Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

des Künstlers oder was zufälliger Mangel des Werks seyn möchte, Veranlassung geben kann, als eben dieses, welches auch in die theatralische Verwicklung und Umgebung des Romans am schönsten eingreift, und unter andern die Frage von der Möglichkeit, ein vollendetes Meisterwerk zu verändern oder unverändert auf der Bühne zu geben, gleichsam von selbst aufwirft. Durch seine retardirende Natur kann das Stück dem Roman, der sein Wesen eben darin setzt, bis zu Verwechselungen verwandt scheinen. Auch ist der Geist der Betrachtung und der Rückkehr in sich selbst, von dem es so voll ist, so sehr eine gemeinsame Eigenthümlichkeit aller sehr geistigen Poesie, daß dadurch selbst dieß fürchterliche Trauerspiel, welches zwischen Verbrechen und Wahnsinn schwankend, die sichtbare Erde als einen verwilderten Garten der lüsternen Sünde, und ihr gleichsam hohles Jnnres wie den Wohnsitz der Strafe und der Pein darstellt und auf den härtesten Begriffen von Ehre und Pflicht ruht, wenigstens in einer Eigenschaft sich den fröhlichen Lehrjahren eines jungen Künstlers anneigen kann.

Die in diesem und dem ersten Buche des nächsten Bandes zerstreute Ansicht des Hamlet ist nicht so wohl Kritik als hohe Poesie. Und was kann wohl anders entstehn als ein Gedicht, wenn ein Dichter als solcher ein Werk der Dichtkunst anschaut und darstellt? Dieß liegt nicht darin, daß sie über die Gränzen des sichtbaren Werkes mit Vermuthungen und Behauptungen hinausgeht. Das muß alle Kritik, weil jedes vortreffliche Werk, von welcher Art es auch sey, mehr

des Kuͤnstlers oder was zufaͤlliger Mangel des Werks seyn moͤchte, Veranlassung geben kann, als eben dieses, welches auch in die theatralische Verwicklung und Umgebung des Romans am schoͤnsten eingreift, und unter andern die Frage von der Moͤglichkeit, ein vollendetes Meisterwerk zu veraͤndern oder unveraͤndert auf der Buͤhne zu geben, gleichsam von selbst aufwirft. Durch seine retardirende Natur kann das Stuͤck dem Roman, der sein Wesen eben darin setzt, bis zu Verwechselungen verwandt scheinen. Auch ist der Geist der Betrachtung und der Ruͤckkehr in sich selbst, von dem es so voll ist, so sehr eine gemeinsame Eigenthuͤmlichkeit aller sehr geistigen Poesie, daß dadurch selbst dieß fuͤrchterliche Trauerspiel, welches zwischen Verbrechen und Wahnsinn schwankend, die sichtbare Erde als einen verwilderten Garten der luͤsternen Suͤnde, und ihr gleichsam hohles Jnnres wie den Wohnsitz der Strafe und der Pein darstellt und auf den haͤrtesten Begriffen von Ehre und Pflicht ruht, wenigstens in einer Eigenschaft sich den froͤhlichen Lehrjahren eines jungen Kuͤnstlers anneigen kann.

