Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

die improvisirte Komödie auf der Wasserfahrt. Aber nicht bloß auf die Darstellungen des Schauspielers und was dem ähnlich ist, beschränkt sich diese Naturgeschichte des Schönen; in Mignons und des Alten romantischen Gesängen offenbart sich die Poesie auch als die natürliche Sprache und Musik schöner Seelen. Bey dieser Absicht mußte die Schauspielerwelt die Umgebung und der Grund des Ganzen werden, weil eben diese Kunst nicht bloß die vielseitigste, sondern auch die geselligste aller Künste ist, und weil sich hier vorzüglich Poesie und Leben, Zeitalter und Welt berühren, während die einsame Werkstätte des bildenden Künstlers weniger Stoff darbietet, und die Dichter nur in ihrem Jnnern als Dichter leben, und keinen abgesonderten Künstlerstand mehr bilden.

Obgleich es also den Anschein haben möchte, als sey das Ganze eben so sehr eine historische Philosophie der Kunst, als ein Kunstwerk oder Gedicht, und als sey alles, was der Dichter mit solcher Liebe ausführt, als wäre es sein letzter Zweck, am Ende doch nur Mittel: so ist doch auch alles Poesie, reine, hohe Poesie. Alles ist so gedacht und so gesagt, wie von einem der zugleich ein göttlicher Dichter und ein vollendeter Künstler wäre; und selbst der feinste Zug der Nebenausbildung scheint für sich zu existiren und sich eines eignen selbständigen Daseyns zu erfreuen. Sogar gegen die Gesetze einer kleinlichen unächten Wahrscheinlichkeit. Was fehlt Werners und Wilhelms Lobe des Handels und der Dichtkunst, als das Metrum, um von jedermann für erhabne Poesie anerkannt

die improvisirte Komoͤdie auf der Wasserfahrt. Aber nicht bloß auf die Darstellungen des Schauspielers und was dem aͤhnlich ist, beschraͤnkt sich diese Naturgeschichte des Schoͤnen; in Mignons und des Alten romantischen Gesaͤngen offenbart sich die Poesie auch als die natuͤrliche Sprache und Musik schoͤner Seelen. Bey dieser Absicht mußte die Schauspielerwelt die Umgebung und der Grund des Ganzen werden, weil eben diese Kunst nicht bloß die vielseitigste, sondern auch die geselligste aller Kuͤnste ist, und weil sich hier vorzuͤglich Poesie und Leben, Zeitalter und Welt beruͤhren, waͤhrend die einsame Werkstaͤtte des bildenden Kuͤnstlers weniger Stoff darbietet, und die Dichter nur in ihrem Jnnern als Dichter leben, und keinen abgesonderten Kuͤnstlerstand mehr bilden.

