Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.aber gewöhnlich sind dieß nur hors d'oeuvres, die unbeschadet der Vollständigkeit der Rezensionen wegbleiben könnten. Bey der gewissenhaften Deutschen Umständlichkeit ist es auch in den umfassendsten Jnstituten unvermeidlich, daß nicht viele Anzeigen verspätet werden, oder gar unterbleiben sollten. Noch nie hat man es erlebt, daß ein litterarisches Tageblatt inne gehalten hätte, weil einmal alles fertig rezensirt gewesen wäre; sie sind vielmehr wie Menschen, die nur eben das Kinn über dem Wasser halten, und wenn sie einen Augenblick abließen zu rudern, in der großen Flut untergehn würden. Dieß ist auch wohl der Grund, warum noch niemand darauf gefallen ist, ungeschriebne Bücher zu rezensiren, was sonst Gelegenheit gäbe viel Neues zu sagen, und das ziemlich trockne Geschäft ein wenig genialisch zu machen. Das Leben ist kurz und die Bücher sind lang: was Wunder also, wenn man sich so geschwind mit ihnen abzufinden sucht, als man weiß und kann? Viele fleißige Leser kritischer Zeitschriften würden es eine sehr unbillige Zumuthung finden, erst die Rezension und dann noch hinterdrein die Schrift selbst zu lesen. Sie betrachten jene vielmehr als eine für sich verständliche Abbreviatur von dieser, und den Rezensenten als einen lebendigen Storchschnabel der ihnen die weitläuftigen Umrisse ins Feine und Kleine bringt. Auch läßt sich hiegegen nicht viel einwenden, da die Beurtheiler ja selbst beschuldigt werden, daß sie oft bey den Physiognomien der Bücher stehn bleiben. Mit aber gewoͤhnlich sind dieß nur hors d'oeuvres, die unbeschadet der Vollstaͤndigkeit der Rezensionen wegbleiben koͤnnten. Bey der gewissenhaften Deutschen Umstaͤndlichkeit ist es auch in den umfassendsten Jnstituten unvermeidlich, daß nicht viele Anzeigen verspaͤtet werden, oder gar unterbleiben sollten. Noch nie hat man es erlebt, daß ein litterarisches Tageblatt inne gehalten haͤtte, weil einmal alles fertig rezensirt gewesen waͤre; sie sind vielmehr wie Menschen, die nur eben das Kinn uͤber dem Wasser halten, und wenn sie einen Augenblick abließen zu rudern, in der großen Flut untergehn wuͤrden. Dieß ist auch wohl der Grund, warum noch niemand darauf gefallen ist, ungeschriebne Buͤcher zu rezensiren, was sonst Gelegenheit gaͤbe viel Neues zu sagen, und das ziemlich trockne Geschaͤft ein wenig genialisch zu machen. Das Leben ist kurz und die Buͤcher sind lang: was Wunder also, wenn man sich so geschwind mit ihnen abzufinden sucht, als man weiß und kann? Viele fleißige Leser kritischer Zeitschriften wuͤrden es eine sehr unbillige Zumuthung finden, erst die Rezension und dann noch hinterdrein die Schrift selbst zu lesen. Sie betrachten jene vielmehr als eine fuͤr sich verstaͤndliche Abbreviatur von dieser, und den Rezensenten als einen lebendigen Storchschnabel der ihnen die weitlaͤuftigen Umrisse ins Feine und Kleine bringt. Auch laͤßt sich hiegegen nicht viel einwenden, da die Beurtheiler ja selbst beschuldigt werden, daß sie oft bey den Physiognomien der Buͤcher stehn bleiben. Mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0154" n="143"/> aber gewoͤhnlich sind dieß nur <foreign xml:lang="fr">hors d'oeuvres</foreign>, die unbeschadet der Vollstaͤndigkeit der Rezensionen wegbleiben koͤnnten. Bey der gewissenhaften Deutschen Umstaͤndlichkeit ist es auch in den umfassendsten Jnstituten unvermeidlich, daß nicht viele Anzeigen verspaͤtet werden, oder gar unterbleiben sollten. Noch nie hat man es erlebt, daß ein litterarisches Tageblatt inne gehalten haͤtte, weil einmal alles fertig rezensirt gewesen waͤre; sie sind vielmehr wie Menschen, die nur eben das Kinn uͤber dem Wasser halten, und wenn sie einen Augenblick abließen zu rudern, in der großen Flut untergehn wuͤrden. Dieß ist auch wohl der Grund, warum noch niemand darauf gefallen ist, ungeschriebne Buͤcher zu rezensiren, was sonst Gelegenheit gaͤbe viel Neues zu sagen, und das ziemlich trockne Geschaͤft ein wenig genialisch zu machen.</p><lb/> <p>Das Leben ist kurz und die Buͤcher sind lang: was Wunder also, wenn man sich so geschwind mit ihnen abzufinden sucht, als man weiß und kann? Viele fleißige Leser kritischer Zeitschriften wuͤrden es eine sehr unbillige Zumuthung finden, erst die Rezension und dann noch hinterdrein die Schrift selbst zu lesen. Sie betrachten jene vielmehr als eine fuͤr sich verstaͤndliche Abbreviatur von dieser, und den Rezensenten als einen lebendigen Storchschnabel der ihnen die weitlaͤuftigen Umrisse ins Feine und Kleine bringt. Auch laͤßt sich hiegegen nicht viel einwenden, da die Beurtheiler ja selbst beschuldigt werden, daß sie oft bey den Physiognomien der Buͤcher stehn bleiben. Mit<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [143/0154]
aber gewoͤhnlich sind dieß nur hors d'oeuvres, die unbeschadet der Vollstaͤndigkeit der Rezensionen wegbleiben koͤnnten. Bey der gewissenhaften Deutschen Umstaͤndlichkeit ist es auch in den umfassendsten Jnstituten unvermeidlich, daß nicht viele Anzeigen verspaͤtet werden, oder gar unterbleiben sollten. Noch nie hat man es erlebt, daß ein litterarisches Tageblatt inne gehalten haͤtte, weil einmal alles fertig rezensirt gewesen waͤre; sie sind vielmehr wie Menschen, die nur eben das Kinn uͤber dem Wasser halten, und wenn sie einen Augenblick abließen zu rudern, in der großen Flut untergehn wuͤrden. Dieß ist auch wohl der Grund, warum noch niemand darauf gefallen ist, ungeschriebne Buͤcher zu rezensiren, was sonst Gelegenheit gaͤbe viel Neues zu sagen, und das ziemlich trockne Geschaͤft ein wenig genialisch zu machen.
Das Leben ist kurz und die Buͤcher sind lang: was Wunder also, wenn man sich so geschwind mit ihnen abzufinden sucht, als man weiß und kann? Viele fleißige Leser kritischer Zeitschriften wuͤrden es eine sehr unbillige Zumuthung finden, erst die Rezension und dann noch hinterdrein die Schrift selbst zu lesen. Sie betrachten jene vielmehr als eine fuͤr sich verstaͤndliche Abbreviatur von dieser, und den Rezensenten als einen lebendigen Storchschnabel der ihnen die weitlaͤuftigen Umrisse ins Feine und Kleine bringt. Auch laͤßt sich hiegegen nicht viel einwenden, da die Beurtheiler ja selbst beschuldigt werden, daß sie oft bey den Physiognomien der Buͤcher stehn bleiben. Mit
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