Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.einem Künstler kann man nicht zumuthen ein versoffner Gastwirth zu werden. Das wenige, was in Diderots Essai sur la peinture nicht taugt, ist das Sentimentale. Er hat aber den Leser, den es irre führen könnte, durch seine unvergleichliche Frechheit selbst zurecht gewiesen. Die einförmigste und flachste Natur erzieht am besten zum Landschaftsmahler. Man denke an den Reichthum der Holländischen Kunst in diesem Fache. Armuth macht haushälterisch: es bildet sich ein genügsamer Sinn, den selbst der leiseste Wink höheres Lebens in der Natur erfreut. Wenn der Künstler dann auf Reisen romantische Szenen kennen lernt, so wirken sie desto mächtiger auf ihn. Auch die Einbildungskraft hat ihre Antithesen: der größte Mahler schauerlicher Wüsteneyen, Salvator Rosa, war zu Neapel geboren. Die Alten, scheint es, liebten auch in der Miniatur das Unvergängliche: die Steinschneidekunst ist die Miniatur der Bildnerey. Die alte Kunst selbst will nicht ganz wiederkommen, so rastlos auch die Wissenschaft alle angehäuften Schätze der Natur bearbeitet. Zwar scheint es oft: aber es fehlt immer noch etwas, nämlich grade das, was nur aus dem Leben kommt und was kein Modell geben kann. Die Schicksale der alten Kunst einem Kuͤnstler kann man nicht zumuthen ein versoffner Gastwirth zu werden. Das wenige, was in Diderots Essai sur la peinture nicht taugt, ist das Sentimentale. Er hat aber den Leser, den es irre fuͤhren koͤnnte, durch seine unvergleichliche Frechheit selbst zurecht gewiesen. Die einfoͤrmigste und flachste Natur erzieht am besten zum Landschaftsmahler. Man denke an den Reichthum der Hollaͤndischen Kunst in diesem Fache. Armuth macht haushaͤlterisch: es bildet sich ein genuͤgsamer Sinn, den selbst der leiseste Wink hoͤheres Lebens in der Natur erfreut. Wenn der Kuͤnstler dann auf Reisen romantische Szenen kennen lernt, so wirken sie desto maͤchtiger auf ihn. Auch die Einbildungskraft hat ihre Antithesen: der groͤßte Mahler schauerlicher Wuͤsteneyen, Salvator Rosa, war zu Neapel geboren. Die Alten, scheint es, liebten auch in der Miniatur das Unvergaͤngliche: die Steinschneidekunst ist die Miniatur der Bildnerey. Die alte Kunst selbst will nicht ganz wiederkommen, so rastlos auch die Wissenschaft alle angehaͤuften Schaͤtze der Natur bearbeitet. Zwar scheint es oft: aber es fehlt immer noch etwas, naͤmlich grade das, was nur aus dem Leben kommt und was kein Modell geben kann. Die Schicksale der alten Kunst <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0238" n="49"/> einem Kuͤnstler kann man nicht zumuthen ein versoffner Gastwirth zu werden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Das wenige, was in Diderots <foreign xml:lang="fr">Essai sur la peinture</foreign> nicht taugt, ist das Sentimentale. Er hat aber den Leser, den es irre fuͤhren koͤnnte, durch seine unvergleichliche Frechheit selbst zurecht gewiesen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Die einfoͤrmigste und flachste Natur erzieht am besten zum Landschaftsmahler. Man denke an den Reichthum der Hollaͤndischen Kunst in diesem Fache. Armuth macht haushaͤlterisch: es bildet sich ein genuͤgsamer Sinn, den selbst der leiseste Wink hoͤheres Lebens in der Natur erfreut. Wenn der Kuͤnstler dann auf Reisen romantische Szenen kennen lernt, so wirken sie desto maͤchtiger auf ihn. Auch die Einbildungskraft hat ihre Antithesen: der groͤßte Mahler schauerlicher Wuͤsteneyen, Salvator Rosa, war zu Neapel geboren.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Die Alten, scheint es, liebten auch in der Miniatur das Unvergaͤngliche: die Steinschneidekunst ist die Miniatur der Bildnerey.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Die alte Kunst selbst will nicht ganz wiederkommen, so rastlos auch die Wissenschaft alle angehaͤuften Schaͤtze der Natur bearbeitet. Zwar scheint es oft: aber es fehlt immer noch etwas, naͤmlich grade das, was nur aus dem Leben kommt und was kein Modell geben kann. Die Schicksale der alten Kunst<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [49/0238]
einem Kuͤnstler kann man nicht zumuthen ein versoffner Gastwirth zu werden.
Das wenige, was in Diderots Essai sur la peinture nicht taugt, ist das Sentimentale. Er hat aber den Leser, den es irre fuͤhren koͤnnte, durch seine unvergleichliche Frechheit selbst zurecht gewiesen.
Die einfoͤrmigste und flachste Natur erzieht am besten zum Landschaftsmahler. Man denke an den Reichthum der Hollaͤndischen Kunst in diesem Fache. Armuth macht haushaͤlterisch: es bildet sich ein genuͤgsamer Sinn, den selbst der leiseste Wink hoͤheres Lebens in der Natur erfreut. Wenn der Kuͤnstler dann auf Reisen romantische Szenen kennen lernt, so wirken sie desto maͤchtiger auf ihn. Auch die Einbildungskraft hat ihre Antithesen: der groͤßte Mahler schauerlicher Wuͤsteneyen, Salvator Rosa, war zu Neapel geboren.
Die Alten, scheint es, liebten auch in der Miniatur das Unvergaͤngliche: die Steinschneidekunst ist die Miniatur der Bildnerey.
Die alte Kunst selbst will nicht ganz wiederkommen, so rastlos auch die Wissenschaft alle angehaͤuften Schaͤtze der Natur bearbeitet. Zwar scheint es oft: aber es fehlt immer noch etwas, naͤmlich grade das, was nur aus dem Leben kommt und was kein Modell geben kann. Die Schicksale der alten Kunst
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