Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.weil sie höchst tragisch sind, die stille Größe und edle Einfalt wegläugnen? Daß im Körper des Laokoon der gewaltsamste Zustand des Leidens und der Anstrengung ausgedrückt sey, hat Winkelmann sehr bestimmt anerkannt; nur im Gesichte, behauptet er, erscheine die nicht erliegende Heldenseele. Jetzt erfahren wir, daß Laokoon nicht schreyt, weil er nicht mehr schreyen kann. Nämlich von wegen des Schlagflusses. Freylich kann er nicht schreyen, sonst würde er gegen eine so entstellende Beschreibung und Verkennung seiner heroischen Größe die Stimme erheben. Wenn der Geschmack der Engländer in der Mahlerey, wie die mechanische Zierlichkeit ihrer Kupferstiche befürchten läßt, sich auf dem festen Lande noch weiter verbreiten sollte, so möchte man darauf antragen, den ohne dieß unschicklichen Namen, historisches Gemählde, abzuschaffen und dafür theatralisches Gemählde einzuführen. Gegen den Vorwurf, daß die eroberten Jtaliänischen Gemählde in Paris übel behandelt würden, hat sich der Säuberer derselben erboten, ein Bild von Carracci halb gereinigt und halb in seinem ursprünglichen Zustande aufzustellen. Ein artiger Einfall! So sieht man bey plötzlichem Lärm auf der Gasse manchmal ein halb rasirtes Gesicht zum Fenster herausgukken; und mit Französischer Lebhaftigkeit und Ungeduld betrieben, mag das Säuberungsgeschäft überhaupt viel von der Barbierkunst an sich haben. weil sie hoͤchst tragisch sind, die stille Groͤße und edle Einfalt weglaͤugnen? Daß im Koͤrper des Laokoon der gewaltsamste Zustand des Leidens und der Anstrengung ausgedruͤckt sey, hat Winkelmann sehr bestimmt anerkannt; nur im Gesichte, behauptet er, erscheine die nicht erliegende Heldenseele. Jetzt erfahren wir, daß Laokoon nicht schreyt, weil er nicht mehr schreyen kann. Naͤmlich von wegen des Schlagflusses. Freylich kann er nicht schreyen, sonst wuͤrde er gegen eine so entstellende Beschreibung und Verkennung seiner heroischen Groͤße die Stimme erheben. Wenn der Geschmack der Englaͤnder in der Mahlerey, wie die mechanische Zierlichkeit ihrer Kupferstiche befuͤrchten laͤßt, sich auf dem festen Lande noch weiter verbreiten sollte, so moͤchte man darauf antragen, den ohne dieß unschicklichen Namen, historisches Gemaͤhlde, abzuschaffen und dafuͤr theatralisches Gemaͤhlde einzufuͤhren. Gegen den Vorwurf, daß die eroberten Jtaliaͤnischen Gemaͤhlde in Paris uͤbel behandelt wuͤrden, hat sich der Saͤuberer derselben erboten, ein Bild von Carracci halb gereinigt und halb in seinem urspruͤnglichen Zustande aufzustellen. Ein artiger Einfall! So sieht man bey ploͤtzlichem Laͤrm auf der Gasse manchmal ein halb rasirtes Gesicht zum Fenster herausgukken; und mit Franzoͤsischer Lebhaftigkeit und Ungeduld betrieben, mag das Saͤuberungsgeschaͤft uͤberhaupt viel von der Barbierkunst an sich haben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0276" n="87"/> weil sie hoͤchst tragisch sind, die stille Groͤße und edle Einfalt weglaͤugnen? Daß im Koͤrper des Laokoon der gewaltsamste Zustand des Leidens und der Anstrengung ausgedruͤckt sey, hat Winkelmann sehr bestimmt anerkannt; nur im Gesichte, behauptet er, erscheine die nicht erliegende Heldenseele. Jetzt erfahren wir, daß Laokoon nicht schreyt, weil er nicht mehr schreyen kann. Naͤmlich von wegen des Schlagflusses. Freylich kann er nicht schreyen, sonst wuͤrde er gegen eine so entstellende Beschreibung und Verkennung seiner heroischen Groͤße die Stimme erheben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Wenn der Geschmack der Englaͤnder in der Mahlerey, wie die mechanische Zierlichkeit ihrer Kupferstiche befuͤrchten laͤßt, sich auf dem festen Lande noch weiter verbreiten sollte, so moͤchte man darauf antragen, den ohne dieß unschicklichen Namen, historisches Gemaͤhlde, abzuschaffen und dafuͤr theatralisches Gemaͤhlde einzufuͤhren.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Gegen den Vorwurf, daß die eroberten Jtaliaͤnischen Gemaͤhlde in Paris uͤbel behandelt wuͤrden, hat sich der Saͤuberer derselben erboten, ein Bild von Carracci halb gereinigt und halb in seinem urspruͤnglichen Zustande aufzustellen. Ein artiger Einfall! So sieht man bey ploͤtzlichem Laͤrm auf der Gasse manchmal ein halb rasirtes Gesicht zum Fenster herausgukken; und mit Franzoͤsischer Lebhaftigkeit und Ungeduld betrieben, mag das Saͤuberungsgeschaͤft uͤberhaupt viel von der Barbierkunst an sich haben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0276]
weil sie hoͤchst tragisch sind, die stille Groͤße und edle Einfalt weglaͤugnen? Daß im Koͤrper des Laokoon der gewaltsamste Zustand des Leidens und der Anstrengung ausgedruͤckt sey, hat Winkelmann sehr bestimmt anerkannt; nur im Gesichte, behauptet er, erscheine die nicht erliegende Heldenseele. Jetzt erfahren wir, daß Laokoon nicht schreyt, weil er nicht mehr schreyen kann. Naͤmlich von wegen des Schlagflusses. Freylich kann er nicht schreyen, sonst wuͤrde er gegen eine so entstellende Beschreibung und Verkennung seiner heroischen Groͤße die Stimme erheben.
Wenn der Geschmack der Englaͤnder in der Mahlerey, wie die mechanische Zierlichkeit ihrer Kupferstiche befuͤrchten laͤßt, sich auf dem festen Lande noch weiter verbreiten sollte, so moͤchte man darauf antragen, den ohne dieß unschicklichen Namen, historisches Gemaͤhlde, abzuschaffen und dafuͤr theatralisches Gemaͤhlde einzufuͤhren.
Gegen den Vorwurf, daß die eroberten Jtaliaͤnischen Gemaͤhlde in Paris uͤbel behandelt wuͤrden, hat sich der Saͤuberer derselben erboten, ein Bild von Carracci halb gereinigt und halb in seinem urspruͤnglichen Zustande aufzustellen. Ein artiger Einfall! So sieht man bey ploͤtzlichem Laͤrm auf der Gasse manchmal ein halb rasirtes Gesicht zum Fenster herausgukken; und mit Franzoͤsischer Lebhaftigkeit und Ungeduld betrieben, mag das Saͤuberungsgeschaͤft uͤberhaupt viel von der Barbierkunst an sich haben.
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