Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.angenehmen Kontrast mit der etwas materiellen Therese. Nathalie verbreitet ihre wohlthätigen Wirkungen durch ihr bloßes Daseyn in der Gesellschaft: Therese bildet eine ähnliche Welt um sich her, wie der Oheim. Es sind Beyspiele und Veranlassungen zu der Theorie der Weiblichkeit, die in jener großen Lebenskunstlehre nicht fehlen durfte. Sittliche Geselligkeit und häusliche Thätigkeit, beyde in romantisch schöner Gestalt, sind die beyden Urbilder, oder die beyden Hälften eines Urbildes, welche hier für diesen Theil der Menschheit aufgestellt werden. Wie mögen sich die Leser dieses Romans beym Schluß desselben getäuscht fühlen, da aus allen diesen Erziehungsanstalten nichts herauskommt, als bescheidne Liebenswürdigkeit, da hinter allen diesen wunderbaren Zufällen, weissagenden Winken und geheimnißvollen Erscheinungen nichts steckt als die erhabenste Poesie, und da die letzten Fäden des Ganzen nur durch die Willkühr eines bis zur Vollendung gebildeten Geistes gelenkt werden! Jn der That erlaubt sich diese hier, wie es scheint mit gutem Bedacht, fast alles, und liebt die seltsamsten Verknüpfungen. Die Reden einer Babara wirken mit der gigantischen Kraft und der würdigen Großheit der alten Tragödie; von dem interessantsten Menschen im ganzen Buch wird fast nichts ausführlich erwähnt, als sein Verhältniß mit einer Pächterstochter; gleich nach dem Untergang Marianens, die uns nicht als Mariane, sondern als das verlassene, zerrissene Weib überhaupt interessirt, ergötzt uns der Anblick des Ducaten zäh- angenehmen Kontrast mit der etwas materiellen Therese. Nathalie verbreitet ihre wohlthaͤtigen Wirkungen durch ihr bloßes Daseyn in der Gesellschaft: Therese bildet eine aͤhnliche Welt um sich her, wie der Oheim. Es sind Beyspiele und Veranlassungen zu der Theorie der Weiblichkeit, die in jener großen Lebenskunstlehre nicht fehlen durfte. Sittliche Geselligkeit und haͤusliche Thaͤtigkeit, beyde in romantisch schoͤner Gestalt, sind die beyden Urbilder, oder die beyden Haͤlften eines Urbildes, welche hier fuͤr diesen Theil der Menschheit aufgestellt werden. Wie moͤgen sich die Leser dieses Romans beym Schluß desselben getaͤuscht fuͤhlen, da aus allen diesen Erziehungsanstalten nichts herauskommt, als bescheidne Liebenswuͤrdigkeit, da hinter allen diesen wunderbaren Zufaͤllen, weissagenden Winken und geheimnißvollen Erscheinungen nichts steckt als die erhabenste Poesie, und da die letzten Faͤden des Ganzen nur durch die Willkuͤhr eines bis zur Vollendung gebildeten Geistes gelenkt werden! Jn der That erlaubt sich diese hier, wie es scheint mit gutem Bedacht, fast alles, und liebt die seltsamsten Verknuͤpfungen. Die Reden einer Babara wirken mit der gigantischen Kraft und der wuͤrdigen Großheit der alten Tragoͤdie; von dem interessantsten Menschen im ganzen Buch wird fast nichts ausfuͤhrlich erwaͤhnt, als sein Verhaͤltniß mit einer Paͤchterstochter; gleich nach dem Untergang Marianens, die uns nicht als Mariane, sondern als das verlassene, zerrissene Weib uͤberhaupt interessirt, ergoͤtzt uns der Anblick des Ducaten zaͤh- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0364" n="175"/> angenehmen Kontrast mit der etwas materiellen Therese. Nathalie verbreitet ihre wohlthaͤtigen Wirkungen durch ihr bloßes Daseyn in der Gesellschaft: Therese bildet eine aͤhnliche Welt um sich her, wie der Oheim. Es sind Beyspiele und Veranlassungen zu der Theorie der Weiblichkeit, die in jener großen Lebenskunstlehre nicht fehlen durfte. Sittliche Geselligkeit und haͤusliche Thaͤtigkeit, beyde in romantisch schoͤner Gestalt, sind die beyden Urbilder, oder die beyden Haͤlften eines Urbildes, welche hier fuͤr diesen Theil der Menschheit aufgestellt werden.</p><lb/> <p>Wie moͤgen sich die Leser dieses Romans beym Schluß desselben getaͤuscht fuͤhlen, da aus allen diesen Erziehungsanstalten nichts herauskommt, als bescheidne Liebenswuͤrdigkeit, da hinter allen diesen wunderbaren Zufaͤllen, weissagenden Winken und geheimnißvollen Erscheinungen nichts steckt als die erhabenste Poesie, und da die letzten Faͤden des Ganzen nur durch die Willkuͤhr eines bis zur Vollendung gebildeten Geistes gelenkt werden! Jn der That erlaubt sich diese hier, wie es scheint mit gutem Bedacht, fast alles, und liebt die seltsamsten Verknuͤpfungen. Die Reden einer Babara wirken mit der gigantischen Kraft und der wuͤrdigen Großheit der alten Tragoͤdie; von dem interessantsten Menschen im ganzen Buch wird fast nichts ausfuͤhrlich erwaͤhnt, als sein Verhaͤltniß mit einer Paͤchterstochter; gleich nach dem Untergang Marianens, die uns nicht als Mariane, sondern als das verlassene, zerrissene Weib uͤberhaupt interessirt, ergoͤtzt uns der Anblick des Ducaten zaͤh-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [175/0364]
angenehmen Kontrast mit der etwas materiellen Therese. Nathalie verbreitet ihre wohlthaͤtigen Wirkungen durch ihr bloßes Daseyn in der Gesellschaft: Therese bildet eine aͤhnliche Welt um sich her, wie der Oheim. Es sind Beyspiele und Veranlassungen zu der Theorie der Weiblichkeit, die in jener großen Lebenskunstlehre nicht fehlen durfte. Sittliche Geselligkeit und haͤusliche Thaͤtigkeit, beyde in romantisch schoͤner Gestalt, sind die beyden Urbilder, oder die beyden Haͤlften eines Urbildes, welche hier fuͤr diesen Theil der Menschheit aufgestellt werden.
Wie moͤgen sich die Leser dieses Romans beym Schluß desselben getaͤuscht fuͤhlen, da aus allen diesen Erziehungsanstalten nichts herauskommt, als bescheidne Liebenswuͤrdigkeit, da hinter allen diesen wunderbaren Zufaͤllen, weissagenden Winken und geheimnißvollen Erscheinungen nichts steckt als die erhabenste Poesie, und da die letzten Faͤden des Ganzen nur durch die Willkuͤhr eines bis zur Vollendung gebildeten Geistes gelenkt werden! Jn der That erlaubt sich diese hier, wie es scheint mit gutem Bedacht, fast alles, und liebt die seltsamsten Verknuͤpfungen. Die Reden einer Babara wirken mit der gigantischen Kraft und der wuͤrdigen Großheit der alten Tragoͤdie; von dem interessantsten Menschen im ganzen Buch wird fast nichts ausfuͤhrlich erwaͤhnt, als sein Verhaͤltniß mit einer Paͤchterstochter; gleich nach dem Untergang Marianens, die uns nicht als Mariane, sondern als das verlassene, zerrissene Weib uͤberhaupt interessirt, ergoͤtzt uns der Anblick des Ducaten zaͤh-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |