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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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II. Über Goethe's Meister.


Ohne Anmaßung und ohne Geräusch, wie die Bildung eines strebenden Geistes sich still entfaltet, und wie die werdende Welt aus seinem Jnnern leise emporsteigt, beginnt die klare Geschichte. Was hier vorgeht und was hier gesprochen wird, ist nicht außerordentlich, und die Gestalten, welche zuerst hervortreten, sind weder groß noch wunderbar: eine kluge Alte, die überall den Vortheil bedenkt und für den reicheren Liebhaber das Wort führt; ein Mädchen, die sich aus den Verstrickungen der gefährlichen Führerin nur losreißen kann, um sich dem Geliebten heftig hinzugeben; ein reiner Jüngling, der das schöne Feuer seiner ersten Liebe einer Schauspielerin weiht. Jndessen steht alles gegenwärtig vor unsern Augen da, lockt und spricht uns an. Die Umrisse sind allgemein und leicht, aber sie sind genau, scharf und sicher. Der kleinste Zug ist bedeutsam, jeder Strich ist ein leiser Wink und alles ist durch helle und lebhafte Gegensätze gehoben. Hier ist nichts, was die Leidenschaft

II. Über Goethe's Meister.


Ohne Anmaßung und ohne Geraͤusch, wie die Bildung eines strebenden Geistes sich still entfaltet, und wie die werdende Welt aus seinem Jnnern leise emporsteigt, beginnt die klare Geschichte. Was hier vorgeht und was hier gesprochen wird, ist nicht außerordentlich, und die Gestalten, welche zuerst hervortreten, sind weder groß noch wunderbar: eine kluge Alte, die uͤberall den Vortheil bedenkt und fuͤr den reicheren Liebhaber das Wort fuͤhrt; ein Maͤdchen, die sich aus den Verstrickungen der gefaͤhrlichen Fuͤhrerin nur losreißen kann, um sich dem Geliebten heftig hinzugeben; ein reiner Juͤngling, der das schoͤne Feuer seiner ersten Liebe einer Schauspielerin weiht. Jndessen steht alles gegenwaͤrtig vor unsern Augen da, lockt und spricht uns an. Die Umrisse sind allgemein und leicht, aber sie sind genau, scharf und sicher. Der kleinste Zug ist bedeutsam, jeder Strich ist ein leiser Wink und alles ist durch helle und lebhafte Gegensaͤtze gehoben. Hier ist nichts, was die Leidenschaft

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[147/0336] II. Über Goethe's Meister. Ohne Anmaßung und ohne Geraͤusch, wie die Bildung eines strebenden Geistes sich still entfaltet, und wie die werdende Welt aus seinem Jnnern leise emporsteigt, beginnt die klare Geschichte. Was hier vorgeht und was hier gesprochen wird, ist nicht außerordentlich, und die Gestalten, welche zuerst hervortreten, sind weder groß noch wunderbar: eine kluge Alte, die uͤberall den Vortheil bedenkt und fuͤr den reicheren Liebhaber das Wort fuͤhrt; ein Maͤdchen, die sich aus den Verstrickungen der gefaͤhrlichen Fuͤhrerin nur losreißen kann, um sich dem Geliebten heftig hinzugeben; ein reiner Juͤngling, der das schoͤne Feuer seiner ersten Liebe einer Schauspielerin weiht. Jndessen steht alles gegenwaͤrtig vor unsern Augen da, lockt und spricht uns an. Die Umrisse sind allgemein und leicht, aber sie sind genau, scharf und sicher. Der kleinste Zug ist bedeutsam, jeder Strich ist ein leiser Wink und alles ist durch helle und lebhafte Gegensaͤtze gehoben. Hier ist nichts, was die Leidenschaft

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/336>, abgerufen am 22.11.2024.