Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.solcher Caricaturen, die nichts können und mögen, als Verstand affektiren. Warum fehlen die Satanisten in der christlichen Mythologie? Es giebt vielleicht kein angemeßneres Wort und Bild für gewisse Bosheiten en miniature, deren Schein die Unschuld liebt; und für jene reizend groteske Farbenmusik des erhabensten und zartesten Muthwillens, welche die Oberfläche der Größe so gern zu umspielen pflegt. Die alten Amorinen sind nur eine andre Race dieser Satanisten. Vorlesen und Deklamiren ist nicht einerley. Dieses erfodert den richtig höchsten, jenes einen gemäßigten Ausdruck. Deklamazion gehört für die Ferne, nicht in das Zimmer. Die laute Stimme zu welcher sie sich, um den gehörigen Wechsel hervorzubringen, erhöhen muß, beleidigt ein feines Gehör. Alle Wirkung geht in der Betäubung verloren. Mit Gestikulazion verbunden wird sie widrig wie alle Demonstrazionen heftiger Leidenschaft. Die gebildete Empfindung kann sie nur in solcher Entfernung ertragen, die gleichsam wieder einen Schleyer über sie wirft. Der Ton, statt sich zu erheben, muß, um die Wirkung durch ein andres Mittel hervorzubringen, gedämpft, in der Tiefe gehalten und der Akzent nur so bezeichnet werden, daß das Verstehen dessen was man liest angedeutet wird, ohne das Gelesene ganz auszudrücken. Bey epischen Gedichten und dem Roman insbesondre sollte der Vorleser nie von seinem Gegenstande hingerissen scheinen, sondern die stille solcher Caricaturen, die nichts koͤnnen und moͤgen, als Verstand affektiren. Warum fehlen die Satanisten in der christlichen Mythologie? Es giebt vielleicht kein angemeßneres Wort und Bild fuͤr gewisse Bosheiten en miniature, deren Schein die Unschuld liebt; und fuͤr jene reizend groteske Farbenmusik des erhabensten und zartesten Muthwillens, welche die Oberflaͤche der Groͤße so gern zu umspielen pflegt. Die alten Amorinen sind nur eine andre Race dieser Satanisten. Vorlesen und Deklamiren ist nicht einerley. Dieses erfodert den richtig hoͤchsten, jenes einen gemaͤßigten Ausdruck. Deklamazion gehoͤrt fuͤr die Ferne, nicht in das Zimmer. Die laute Stimme zu welcher sie sich, um den gehoͤrigen Wechsel hervorzubringen, erhoͤhen muß, beleidigt ein feines Gehoͤr. Alle Wirkung geht in der Betaͤubung verloren. Mit Gestikulazion verbunden wird sie widrig wie alle Demonstrazionen heftiger Leidenschaft. Die gebildete Empfindung kann sie nur in solcher Entfernung ertragen, die gleichsam wieder einen Schleyer uͤber sie wirft. Der Ton, statt sich zu erheben, muß, um die Wirkung durch ein andres Mittel hervorzubringen, gedaͤmpft, in der Tiefe gehalten und der Akzent nur so bezeichnet werden, daß das Verstehen dessen was man liest angedeutet wird, ohne das Gelesene ganz auszudruͤcken. Bey epischen Gedichten und dem Roman insbesondre sollte der Vorleser nie von seinem Gegenstande hingerissen scheinen, sondern die stille <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0305" n="116"/> solcher Caricaturen, die nichts koͤnnen und moͤgen, als Verstand affektiren. Warum fehlen die Satanisten in der christlichen Mythologie? Es giebt vielleicht kein angemeßneres Wort und Bild fuͤr gewisse Bosheiten <foreign xml:lang="fr">en miniature</foreign>, deren Schein die Unschuld liebt; und fuͤr jene reizend groteske Farbenmusik des erhabensten und zartesten Muthwillens, welche die Oberflaͤche der Groͤße so gern zu umspielen pflegt. Die alten Amorinen sind nur eine andre Race dieser Satanisten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Vorlesen und Deklamiren ist nicht einerley. Dieses erfodert den richtig hoͤchsten, jenes einen gemaͤßigten Ausdruck. Deklamazion gehoͤrt fuͤr die Ferne, nicht in das Zimmer. Die laute Stimme zu welcher sie sich, um den gehoͤrigen Wechsel hervorzubringen, erhoͤhen muß, beleidigt ein feines Gehoͤr. Alle Wirkung geht in der Betaͤubung verloren. Mit Gestikulazion verbunden wird sie widrig wie alle Demonstrazionen heftiger Leidenschaft. Die gebildete Empfindung kann sie nur in solcher Entfernung ertragen, die gleichsam wieder einen Schleyer uͤber sie wirft. Der Ton, statt sich zu erheben, muß, um die Wirkung durch ein andres Mittel hervorzubringen, gedaͤmpft, in der Tiefe gehalten und der Akzent nur so bezeichnet werden, daß das Verstehen dessen was man liest angedeutet wird, ohne das Gelesene ganz auszudruͤcken. Bey epischen Gedichten und dem Roman insbesondre sollte der Vorleser nie von seinem Gegenstande hingerissen scheinen, sondern die stille<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [116/0305]
solcher Caricaturen, die nichts koͤnnen und moͤgen, als Verstand affektiren. Warum fehlen die Satanisten in der christlichen Mythologie? Es giebt vielleicht kein angemeßneres Wort und Bild fuͤr gewisse Bosheiten en miniature, deren Schein die Unschuld liebt; und fuͤr jene reizend groteske Farbenmusik des erhabensten und zartesten Muthwillens, welche die Oberflaͤche der Groͤße so gern zu umspielen pflegt. Die alten Amorinen sind nur eine andre Race dieser Satanisten.
Vorlesen und Deklamiren ist nicht einerley. Dieses erfodert den richtig hoͤchsten, jenes einen gemaͤßigten Ausdruck. Deklamazion gehoͤrt fuͤr die Ferne, nicht in das Zimmer. Die laute Stimme zu welcher sie sich, um den gehoͤrigen Wechsel hervorzubringen, erhoͤhen muß, beleidigt ein feines Gehoͤr. Alle Wirkung geht in der Betaͤubung verloren. Mit Gestikulazion verbunden wird sie widrig wie alle Demonstrazionen heftiger Leidenschaft. Die gebildete Empfindung kann sie nur in solcher Entfernung ertragen, die gleichsam wieder einen Schleyer uͤber sie wirft. Der Ton, statt sich zu erheben, muß, um die Wirkung durch ein andres Mittel hervorzubringen, gedaͤmpft, in der Tiefe gehalten und der Akzent nur so bezeichnet werden, daß das Verstehen dessen was man liest angedeutet wird, ohne das Gelesene ganz auszudruͤcken. Bey epischen Gedichten und dem Roman insbesondre sollte der Vorleser nie von seinem Gegenstande hingerissen scheinen, sondern die stille
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/305>, abgerufen am 13.06.2024. |