Die in diesem und dem ersten Buche des naͤchsten Bandes zerstreute Ansicht des Hamlet ist nicht so wohl Kritik als hohe Poesie. Und was kann wohl anders entstehn als ein Gedicht, wenn ein Dichter als solcher ein Werk der Dichtkunst anschaut und darstellt? Dieß liegt nicht darin, daß sie uͤber die Graͤnzen des sichtbaren Werkes mit Vermuthungen und Behauptungen hinausgeht. Das muß alle Kritik, weil jedes vortreffliche Werk, von welcher Art es auch sey, mehr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0357" n="168"/>
des Ku&#x0364;nstlers oder was zufa&#x0364;lliger Mangel des Werks seyn mo&#x0364;chte, Veranlassung geben kann, als eben dieses, welches auch in die theatralische Verwicklung und Umgebung des Romans am scho&#x0364;nsten eingreift, und unter andern die Frage von der Mo&#x0364;glichkeit, ein vollendetes Meisterwerk zu vera&#x0364;ndern oder unvera&#x0364;ndert auf der Bu&#x0364;hne zu geben, gleichsam von selbst aufwirft. Durch seine retardirende Natur kann das Stu&#x0364;ck dem Roman, der sein Wesen eben darin setzt, bis zu Verwechselungen verwandt scheinen. Auch ist der Geist der Betrachtung und der Ru&#x0364;ckkehr in sich selbst, von dem es so voll ist, so sehr eine gemeinsame Eigenthu&#x0364;mlichkeit aller sehr geistigen Poesie, daß dadurch selbst dieß fu&#x0364;rchterliche Trauerspiel, welches zwischen Verbrechen und Wahnsinn schwankend, die sichtbare Erde als einen verwilderten Garten der lu&#x0364;sternen Su&#x0364;nde, und ihr gleichsam hohles Jnnres wie den Wohnsitz der Strafe und der Pein darstellt und auf den ha&#x0364;rtesten Begriffen von Ehre und Pflicht ruht, wenigstens in einer Eigenschaft sich den fro&#x0364;hlichen Lehrjahren eines jungen Ku&#x0364;nstlers anneigen kann.</p><lb/>
          <p>Die in diesem und dem ersten Buche des na&#x0364;chsten Bandes zerstreute Ansicht des Hamlet ist nicht so wohl Kritik als hohe Poesie. Und was kann wohl anders entstehn als ein Gedicht, wenn ein Dichter als solcher ein Werk der Dichtkunst anschaut und darstellt? Dieß liegt nicht darin, daß sie u&#x0364;ber die Gra&#x0364;nzen des sichtbaren Werkes mit Vermuthungen und Behauptungen hinausgeht. Das muß alle Kritik, weil jedes vortreffliche Werk, von welcher Art es auch sey, mehr<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0357] des Kuͤnstlers oder was zufaͤlliger Mangel des Werks seyn moͤchte, Veranlassung geben kann, als eben dieses, welches auch in die theatralische Verwicklung und Umgebung des Romans am schoͤnsten eingreift, und unter andern die Frage von der Moͤglichkeit, ein vollendetes Meisterwerk zu veraͤndern oder unveraͤndert auf der Buͤhne zu geben, gleichsam von selbst aufwirft. Durch seine retardirende Natur kann das Stuͤck dem Roman, der sein Wesen eben darin setzt, bis zu Verwechselungen verwandt scheinen. Auch ist der Geist der Betrachtung und der Ruͤckkehr in sich selbst, von dem es so voll ist, so sehr eine gemeinsame Eigenthuͤmlichkeit aller sehr geistigen Poesie, daß dadurch selbst dieß fuͤrchterliche Trauerspiel, welches zwischen Verbrechen und Wahnsinn schwankend, die sichtbare Erde als einen verwilderten Garten der luͤsternen Suͤnde, und ihr gleichsam hohles Jnnres wie den Wohnsitz der Strafe und der Pein darstellt und auf den haͤrtesten Begriffen von Ehre und Pflicht ruht, wenigstens in einer Eigenschaft sich den froͤhlichen Lehrjahren eines jungen Kuͤnstlers anneigen kann. Die in diesem und dem ersten Buche des naͤchsten Bandes zerstreute Ansicht des Hamlet ist nicht so wohl Kritik als hohe Poesie. Und was kann wohl anders entstehn als ein Gedicht, wenn ein Dichter als solcher ein Werk der Dichtkunst anschaut und darstellt? Dieß liegt nicht darin, daß sie uͤber die Graͤnzen des sichtbaren Werkes mit Vermuthungen und Behauptungen hinausgeht. Das muß alle Kritik, weil jedes vortreffliche Werk, von welcher Art es auch sey, mehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/357
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/357>, abgerufen am 24.11.2024.