Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Deutscher. Unsre Theoretiker lehren es umständlich. Vor allem sind die Epopeen episch. Grieche. Die nun grade am wenigsten. Dir, Deutscher, sollte durch Nachbildungen der Homerischen Erzählungsweise, die ihr seit kurzem erhalten habt, schon ein Licht über das bisherige Nichtwissen angezündet seyn. Was für Gegenstände weist Klopstock dem metrischen Ausdrucke an? Deutscher. "Erst die sinnlichen; hauptsächlich aber gewisse Beschaffenheiten der Empfindung und Leidenschaft." Grieche. Der Empfindung und Leidenschaft wessen? Des Dichters, oder der von ihm dargestellten Personen? Deutscher. Beydes fällt in eins: der Dichter nimmt an seinen Personen den innigsten Antheil. Grieche. Wenn nun der epische Dichter Herrschaft genug über sich selbst besäße, um von diesem Antheile nichts zu äußern? Franzose. Das müßte ein entsetzlich harter Mensch seyn. Grieche. Und wenn eben diese über die Darstellung verbreitete Ruhe der Grundkarakter des epischen Gedichts wäre? Deutscher. Wie kann es dann gut seyn? "Jn guten Gedichten herrscht die Leidenschaft." Grieche. Wer das sagte, dachte wohl nur an lyrische. -- Das Sylbenmaß soll durch das Gesetz seiner Wiederkehr den Geist der Dichtart ausdrücken; die in diesen Gränzen freygelaßne Abwechselung gestattet Deutscher. Unsre Theoretiker lehren es umstaͤndlich. Vor allem sind die Epopeen episch. Grieche. Die nun grade am wenigsten. Dir, Deutscher, sollte durch Nachbildungen der Homerischen Erzaͤhlungsweise, die ihr seit kurzem erhalten habt, schon ein Licht uͤber das bisherige Nichtwissen angezuͤndet seyn. Was fuͤr Gegenstaͤnde weist Klopstock dem metrischen Ausdrucke an? Deutscher. „Erst die sinnlichen; hauptsaͤchlich aber gewisse Beschaffenheiten der Empfindung und Leidenschaft.“ Grieche. Der Empfindung und Leidenschaft wessen? Des Dichters, oder der von ihm dargestellten Personen? Deutscher. Beydes faͤllt in eins: der Dichter nimmt an seinen Personen den innigsten Antheil. Grieche. Wenn nun der epische Dichter Herrschaft genug uͤber sich selbst besaͤße, um von diesem Antheile nichts zu aͤußern? Franzose. Das muͤßte ein entsetzlich harter Mensch seyn. Grieche. Und wenn eben diese uͤber die Darstellung verbreitete Ruhe der Grundkarakter des epischen Gedichts waͤre? Deutscher. Wie kann es dann gut seyn? „Jn guten Gedichten herrscht die Leidenschaft.“ Grieche. Wer das sagte, dachte wohl nur an lyrische. — Das Sylbenmaß soll durch das Gesetz seiner Wiederkehr den Geist der Dichtart ausdruͤcken; die in diesen Graͤnzen freygelaßne Abwechselung gestattet <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0056" n="45"/> <p><hi rendition="#g">Deutscher</hi>. Unsre Theoretiker lehren es umstaͤndlich. Vor allem sind die Epopeen episch.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Die nun grade am wenigsten. Dir, Deutscher, sollte durch Nachbildungen der Homerischen Erzaͤhlungsweise, die ihr seit kurzem erhalten habt, schon ein Licht uͤber das bisherige Nichtwissen angezuͤndet seyn. Was fuͤr Gegenstaͤnde weist Klopstock dem metrischen Ausdrucke an?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Deutscher</hi>. „Erst die sinnlichen; hauptsaͤchlich aber gewisse Beschaffenheiten der Empfindung und Leidenschaft.“</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Der Empfindung und Leidenschaft wessen? Des Dichters, oder der von ihm dargestellten Personen?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Deutscher</hi>. Beydes faͤllt in eins: der Dichter nimmt an seinen Personen den innigsten Antheil.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Wenn nun der epische Dichter Herrschaft genug uͤber sich selbst besaͤße, um von diesem Antheile nichts zu aͤußern?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Franzose</hi>. Das muͤßte ein entsetzlich harter Mensch seyn.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Und wenn eben diese uͤber die Darstellung verbreitete Ruhe der Grundkarakter des epischen Gedichts waͤre?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Deutscher</hi>. Wie kann es dann gut seyn? „Jn guten Gedichten herrscht die Leidenschaft.“</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Wer das sagte, dachte wohl nur an lyrische. — Das Sylbenmaß soll durch das Gesetz seiner Wiederkehr den Geist der Dichtart ausdruͤcken; die in diesen Graͤnzen freygelaßne Abwechselung gestattet<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [45/0056]
Deutscher. Unsre Theoretiker lehren es umstaͤndlich. Vor allem sind die Epopeen episch.
Grieche. Die nun grade am wenigsten. Dir, Deutscher, sollte durch Nachbildungen der Homerischen Erzaͤhlungsweise, die ihr seit kurzem erhalten habt, schon ein Licht uͤber das bisherige Nichtwissen angezuͤndet seyn. Was fuͤr Gegenstaͤnde weist Klopstock dem metrischen Ausdrucke an?
Deutscher. „Erst die sinnlichen; hauptsaͤchlich aber gewisse Beschaffenheiten der Empfindung und Leidenschaft.“
Grieche. Der Empfindung und Leidenschaft wessen? Des Dichters, oder der von ihm dargestellten Personen?
Deutscher. Beydes faͤllt in eins: der Dichter nimmt an seinen Personen den innigsten Antheil.
Grieche. Wenn nun der epische Dichter Herrschaft genug uͤber sich selbst besaͤße, um von diesem Antheile nichts zu aͤußern?
Franzose. Das muͤßte ein entsetzlich harter Mensch seyn.
Grieche. Und wenn eben diese uͤber die Darstellung verbreitete Ruhe der Grundkarakter des epischen Gedichts waͤre?
Deutscher. Wie kann es dann gut seyn? „Jn guten Gedichten herrscht die Leidenschaft.“
Grieche. Wer das sagte, dachte wohl nur an lyrische. — Das Sylbenmaß soll durch das Gesetz seiner Wiederkehr den Geist der Dichtart ausdruͤcken; die in diesen Graͤnzen freygelaßne Abwechselung gestattet
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