Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Rohheit und Eigennutz, Philinens Leichtsinn, Aureliens Überspannung, des Alten Schwermuth und Mignons Sehnsucht gehen in Handlung über. Daher die nicht seltne Annäherung zum Wahnsinn, die eine Lieblingsbeziehung und Ton dieses Theils scheinen dürfte. Mignon als Mänade ist ein göttlich lichter Punkt, deren es hier mehrere giebt. Aber im Ganzen scheint das Werk etwas von der Höhe des zweyten Bandes zu sinken. Es bereitet sich gleichsam schon vor, in die äußersten Tiefen des innern Menschen zu graben, und von da wieder eine noch größere und schlechthin große Höhe zu ersteigen, wo es bleiben kann. Überhaupt scheint es an einem Scheidepunkte zu stehn und in einer wichtigen Krise begriffen zu seyn. Die Verwicklung und Verwirrung steigt am höchsten, und auch die gespannte Erwartung über den endlichen Aufschluß so vieler interessanter Räthsel und schöner Wunder. Auch Wilhelms falsche Tendenz bildet sich zu Maximen: aber die seltsame Warnung warnt auch den Leser, ihn nicht zu leichtsinnig schon am Ziel oder auf dem rechten Wege dahin zu glauben. Kein Theil des Ganzen scheint so abhängig von diesem zu seyn, und nur als Mittel gebraucht zu werden, wie das fünfte Buch. Es erlaubt sich sogar bloß theoretische Nachträge und Ergänzungen, wie das Jdeal eines Souffleurs, die Skizze der Liebhaber der Schauspielkunst, die Grundsätze über den Unterschied des Drama und des Romans. Rohheit und Eigennutz, Philinens Leichtsinn, Aureliens Überspannung, des Alten Schwermuth und Mignons Sehnsucht gehen in Handlung uͤber. Daher die nicht seltne Annaͤherung zum Wahnsinn, die eine Lieblingsbeziehung und Ton dieses Theils scheinen duͤrfte. Mignon als Maͤnade ist ein goͤttlich lichter Punkt, deren es hier mehrere giebt. Aber im Ganzen scheint das Werk etwas von der Hoͤhe des zweyten Bandes zu sinken. Es bereitet sich gleichsam schon vor, in die aͤußersten Tiefen des innern Menschen zu graben, und von da wieder eine noch groͤßere und schlechthin große Hoͤhe zu ersteigen, wo es bleiben kann. Überhaupt scheint es an einem Scheidepunkte zu stehn und in einer wichtigen Krise begriffen zu seyn. Die Verwicklung und Verwirrung steigt am hoͤchsten, und auch die gespannte Erwartung uͤber den endlichen Aufschluß so vieler interessanter Raͤthsel und schoͤner Wunder. Auch Wilhelms falsche Tendenz bildet sich zu Maximen: aber die seltsame Warnung warnt auch den Leser, ihn nicht zu leichtsinnig schon am Ziel oder auf dem rechten Wege dahin zu glauben. Kein Theil des Ganzen scheint so abhaͤngig von diesem zu seyn, und nur als Mittel gebraucht zu werden, wie das fuͤnfte Buch. Es erlaubt sich sogar bloß theoretische Nachtraͤge und Ergaͤnzungen, wie das Jdeal eines Souffleurs, die Skizze der Liebhaber der Schauspielkunst, die Grundsaͤtze uͤber den Unterschied des Drama und des Romans. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0359" n="170"/> Rohheit und Eigennutz, Philinens Leichtsinn, Aureliens Überspannung, des Alten Schwermuth und Mignons Sehnsucht gehen in Handlung uͤber. Daher die nicht seltne Annaͤherung zum Wahnsinn, die eine Lieblingsbeziehung und Ton dieses Theils scheinen duͤrfte. Mignon als Maͤnade ist ein goͤttlich lichter Punkt, deren es hier mehrere giebt. Aber im Ganzen scheint das Werk etwas von der Hoͤhe des zweyten Bandes zu sinken. Es bereitet sich gleichsam schon vor, in die aͤußersten Tiefen des innern Menschen zu graben, und von da wieder eine noch groͤßere und schlechthin große Hoͤhe zu ersteigen, wo es bleiben kann. Überhaupt scheint es an einem Scheidepunkte zu stehn und in einer wichtigen Krise begriffen zu seyn. Die Verwicklung und Verwirrung steigt am hoͤchsten, und auch die gespannte Erwartung uͤber den endlichen Aufschluß so vieler interessanter Raͤthsel und schoͤner Wunder. Auch Wilhelms falsche Tendenz bildet sich zu Maximen: aber die seltsame Warnung warnt auch den Leser, ihn nicht zu leichtsinnig schon am Ziel oder auf dem rechten Wege dahin zu glauben. Kein Theil des Ganzen scheint so abhaͤngig von diesem zu seyn, und nur als Mittel gebraucht zu werden, wie das fuͤnfte Buch. Es erlaubt sich sogar bloß theoretische Nachtraͤge und Ergaͤnzungen, wie das Jdeal eines Souffleurs, die Skizze der Liebhaber der Schauspielkunst, die Grundsaͤtze uͤber den Unterschied des Drama und des Romans.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [170/0359]
Rohheit und Eigennutz, Philinens Leichtsinn, Aureliens Überspannung, des Alten Schwermuth und Mignons Sehnsucht gehen in Handlung uͤber. Daher die nicht seltne Annaͤherung zum Wahnsinn, die eine Lieblingsbeziehung und Ton dieses Theils scheinen duͤrfte. Mignon als Maͤnade ist ein goͤttlich lichter Punkt, deren es hier mehrere giebt. Aber im Ganzen scheint das Werk etwas von der Hoͤhe des zweyten Bandes zu sinken. Es bereitet sich gleichsam schon vor, in die aͤußersten Tiefen des innern Menschen zu graben, und von da wieder eine noch groͤßere und schlechthin große Hoͤhe zu ersteigen, wo es bleiben kann. Überhaupt scheint es an einem Scheidepunkte zu stehn und in einer wichtigen Krise begriffen zu seyn. Die Verwicklung und Verwirrung steigt am hoͤchsten, und auch die gespannte Erwartung uͤber den endlichen Aufschluß so vieler interessanter Raͤthsel und schoͤner Wunder. Auch Wilhelms falsche Tendenz bildet sich zu Maximen: aber die seltsame Warnung warnt auch den Leser, ihn nicht zu leichtsinnig schon am Ziel oder auf dem rechten Wege dahin zu glauben. Kein Theil des Ganzen scheint so abhaͤngig von diesem zu seyn, und nur als Mittel gebraucht zu werden, wie das fuͤnfte Buch. Es erlaubt sich sogar bloß theoretische Nachtraͤge und Ergaͤnzungen, wie das Jdeal eines Souffleurs, die Skizze der Liebhaber der Schauspielkunst, die Grundsaͤtze uͤber den Unterschied des Drama und des Romans.
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