Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.in sich vereinigen zu wollen. Jn der Ausführung ists damit aber ungefähr, wie mit der Vermischung der Dichtarten. Wer aus wahrem Jnstinkt zugleich an den Mittler und an den heiligen Geist glaubt, pflegt schon die Religion als isolirte Kunst zu treiben; welches eine der mißlichsten Professionen ist, die ein ehrlicher Mann treiben kann. Wie müßte es erst einem ergehn, der an alle drey glaubt! Nur der, welcher sich selbst setzt, kann andre setzen. Eben so hat nur der, welcher sich selbst annihilirt, ein Recht jeden andern zu annihiliren. Es ist kindisch, den Leuten das einreden zu wollen, wofür sie keinen Sinn haben. Thut als ob sie nicht da wären, und macht ihnen vor, was sie sehen lernen sollen. Dieß ist zugleich höchst weltbürgerlich und höchst sittlich; sehr höflich und sehr cynisch. Viele haben Geist oder Gemüth oder Fantasie. Aber weil es für sich selbst nur in flüchtiger dunstförmiger Gestalt erscheinen könnte, hat die Natur Sorge getragen, es durch irgend einen gemeinen erdigen Stoff chemisch zu binden. Dieses Gebundne zu entdecken ist die beständige Aufgabe des höchsten Wohlwollens, aber es erfodert viel Übung in der intellektuellen Chemie. Wer für jedes, was in der menschlichen Natur schön ist, ein untrügliches Reagens zu entdecken wüßte, würde uns eine neue Welt zeigen. in sich vereinigen zu wollen. Jn der Ausfuͤhrung ists damit aber ungefaͤhr, wie mit der Vermischung der Dichtarten. Wer aus wahrem Jnstinkt zugleich an den Mittler und an den heiligen Geist glaubt, pflegt schon die Religion als isolirte Kunst zu treiben; welches eine der mißlichsten Professionen ist, die ein ehrlicher Mann treiben kann. Wie muͤßte es erst einem ergehn, der an alle drey glaubt! Nur der, welcher sich selbst setzt, kann andre setzen. Eben so hat nur der, welcher sich selbst annihilirt, ein Recht jeden andern zu annihiliren. Es ist kindisch, den Leuten das einreden zu wollen, wofuͤr sie keinen Sinn haben. Thut als ob sie nicht da waͤren, und macht ihnen vor, was sie sehen lernen sollen. Dieß ist zugleich hoͤchst weltbuͤrgerlich und hoͤchst sittlich; sehr hoͤflich und sehr cynisch. Viele haben Geist oder Gemuͤth oder Fantasie. Aber weil es fuͤr sich selbst nur in fluͤchtiger dunstfoͤrmiger Gestalt erscheinen koͤnnte, hat die Natur Sorge getragen, es durch irgend einen gemeinen erdigen Stoff chemisch zu binden. Dieses Gebundne zu entdecken ist die bestaͤndige Aufgabe des hoͤchsten Wohlwollens, aber es erfodert viel Übung in der intellektuellen Chemie. Wer fuͤr jedes, was in der menschlichen Natur schoͤn ist, ein untruͤgliches Reagens zu entdecken wuͤßte, wuͤrde uns eine neue Welt zeigen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0282" n="93"/> in sich vereinigen zu wollen. Jn der Ausfuͤhrung ists damit aber ungefaͤhr, wie mit der Vermischung der Dichtarten. Wer aus wahrem Jnstinkt zugleich an den Mittler und an den heiligen Geist glaubt, pflegt schon die Religion als isolirte Kunst zu treiben; welches eine der mißlichsten Professionen ist, die ein ehrlicher Mann treiben kann. Wie muͤßte es erst einem ergehn, der an alle drey glaubt!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Nur der, welcher sich selbst setzt, kann andre setzen. Eben so hat nur der, welcher sich selbst annihilirt, ein Recht jeden andern zu annihiliren.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Es ist kindisch, den Leuten das einreden zu wollen, wofuͤr sie keinen Sinn haben. Thut als ob sie nicht da waͤren, und macht ihnen vor, was sie sehen lernen sollen. Dieß ist zugleich hoͤchst weltbuͤrgerlich und hoͤchst sittlich; sehr hoͤflich und sehr cynisch.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Viele haben Geist oder Gemuͤth oder Fantasie. Aber weil es fuͤr sich selbst nur in fluͤchtiger dunstfoͤrmiger Gestalt erscheinen koͤnnte, hat die Natur Sorge getragen, es durch irgend einen gemeinen erdigen Stoff chemisch zu binden. Dieses Gebundne zu entdecken ist die bestaͤndige Aufgabe des hoͤchsten Wohlwollens, aber es erfodert viel Übung in der intellektuellen Chemie. Wer fuͤr jedes, was in der menschlichen Natur schoͤn ist, ein untruͤgliches Reagens zu entdecken wuͤßte, wuͤrde uns eine neue Welt zeigen.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0282]
in sich vereinigen zu wollen. Jn der Ausfuͤhrung ists damit aber ungefaͤhr, wie mit der Vermischung der Dichtarten. Wer aus wahrem Jnstinkt zugleich an den Mittler und an den heiligen Geist glaubt, pflegt schon die Religion als isolirte Kunst zu treiben; welches eine der mißlichsten Professionen ist, die ein ehrlicher Mann treiben kann. Wie muͤßte es erst einem ergehn, der an alle drey glaubt!
Nur der, welcher sich selbst setzt, kann andre setzen. Eben so hat nur der, welcher sich selbst annihilirt, ein Recht jeden andern zu annihiliren.
Es ist kindisch, den Leuten das einreden zu wollen, wofuͤr sie keinen Sinn haben. Thut als ob sie nicht da waͤren, und macht ihnen vor, was sie sehen lernen sollen. Dieß ist zugleich hoͤchst weltbuͤrgerlich und hoͤchst sittlich; sehr hoͤflich und sehr cynisch.
Viele haben Geist oder Gemuͤth oder Fantasie. Aber weil es fuͤr sich selbst nur in fluͤchtiger dunstfoͤrmiger Gestalt erscheinen koͤnnte, hat die Natur Sorge getragen, es durch irgend einen gemeinen erdigen Stoff chemisch zu binden. Dieses Gebundne zu entdecken ist die bestaͤndige Aufgabe des hoͤchsten Wohlwollens, aber es erfodert viel Übung in der intellektuellen Chemie. Wer fuͤr jedes, was in der menschlichen Natur schoͤn ist, ein untruͤgliches Reagens zu entdecken wuͤßte, wuͤrde uns eine neue Welt zeigen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |