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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Nazionen und Zeitalter zu charakterisiren, das Große groß zu zeichnen, das ist das eigentliche Talent des poetischen Tacitus. Jn historischen Porträten ist der kritische Suetonius der größere Meister.



Fast alle Kunsturtheile sind zu allgemein oder zu speziell. Hier in ihren eignen Produkten sollten die Kritiker die schöne Mitte suchen, und nicht in den Werken der Dichter.



Cicero würdigt die Philosophieen nach ihrer Tauglichkeit für den Redner: eben so läßt sich fragen, welche die angemessenste für den Dichter sey. Gewiß kein System, das mit den Aussprüchen des Gefühls und Gemeinsinnes im Widerspruch steht; oder das Wirkliche in Schein verwandelt; oder sich aller Entscheidung enthält; oder den Schwung zum Uebersinnlichen hemmt; oder die Menschheit von den äußern Gegenständen erst zusammenbettelt. Also weder der Eudämonismus, noch der Fatalismus, noch der Jdealismus, noch der Skeptizismus, noch der Materialismus, noch der Empirismus. Und welche Philosophie bleibt dem Dichter übrig? Die schaffende, die von der Freyheit, und dem Glauben an sie ausgeht, und dann zeigt wie der menschliche Geist sein Gesetz allem aufprägt, und wie die Welt sein Kunstwerk ist.



Das Demonstriren a priori führt doch eine selige Beruhigung bey sich, während die Beobachtung immer etwas halbes und unvollendetes bleibt. Aristoteles

Nazionen und Zeitalter zu charakterisiren, das Große groß zu zeichnen, das ist das eigentliche Talent des poetischen Tacitus. Jn historischen Portraͤten ist der kritische Suetonius der groͤßere Meister.



Fast alle Kunsturtheile sind zu allgemein oder zu speziell. Hier in ihren eignen Produkten sollten die Kritiker die schoͤne Mitte suchen, und nicht in den Werken der Dichter.



Cicero wuͤrdigt die Philosophieen nach ihrer Tauglichkeit fuͤr den Redner: eben so laͤßt sich fragen, welche die angemessenste fuͤr den Dichter sey. Gewiß kein System, das mit den Ausspruͤchen des Gefuͤhls und Gemeinsinnes im Widerspruch steht; oder das Wirkliche in Schein verwandelt; oder sich aller Entscheidung enthaͤlt; oder den Schwung zum Uebersinnlichen hemmt; oder die Menschheit von den aͤußern Gegenstaͤnden erst zusammenbettelt. Also weder der Eudaͤmonismus, noch der Fatalismus, noch der Jdealismus, noch der Skeptizismus, noch der Materialismus, noch der Empirismus. Und welche Philosophie bleibt dem Dichter uͤbrig? Die schaffende, die von der Freyheit, und dem Glauben an sie ausgeht, und dann zeigt wie der menschliche Geist sein Gesetz allem aufpraͤgt, und wie die Welt sein Kunstwerk ist.



Das Demonstriren a priori fuͤhrt doch eine selige Beruhigung bey sich, waͤhrend die Beobachtung immer etwas halbes und unvollendetes bleibt. Aristoteles

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[43/0232] Nazionen und Zeitalter zu charakterisiren, das Große groß zu zeichnen, das ist das eigentliche Talent des poetischen Tacitus. Jn historischen Portraͤten ist der kritische Suetonius der groͤßere Meister. Fast alle Kunsturtheile sind zu allgemein oder zu speziell. Hier in ihren eignen Produkten sollten die Kritiker die schoͤne Mitte suchen, und nicht in den Werken der Dichter. Cicero wuͤrdigt die Philosophieen nach ihrer Tauglichkeit fuͤr den Redner: eben so laͤßt sich fragen, welche die angemessenste fuͤr den Dichter sey. Gewiß kein System, das mit den Ausspruͤchen des Gefuͤhls und Gemeinsinnes im Widerspruch steht; oder das Wirkliche in Schein verwandelt; oder sich aller Entscheidung enthaͤlt; oder den Schwung zum Uebersinnlichen hemmt; oder die Menschheit von den aͤußern Gegenstaͤnden erst zusammenbettelt. Also weder der Eudaͤmonismus, noch der Fatalismus, noch der Jdealismus, noch der Skeptizismus, noch der Materialismus, noch der Empirismus. Und welche Philosophie bleibt dem Dichter uͤbrig? Die schaffende, die von der Freyheit, und dem Glauben an sie ausgeht, und dann zeigt wie der menschliche Geist sein Gesetz allem aufpraͤgt, und wie die Welt sein Kunstwerk ist. Das Demonstriren a priori fuͤhrt doch eine selige Beruhigung bey sich, waͤhrend die Beobachtung immer etwas halbes und unvollendetes bleibt. Aristoteles

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/232>, abgerufen am 24.11.2024.