Obgleich es also den Anschein haben moͤchte, als sey das Ganze eben so sehr eine historische Philosophie der Kunst, als ein Kunstwerk oder Gedicht, und als sey alles, was der Dichter mit solcher Liebe ausfuͤhrt, als waͤre es sein letzter Zweck, am Ende doch nur Mittel: so ist doch auch alles Poesie, reine, hohe Poesie. Alles ist so gedacht und so gesagt, wie von einem der zugleich ein goͤttlicher Dichter und ein vollendeter Kuͤnstler waͤre; und selbst der feinste Zug der Nebenausbildung scheint fuͤr sich zu existiren und sich eines eignen selbstaͤndigen Daseyns zu erfreuen. Sogar gegen die Gesetze einer kleinlichen unaͤchten Wahrscheinlichkeit. Was fehlt Werners und Wilhelms Lobe des Handels und der Dichtkunst, als das Metrum, um von jedermann fuͤr erhabne Poesie anerkannt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0346" n="157"/>
die improvisirte Komo&#x0364;die auf der Wasserfahrt. Aber nicht bloß auf die Darstellungen des Schauspielers und was dem a&#x0364;hnlich ist, beschra&#x0364;nkt sich diese Naturgeschichte des Scho&#x0364;nen; in Mignons und des Alten romantischen Gesa&#x0364;ngen offenbart sich die Poesie auch als die natu&#x0364;rliche Sprache und Musik scho&#x0364;ner Seelen. Bey dieser Absicht mußte die Schauspielerwelt die Umgebung und der Grund des Ganzen werden, weil eben diese Kunst nicht bloß die vielseitigste, sondern auch die geselligste aller Ku&#x0364;nste ist, und weil sich hier vorzu&#x0364;glich Poesie und Leben, Zeitalter und Welt beru&#x0364;hren, wa&#x0364;hrend die einsame Werksta&#x0364;tte des bildenden Ku&#x0364;nstlers weniger Stoff darbietet, und die Dichter nur in ihrem Jnnern als Dichter leben, und keinen abgesonderten Ku&#x0364;nstlerstand mehr bilden.</p><lb/>
          <p>Obgleich es also den Anschein haben mo&#x0364;chte, als sey das Ganze eben so sehr eine historische Philosophie der Kunst, als ein Kunstwerk oder Gedicht, und als sey alles, was der Dichter mit solcher Liebe ausfu&#x0364;hrt, als wa&#x0364;re es sein letzter Zweck, am Ende doch nur Mittel: so ist doch auch alles Poesie, reine, hohe Poesie. Alles ist so gedacht und so gesagt, wie von einem der zugleich ein go&#x0364;ttlicher Dichter und ein vollendeter Ku&#x0364;nstler wa&#x0364;re; und selbst der feinste Zug der Nebenausbildung scheint fu&#x0364;r sich zu existiren und sich eines eignen selbsta&#x0364;ndigen Daseyns zu erfreuen. Sogar gegen die Gesetze einer kleinlichen una&#x0364;chten Wahrscheinlichkeit. Was fehlt Werners und Wilhelms Lobe des Handels und der Dichtkunst, als das Metrum, um von jedermann fu&#x0364;r erhabne Poesie anerkannt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0346] die improvisirte Komoͤdie auf der Wasserfahrt. Aber nicht bloß auf die Darstellungen des Schauspielers und was dem aͤhnlich ist, beschraͤnkt sich diese Naturgeschichte des Schoͤnen; in Mignons und des Alten romantischen Gesaͤngen offenbart sich die Poesie auch als die natuͤrliche Sprache und Musik schoͤner Seelen. Bey dieser Absicht mußte die Schauspielerwelt die Umgebung und der Grund des Ganzen werden, weil eben diese Kunst nicht bloß die vielseitigste, sondern auch die geselligste aller Kuͤnste ist, und weil sich hier vorzuͤglich Poesie und Leben, Zeitalter und Welt beruͤhren, waͤhrend die einsame Werkstaͤtte des bildenden Kuͤnstlers weniger Stoff darbietet, und die Dichter nur in ihrem Jnnern als Dichter leben, und keinen abgesonderten Kuͤnstlerstand mehr bilden. Obgleich es also den Anschein haben moͤchte, als sey das Ganze eben so sehr eine historische Philosophie der Kunst, als ein Kunstwerk oder Gedicht, und als sey alles, was der Dichter mit solcher Liebe ausfuͤhrt, als waͤre es sein letzter Zweck, am Ende doch nur Mittel: so ist doch auch alles Poesie, reine, hohe Poesie. Alles ist so gedacht und so gesagt, wie von einem der zugleich ein goͤttlicher Dichter und ein vollendeter Kuͤnstler waͤre; und selbst der feinste Zug der Nebenausbildung scheint fuͤr sich zu existiren und sich eines eignen selbstaͤndigen Daseyns zu erfreuen. Sogar gegen die Gesetze einer kleinlichen unaͤchten Wahrscheinlichkeit. Was fehlt Werners und Wilhelms Lobe des Handels und der Dichtkunst, als das Metrum, um von jedermann fuͤr erhabne Poesie anerkannt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/346
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/346>, abgerufen am 22.11.2024.