Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.seyn als alle andern und viele Wege mögen dahin führen. Der kürzeste ist wohl, wenn ein Werk nicht weiß, zu welcher Gattung es gehören will oder soll. Sollte Voltaire diesen Weg nie gegangen seyn? Wie Simonides die Poesie eine redende Mahlerey und die Mahlerey eine stumme Poesie nannte, so könnte man sagen, die Geschichte sey eine werdende Philosophie, und die Philosophie eine vollendete Geschichte. Aber Apoll, der nicht verschweigt und nicht sagt, sondern andeutet, wird nicht mehr verehrt und wo sich eine Muse sehen läßt, wollen sie sie gleich zu Protokoll vernehmen. Wie übel verfährt selbst Lessing mit jenem schönen Wort des geistvollen Griechen, der vielleicht keine Gelegenheit hatte, an descriptive poetry zu denken, und dem es sehr überflüßig scheinen mußte, daran zu erinnern, daß die Poesie auch eine geistige Musik sey, da er keine Vorstellung davon hatte, daß beyde Künste getrennt seyn könnten. Wenn gemeine Menschen, ohne Sinn für die Zukunft, einmal von der Wuth des Fortschreitens ergriffen werden, treiben sie's auch recht buchstäblich. Den Kopf voran und die Augen zu schreiten sie in alle Welt, als ob der Geist Arme und Beine hätte. Wenn sie nicht etwa den Hals brechen, so erfolgt gewöhnlich eins von beyden: entweder sie werden stätisch oder sie machen linksum. Mit den letzten muß mans machen wie Caesar, der die Gewohnheit hatte, im seyn als alle andern und viele Wege moͤgen dahin fuͤhren. Der kuͤrzeste ist wohl, wenn ein Werk nicht weiß, zu welcher Gattung es gehoͤren will oder soll. Sollte Voltaire diesen Weg nie gegangen seyn? Wie Simonides die Poesie eine redende Mahlerey und die Mahlerey eine stumme Poesie nannte, so koͤnnte man sagen, die Geschichte sey eine werdende Philosophie, und die Philosophie eine vollendete Geschichte. Aber Apoll, der nicht verschweigt und nicht sagt, sondern andeutet, wird nicht mehr verehrt und wo sich eine Muse sehen laͤßt, wollen sie sie gleich zu Protokoll vernehmen. Wie uͤbel verfaͤhrt selbst Lessing mit jenem schoͤnen Wort des geistvollen Griechen, der vielleicht keine Gelegenheit hatte, an descriptive poetry zu denken, und dem es sehr uͤberfluͤßig scheinen mußte, daran zu erinnern, daß die Poesie auch eine geistige Musik sey, da er keine Vorstellung davon hatte, daß beyde Kuͤnste getrennt seyn koͤnnten. Wenn gemeine Menschen, ohne Sinn fuͤr die Zukunft, einmal von der Wuth des Fortschreitens ergriffen werden, treiben sie's auch recht buchstaͤblich. Den Kopf voran und die Augen zu schreiten sie in alle Welt, als ob der Geist Arme und Beine haͤtte. Wenn sie nicht etwa den Hals brechen, so erfolgt gewoͤhnlich eins von beyden: entweder sie werden staͤtisch oder sie machen linksum. Mit den letzten muß mans machen wie Caesar, der die Gewohnheit hatte, im <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0280" n="91"/> seyn als alle andern und viele Wege moͤgen dahin fuͤhren. Der kuͤrzeste ist wohl, wenn ein Werk nicht weiß, zu welcher Gattung es gehoͤren will oder soll. Sollte Voltaire diesen Weg nie gegangen seyn?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Wie Simonides die Poesie eine redende Mahlerey und die Mahlerey eine stumme Poesie nannte, so koͤnnte man sagen, die Geschichte sey eine werdende Philosophie, und die Philosophie eine vollendete Geschichte. Aber Apoll, der nicht verschweigt und nicht sagt, sondern andeutet, wird nicht mehr verehrt und wo sich eine Muse sehen laͤßt, wollen sie sie gleich zu Protokoll vernehmen. Wie uͤbel verfaͤhrt selbst Lessing mit jenem schoͤnen Wort des geistvollen Griechen, der vielleicht keine Gelegenheit hatte, an <foreign xml:lang="la">descriptive poetry</foreign> zu denken, und dem es sehr uͤberfluͤßig scheinen mußte, daran zu erinnern, daß die Poesie auch eine geistige Musik sey, da er keine Vorstellung davon hatte, daß beyde Kuͤnste getrennt seyn koͤnnten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Wenn gemeine Menschen, ohne Sinn fuͤr die Zukunft, einmal von der Wuth des Fortschreitens ergriffen werden, treiben sie's auch recht buchstaͤblich. Den Kopf voran und die Augen zu schreiten sie in alle Welt, als ob der Geist Arme und Beine haͤtte. Wenn sie nicht etwa den Hals brechen, so erfolgt gewoͤhnlich eins von beyden: entweder sie werden staͤtisch oder sie machen linksum. Mit den letzten muß mans machen wie Caesar, der die Gewohnheit hatte, im<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0280]
seyn als alle andern und viele Wege moͤgen dahin fuͤhren. Der kuͤrzeste ist wohl, wenn ein Werk nicht weiß, zu welcher Gattung es gehoͤren will oder soll. Sollte Voltaire diesen Weg nie gegangen seyn?
Wie Simonides die Poesie eine redende Mahlerey und die Mahlerey eine stumme Poesie nannte, so koͤnnte man sagen, die Geschichte sey eine werdende Philosophie, und die Philosophie eine vollendete Geschichte. Aber Apoll, der nicht verschweigt und nicht sagt, sondern andeutet, wird nicht mehr verehrt und wo sich eine Muse sehen laͤßt, wollen sie sie gleich zu Protokoll vernehmen. Wie uͤbel verfaͤhrt selbst Lessing mit jenem schoͤnen Wort des geistvollen Griechen, der vielleicht keine Gelegenheit hatte, an descriptive poetry zu denken, und dem es sehr uͤberfluͤßig scheinen mußte, daran zu erinnern, daß die Poesie auch eine geistige Musik sey, da er keine Vorstellung davon hatte, daß beyde Kuͤnste getrennt seyn koͤnnten.
Wenn gemeine Menschen, ohne Sinn fuͤr die Zukunft, einmal von der Wuth des Fortschreitens ergriffen werden, treiben sie's auch recht buchstaͤblich. Den Kopf voran und die Augen zu schreiten sie in alle Welt, als ob der Geist Arme und Beine haͤtte. Wenn sie nicht etwa den Hals brechen, so erfolgt gewoͤhnlich eins von beyden: entweder sie werden staͤtisch oder sie machen linksum. Mit den letzten muß mans machen wie Caesar, der die Gewohnheit hatte, im
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