachdenken uͤber die eigentliche Natur der Elegie geben koͤnnen, die hier schon auf Nebenwegen zu lustwandeln scheint; und doch, wenn erotische Anmuth und Bildung die Seele der spaͤtern Griechischen Elegie sind, kann wohl nichts elegischer gefunden werden, als das koͤstliche Bruchstuͤck des Hermesianax. I. Bruchstuͤck von Phanokles. Das Werk, zu welchem diese Stelle von der Liebe des Orpheus zum Kalais gehoͤrte, hieß die Schoͤnen oder die Eroten; eine mythische Elegie von den beruͤhmten Knaben und Juͤnglingen der Vorzeit und von der Liebe der Goͤtter und Helden zu ihnen; eine erotische Sagenlehre oder Archaeologie. Die Richtung dieser Liebe aufs maͤnnliche Geschlecht kann derjenige, welcher es nicht anerkennt, daß Schoͤnheit das einzige Gesetz und die wahre Sittlichkeit der Empfindungen ist, daß der freye Mensch unnatuͤrlich seyn

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/122>, abgerufen am 21.05.2024.