Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Jene Geschichte von einem Franzosen der alten Zeit, welcher seine Adelszeichen den Gerichten übergab, um sie wieder zu fodern, wenn er durch den Handel einiges Vermögen erlangt haben würde, ist eine Allegorie auf die Bescheidenheit. Wer den Ruhm dieser beliebten Tugend haben will, muß es mit seinem innern Adel eben so machen. Er gebe ihn der gemeinen Meynung ad depositum und erwerbe sich dadurch ein Recht ihn wieder zu fodern, daß er mit Glück und Fleiß einen Spedizionshandel treibt mit fremden Verdiensten, Talenten und Einfällen, feinem und Mittelgut, wie es jeder verlangt. Wer Liberalität und Rigorismus verbinden wollte, bey dem müßte jene etwas mehr seyn als Selbstverläugnung, und dieser etwas mehr als Einseitigkeit. Sollte das aber wohl erlaubt seyn? Jämmerlich ist freylich jene praktische Philosophie der Franzosen und Engländer, von denen man meynt, sie wüßten so gut, was der Mensch sey, unerachtet sie nicht darüber spekulirten, was er seyn solle. Jede organische Natur hat ihre Regel, ihr Sollen; und wer darum nicht weiß, wie kann der sie kennen? Woher nehmen sie denn den Eintheilungsgrund ihrer naturhistorischen Beschreibungen und wonach messen sie den Menschen? Eben so gut sind sie aber doch als jene, die mit dem Sollen anfangen und endigen. Diese wissen nicht, daß der sittliche Mensch aus eigner Kraft sich um seine Axe frey bewegt. Sie haben Jene Geschichte von einem Franzosen der alten Zeit, welcher seine Adelszeichen den Gerichten uͤbergab, um sie wieder zu fodern, wenn er durch den Handel einiges Vermoͤgen erlangt haben wuͤrde, ist eine Allegorie auf die Bescheidenheit. Wer den Ruhm dieser beliebten Tugend haben will, muß es mit seinem innern Adel eben so machen. Er gebe ihn der gemeinen Meynung ad depositum und erwerbe sich dadurch ein Recht ihn wieder zu fodern, daß er mit Gluͤck und Fleiß einen Spedizionshandel treibt mit fremden Verdiensten, Talenten und Einfaͤllen, feinem und Mittelgut, wie es jeder verlangt. Wer Liberalitaͤt und Rigorismus verbinden wollte, bey dem muͤßte jene etwas mehr seyn als Selbstverlaͤugnung, und dieser etwas mehr als Einseitigkeit. Sollte das aber wohl erlaubt seyn? Jaͤmmerlich ist freylich jene praktische Philosophie der Franzosen und Englaͤnder, von denen man meynt, sie wuͤßten so gut, was der Mensch sey, unerachtet sie nicht daruͤber spekulirten, was er seyn solle. Jede organische Natur hat ihre Regel, ihr Sollen; und wer darum nicht weiß, wie kann der sie kennen? Woher nehmen sie denn den Eintheilungsgrund ihrer naturhistorischen Beschreibungen und wonach messen sie den Menschen? Eben so gut sind sie aber doch als jene, die mit dem Sollen anfangen und endigen. Diese wissen nicht, daß der sittliche Mensch aus eigner Kraft sich um seine Axe frey bewegt. Sie haben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0293" n="104"/> <p>Jene Geschichte von einem Franzosen der alten Zeit, welcher seine Adelszeichen den Gerichten uͤbergab, um sie wieder zu fodern, wenn er durch den Handel einiges Vermoͤgen erlangt haben wuͤrde, ist eine Allegorie auf die Bescheidenheit. Wer den Ruhm dieser beliebten Tugend haben will, muß es mit seinem innern Adel eben so machen. Er gebe ihn der gemeinen Meynung <foreign xml:lang="la">ad depositum</foreign> und erwerbe sich dadurch ein Recht ihn wieder zu fodern, daß er mit Gluͤck und Fleiß einen Spedizionshandel treibt mit fremden Verdiensten, Talenten und Einfaͤllen, feinem und Mittelgut, wie es jeder verlangt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Wer Liberalitaͤt und Rigorismus verbinden wollte, bey dem muͤßte jene etwas mehr seyn als Selbstverlaͤugnung, und dieser etwas mehr als Einseitigkeit. Sollte das aber wohl erlaubt seyn?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Jaͤmmerlich ist freylich jene praktische Philosophie der Franzosen und Englaͤnder, von denen man meynt, sie wuͤßten so gut, was der Mensch sey, unerachtet sie nicht daruͤber spekulirten, was er seyn solle. Jede organische Natur hat ihre Regel, ihr Sollen; und wer darum nicht weiß, wie kann der sie kennen? Woher nehmen sie denn den Eintheilungsgrund ihrer naturhistorischen Beschreibungen und wonach messen sie den Menschen? Eben so gut sind sie aber doch als jene, die mit dem Sollen anfangen und endigen. Diese wissen nicht, daß der sittliche Mensch aus eigner Kraft sich um seine Axe frey bewegt. Sie haben<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0293]
Jene Geschichte von einem Franzosen der alten Zeit, welcher seine Adelszeichen den Gerichten uͤbergab, um sie wieder zu fodern, wenn er durch den Handel einiges Vermoͤgen erlangt haben wuͤrde, ist eine Allegorie auf die Bescheidenheit. Wer den Ruhm dieser beliebten Tugend haben will, muß es mit seinem innern Adel eben so machen. Er gebe ihn der gemeinen Meynung ad depositum und erwerbe sich dadurch ein Recht ihn wieder zu fodern, daß er mit Gluͤck und Fleiß einen Spedizionshandel treibt mit fremden Verdiensten, Talenten und Einfaͤllen, feinem und Mittelgut, wie es jeder verlangt.
Wer Liberalitaͤt und Rigorismus verbinden wollte, bey dem muͤßte jene etwas mehr seyn als Selbstverlaͤugnung, und dieser etwas mehr als Einseitigkeit. Sollte das aber wohl erlaubt seyn?
Jaͤmmerlich ist freylich jene praktische Philosophie der Franzosen und Englaͤnder, von denen man meynt, sie wuͤßten so gut, was der Mensch sey, unerachtet sie nicht daruͤber spekulirten, was er seyn solle. Jede organische Natur hat ihre Regel, ihr Sollen; und wer darum nicht weiß, wie kann der sie kennen? Woher nehmen sie denn den Eintheilungsgrund ihrer naturhistorischen Beschreibungen und wonach messen sie den Menschen? Eben so gut sind sie aber doch als jene, die mit dem Sollen anfangen und endigen. Diese wissen nicht, daß der sittliche Mensch aus eigner Kraft sich um seine Axe frey bewegt. Sie haben
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